Vier – BEIDE –

Schon wieder ist es so spät geworden, dachte sie sich, als sie auf ihr Auto zuging. Ihr fiel ein, dass sie ihr Duschgel auf dem Regal in der Umkleidekabine vergessen hatte, aber das war ihr egal; es roch ohnehin wie nasser Hund. Mit Grausen dachte sie daran, dass sie am nächsten Tag allein die Stellung im Uhren-Kabuff würde halten müssen. Ihre Kollegin hatte sich den Tag frei genommen und das bedeutete, dass sie nicht einmal zur Toilette würde gehen können, weil der Kundenstrom wieder nicht abreißen würde. Wie gern sie ausbrechen wollte aus diesem kleinen, erdrückenden Leben und der lähmenden Einsamkeit, die ihr manchmal die Luft zum Atmen nahm, die sie langsam zu ersticken drohte!
Hinter ihrem Auto stand ein großer, bärtiger Mann, der sie unsicher anlächelte. Er streckte ihr eine schlanke Hand entgegen und sie sah, dass er ihr das vergessen geglaubte Duschgel entgegenhielt. Er kam ihr bekannt vor, und als er sich endlich, endlich ein Herz fasste und sie mit ihrem Namen ansprach, mit seinem komischen, holländischen Akzent und der dunklen Stimme zu reden begann, spürte sie ein Prickeln im Bauch und eine Gänsehaut auf den Schulterblättern. „Ich möchte dich abholen“, flüsterte er und sie verspürte keine Angst, nur plötzlich brennende Neugierde, die ihre Ohren zum Glühen brachte. Sie wünschte inständig, dass dieses durchdringende Kribbeln im Bauch nicht aufhörte, aufregend, fast schmerzhaft und so … lebendig! Zusammen fuhren sie an den kleinen Hafen, wo er sie durch den Nieselregen zu einem kleinen blauen Boot führte und ihr mit festem Griff auf die rutschigen Planken half. Er brachte sie unter Deck und sie war überrascht; so geräumig hatte sie sich das Innere des Schiffes nicht vorgestellt!
Zart berührte er ihr Gesicht mit der Innenfläche seiner Hand: Genauso hatte er sich diesen Moment ausgemalt, seit er ihr zum ersten Mal begegnet war und als er in ihre Augen sah, wusste er, dass auch sie ihr ganzes Leben auf ihn gewartet hatte. Endlich, endlich hatte er den Mut aufgebracht, den entscheidenden Schritt zu wagen!
Sie vertraute ihm sofort und spürte instinktiv, dass er gekommen war, um sie aus dem todbringenden Treibsand ihres leeren, langweiligen Lebens zu ziehen. Er musste gar nicht sprechen, sie wusste es längst: Der legendäre Ritter in strahlender Rüstung war gekommen, sie mitzunehmen. Der Held, auf dessen Ankunft unzählige andere einsame Herzen ungeduldig warteten, war zu ihr gekommen und trug statt glitzerndem Wams einen geringelten Matrosenpullover, den er jetzt über seinen Kopf streifte und ihr einen tiefen Seufzer entlockte, als ihr Blick auf seinen muskulösen Oberkörper traf. Mit warmen, ruhigen Händen begann er, sie auszuziehen und nicht einmal wendete er dabei seinen Blick von ihren wunderbaren Augen, die so tiefdunkel waren wie Zartbitterschokolade. Er nahm ihre Hand und führte sie in den nächsten Raum. Nirgends auf dem Schiff gab es eine Uhr, darauf hatte der Holländer geachtet.

Seit zwei Jahren durchkreuzen sie nun die meist kalte und unwirtliche Nordsee und wenn die Vorräte zur Neige gehen, steuert er, der Skipper, einen nahen Hafen an, kellnert einige Tage in den Spelunken des Ortes, um Treibstoff und Verpflegung kaufen zu können. Die Tage auf See sind ausgefüllt mit Ausbesserungsarbeiten am inzwischen recht maroden Schiff und die Nächte sind die Erfüllung aller jemals geträumten Träume. Sie weiß noch immer nicht seinen Namen, aber das scheint ihr auch unwichtig. Er bereitet ihr jeden Tag mühelos unvergessliche Augenblicke, hat ihr den Glauben an ein lebenswertes Leben zurückgegeben. Sie IST sein Leben und es gibt keine Distanz oder Fremdheit zwischen ihnen, obwohl sie selten sprechen. Wichtige Dinge können auch ohne Worte gesagt werden.

