Gestern sind wir in Imperia ausgelaufen. Franco hat mich auf seine 15 m lange Yacht eingeladen. Ich kenne Franco erst seit gestern, in einer angesagten Diskothek sprach er mich an, als ich mir einen Mojito bestellte. „Hier verwenden sie keine Hemingway-Minze“, raunte er mir zu. „Die Italiener sind schrecklich ungebildet, was Cocktails angeht“, flüsterte er. Seine Einladung kam mir gerade recht. Mit Karl hatte ich mich gestritten, war Hals über Kopf mit meinem bereits gepackten Rucksack vom Campingplatz getürmt. Ich hätte wissen müssen, dass es nicht klappen kann.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Franco die Angel zusammenschraubte und den Haken mit Würmern präparierte. Nun sitzt er backbord, ruhig, die Gauloises hängt in seinem Mundwinkel und er schaut auf die Silhuette der gerade noch erkennbaren Küste. Ich liege auf dem Vorderdeck und die Sonne brennt so heiß, dass sich in meinem Bauchnabel schon ein kleiner, schweißiger See gebildet hat. Das Meer ist ruhig, wie eine Bleiplatte liegt es neben mir und es ist absolut windstill. Vorhin hat Franco in der Kombüse etwas Brot geschnitten und nach süßen Trauben und dunklem Wein zog er einen kleinen Plastikbeutel mit einem weißen Pulver aus der hohlen Buddha-Statue auf dem Sideboard. Er hackte uns mit ernster Miene einige Linien auf dem blank polierten Glastisch und ich versuchte mühsam, mir die lodernde Gier nicht anmerken zu lassen. Jetzt bin ich vollkommen entspannt und sage Franco, dass ich schwimmen gehen will. Er nickt mir zu und lächelt. Das Schiff schaukelt nur leicht, als ich langsam die kleine, blaue Strickleiter hinabsteige. Das Wasser unter mir ist kalt und unendlich erfrischend. Es spült die trägen Gedanken aus meinem Kopf und ich bin plötzlich nicht sicher, ob ich mich in die Realität zurücktreiben lassen möchte. Ich gewöhne meinen erhitzten Körper langsam an das kalte Wasser und stehe lange auf der fünften Sprosse, während das Wasser an meine Brust schwappt. Als ich mich loslasse und die ersten Züge hinter mich bringe, muss ich trotzdem nach Luft schnappen. Mit kurzen, festen Zügen habe ich das Schiff schnell umrundet. Vermutlich habe ich die Fische verscheucht aber das ist mir jetzt egal. Jetzt entferne ich mich schnell vom Schiff und als ich mich umdrehe, ist Franco nur noch so groß wie mein Daumennagel. Toter Mann. Das haben wir im Friesenbad immer gemacht, bis unsere Zehen und Finger schrumpelig waren wie kleine Dörrpflaumen. Ich lasse mich treiben und denke darüber nach, dass es zwei Variationen von „Ich gehe ins Wasser“ gibt, eine mit dem Hintergrund einer angenehmen Erfrischung und eine mit dem Wunsch eines Suizids. Ich spüre eine leichte Berührung an meinem linken Fuß und möchte zurückschwimmen, als etwas meine Fessel (warum heißt das so, denke ich noch) umschlingt und nach unten reißt. Ich strample und schlage mit den Armen aber wie eine eiserne Hand hält mich etwas gefangen. Ich spüre Panik aufsteigen und kann noch einmal Luft holen, bevor ich abermals nach unten gerissen werde. Immer tiefer gleitet mein Körper durch die wechselwarmen Wasserschichten hinunter und schnell wird es dunkler. Schon nach einigen Sekunden sinkt meine Herzfrequenz und die Arterien in meinen Armen und Beinen verengen sich, um das verbleibende, noch mit Sauerstoff angereicherte Blut dem Gehirn, dem Herzen und den anderen, lebenswichtigen Organen zu überlassen. „Tauchreflex“ wird das genannt, habe ich gelesen.Ich spüre bereits den Druck in der Lunge, durch meinen unsteten Lebenswandel in der Vergangenheit ist mein Körper in einem nicht sehr durchtrainierten Zustand. Atme, atme, schreit etwas in mir und ich will zurück auf das Sonnendeck und Francos braungebrannten Rücken sehen und mir ein Bier aus dem Kühlschrank holen … Ganz langsam bemerke ich, wie mein Bewusstsein schwindet und da ist er tatsächlich, der viel genannte Film, der kurz vor Eintritt des Todes abläuft. Ich sehe mich mit meiner großen Schwester durch tiefe, taunasse Wiesen stapfen, ich sehe mich an der Seite meiner ersten Liebe in der Gondel der Zugspitzbahn. „Schau, wie tief das ist“ sagte er und schubste mich zum Spaß. Am Ende des Films sehe ich auch Karl, wie er mit ungläubigem Gesicht auf dem blutgetränkten, einstmals sonnengelben Schlafsack liegt und das tief in seinen rechten Lungenflügel eingetretene Brotzeitmesser umklammert. Ich konnte nicht anders, denke ich noch. Ich wusste nicht, wie tief das Meer wirklich ist. Dann umfängt mich Schwärze.
Ihhh ist das gruslig! Was schaust Du denn für schaurige Filme! Oder ist das etwa Deinem Hirn entfleucht? Brrrr!
Ist doch gar nicht so schlimm, socki! Ja, mir war heute etwas fad. Scheißwetter, Ruhe im Karton, da fange ich an zu phantasieren …
mei, mei, mei – das ist pure Lust am Lesen. Und eine schöne Anregung mal wieder selbest in die Tasten zu greifen! ;D
Weiter so und mehr davon!
Liebe Grüße, Gabi
Ja Gabi, ich glaube, ich bin aufs Gschmäckle komme. Das ist eine gute Alternative zum lustigen Familienleben. Abtauchen und den Schlüssel verstecken …
Einfach großartig!!
Ich liieebe solche Wendungen…
Ich stehe ja mehr auf HappyEnd. Aber das kann ja noch werden. Deine Qualitäten habe ich jedenfalls bisher nicht überschätzt. Und wenn du zurückdenkst, hat der Wechsel vom Leben im alten Job in diese neue Umgebung doch auch was Positives. Du machst dadurch Sachen, auf die du vorher nie gekommen wärst oder für die keine Zeit war. Und du machst sie richtig gut.
Ihr habt mich derart motiviert, dass ich mich entschlossen habe, eine neue Kategorie einzuführen, siehe oben. Ich hoffe nicht, dass mein literarischer Output mit der Zeit zur Luftnummer mutiert. Mit Happy Endings habe ich so meine Probleme, ich gestehe. Vielleicht finde ich ja mal eine Konstellation, der ein solches Ende gut zu Gesicht steht …