Die Küstenbewohner wundern sich jede Nacht über merkwürdige, tanzende Lichter auf dem unruhigen Meer. Sie erzählen sich unheimliche Geschichten über den Klabautermann und den Fliegenden Holländer und es halten sich hartnäckig die Gerüchte, wonach diese blitzenden Lichter ganz kurz so hell strahlen wie 10 Sonnen …

Ende

Drei – ANDERE –

Bremerhaven
Das Verschwinden einer 32jährigen Verkäuferin am Donnerstag vor zwei Wochen gibt der Polizei noch immer Rätsel auf. Das Auto der allein und zurückgezogen lebenden Frau wurde in den frühen Morgenstunden auf einem einsam gelegenen Parkplatz am Weserufer gefunden. Vermeintliche Blutspuren im Inneren des Fahrzeugs wiesen zunächst auf ein Gewaltverbrechen hin, doch handelte es sich lediglich um Rotweinflecken teilte der Polizeisprecher mit. Zuletzt gesehen wurde die blonde, schlanke Frau im Fitnessclub Südstadt, wo sie sich gegen 22.00 Uhr verabschiedete. Auf dem Parkplatz des Centers soll sich zu dieser Zeit ein etwa 40jähriger Mann in einer gelben Regenjacke aufgehalten haben, der nach Zeugenaussagen auch kurz mit der Vermissten gesprochen haben soll. Die Polizei konnte diesen Mann noch nicht ermitteln und hofft weiter auf sachdienliche Hinweise aus der Bevölkerung.

Fortsetzung folgt

Aua!

Schon wieder Schmerz! Aus dem Hinterhalt traf mich beim unschuldigen Rundgang durch Blogdorf fies und schmerzhaft eine Kanone von Schneeball an der Schulter, abgefeuert von Herrn Mephisto, dem ich eine solche Perfidie gar nicht zugetraut hätte sofort hätte ansehen müssen. Bestimmt war in diesem Schneeball ein Stein versteckt und so muss ich neben einem Kopfverband nun auch mit gegipster Schulter den Weihnachtsbaum schmücken. Teuflischen Dank dafür!
Wenn ich genau darüber nachdenke, ist dies aber eigentlich eine hübsche Idee, kurz vor dem vorgeblich friedlichen Fest eine Schneeballschlacht zu veranstalten und so forme ich mit blaugefrorenen Händen, weil ich meine Handschuhe mal wieder nicht orten kann, vier richtig bombige Bälle, drücke den kalten Schnee mit klammen Fingern fest und fester und werfe mit dem verbliebenen, gesunden Arm … auf Frau barbara, Frau Anne, Frau babs und Frau socki.
Feuer frei!

Ach, übrigens, ich bekam heute ePost von Jesus. Der wollte mir irgendwelche finanziellen Transaktionen schmackhaft machen. Himmel, die müssen es wirklich nötig haben, da oben!

moggadodde

Sternenschauer

Erstaunlich ruhig und mit zivilisierten Mitkunden konnten wir heute unsere Weihnachtseinkäufe in trockene Tücher bringen. Weder sich um die letzten Parkplätze prügelnde Menschen noch lange Schlangen gab es im frisch renovierten Supermarkt unseres Vertrauens. Sehr dezente, eigentlich kaum wahrnehmbare Weihnachtsmusik erklang, auch diesbezüglich hatte ich mit dem Schlimmsten gerechnet, denn meist verfallen die betriebswirtschaftlichen Verkaufsstrategen dem Trugschluss: „Je lauter das Gedudel desto lauter die klingenden Kassen“ und vertreiben mich so aus dem Laden. Auch ist der neue Supermarkt prima ausgeleuchtet, nicht zu grell. Ich mag es nämlich nicht, wenn die anderen Kunden und ich aussehen wie gerade der Gruft entstiegene Zombies. So macht einkaufen (leider) Spaß. Bei den tropischen Früchten hielt ich mich heute sehr lange auf und bewunderte die fremdländische Auslage. Granatäpfel, Passionsfrüchte, eine Baby-Ananas, eine chinesische Pomelo und eine Pitahaya oder Drachenfrucht werden unseren Heilig-Abend-Nachtisch bilden. Eine junge Frau sprach mich an und fragte, ob ich denn irgendwo Sternanis sehen würde. „Ja“, antwortete ich grinsend, „bestimmt, wenn wir uns jetzt in der Gewürzabteilung befänden“. Die Arme lief ganz rot an und jetzt lachten wir beide laut los. Sie suchte tatsächlich Sternanis, ihr Gehirn führte sie aber zu den Sternfrüchten und ich sagte, sie solle sich keine Sorgen machen. Jetzt, wo auch noch dieser verflixte Bethlehem-Stern ins Spiel käme, könnte so ein Gehirn schon mal durcheinander kommen und ob sie vielleicht auch noch einen Mercedes fahre oder in letzter Zeit sternhagelvoll gewesen sei …

Sterne habe ich heute auch schon gesehen, allerdings eher unfreiwillig und nicht so wie beabsichtigt. Welcher minderbemittelte Doppeldepp hat das Märchen in die Welt gesetzt, dass der Vollzug des Beischlafs, ehelich oder nicht, unter den prasselnden Strahlen der handelsüblichen Massageduschköpfe die erwartungsfrohen Teilnehmer adäquat befriedigen könnte? Unsere Standard-Badewanne (mit aufzuklappender Spritzschutzwand!) jedenfalls ist für derlei Aktivitäten zuallererst einmal viel zu eng und obendrein rutschig wie eine Autobahn bei überfrierender Nässe. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen: Auch nach mehrmaligen, zeitversetzten Versuchen bringt diese viel gepriesene Variante zumindest für mich nicht die erhoffte Wirkung. Hektisches Hangeln nach spärlichen Haltemöglichkeiten, permanente Rutschgefahr und die scheinbar immer näher rückenden Wände lassen den Aufwand-Nutzen-Effekt unverhältnismäßig erscheinen und sind so in den betreffenden Szenen diverser Zelluloid-Produkte auch nicht gezeigt. Das Risiko einer schweren Kopfverletzung angesichts der hohen Dichte der umgebenden Kacheln und der massiven Badewanne ist letztlich einfach zu groß und wir werden uns hier Alternativen eröffnen müssen, um das Schiff in Schwung Schoner und Rebecca in Fahrt zu bekommen. Vielleicht war die Verwendung eines Mangobutter-Peelings hier kontraproduktiv, vielleicht hat Hoover-Boy aber auch die Wanne nur zu gründlich geputzt …

Euch einen sauberen Abend wünscht
moggadodde

Zwei – ER –

Sie braucht mich und sie wird mich bekommen, sie weiß es nur noch nicht. Ich stehe Stunde um Stunde in der Schmuckabteilung im „Geschenkeland“, drücke mich um die gläsernen Schaukästen herum. Im Trubel der besinnlichen Zeit verschmelze ich mit den Massen kaufwütiger Menschen und errege keinerlei Aufmerksamkeit, obwohl ich jeden Tag hier bin. Die Verkäuferinnen haben genug damit zu tun, überteuerte Preziosen an die Kundschaft zu bringen und verwenden ihre Kraft darauf, sich ihre Unlust nicht anmerken zu lassen. Meine Liebe sitzt auf ihrem unbequem aussehenden Drehstuhl, fleißig und freundlich wie immer. Sie trägt heute wieder den hellbraunen Pullover und ihr langes, blondes Haar ist offen. Ich weiß alles über sie. Sie kennt mich noch nicht aber ich kenne sie und ihr Leben so gut wie mein eigenes. Ihr Tagesablauf ist mit einigen, kleinen Ausnahmen, immer gleich. Sofort nach der Arbeit geht sie zu ihrem gelben Auto, kauft noch einige Kleinigkeiten und fährt danach gleich in ihre kleine Erdgeschosswohnung, wo sie allein in der Küche sitzt, schwermütig machende Musik auflegt und darauf wartet, dass der einsame Abend ein Ende nimmt. Sie wäscht am Mittwoch die Bunt- und am Freitag die Kochwäsche. Jeden 2. Samstag im Monat geht sie ins Kino (allein) und donnerstags besucht sie ein Studio, um ihre aufregende Figur zu behalten. Ich sehe sie auch hier, beobachte ihr Muskelspiel und es erregt mich zuzusehen, wie sich auf ihrem grauen Shirt immer größere Schweißflecken bilden. Bald, sehr bald wird sie mir gehören. Unsere Körper werden vereint, unsere beiden Herzen werden im Rausch der ersten, lange ersehnten Liebesnacht ins Feuer der ungebremsten Leidenschaft geworfen werden und hervorgehen als ein einziges, pulsierendes Organ, mit der Kraft von 10 Sonnen.

Fortsetzung folgt …