Nachrichten machen generell keinen Spaß, es sei denn, es wird etwas Erheiterndes über hungerhakige, straffällig gewordene Hotelerbinnen oder temporär glatzköpfige, dackeläugige Sängerinnen berichtet.
Als ich vorhin frühzeitig und ganz spontan die Katakomben verließ und für den Heimweg den Nachrichtensender wählte, war natürlich der Doping-Sumpf, der inzwischen ungeahnte Ausmaße erreicht hat, das beherrschende Top-Thema. Seit Herr Dietz beim dampfplaudernden Dauergrinser Herrn Beckmann am Montag die Büchse der Pandora geöffnet hat, rollen Köpfe unaufhörlich wie Zuckerkugeln aus einem löchrigen Becher mit Liebesperlen. Heute war neben Herrn Aldag auch Erik Zabel fällig. Das Ergebnis der Pressekonferenz dürfte inzwischen durch das Land gerauscht sein. Von Flensburg bis Garmisch und von Görlitz bis Trier redet jetzt jeder Deutsche über die Verfehlungen der Radprofessionellen. Skandal! Doping im Hochleistungsradsport! Unmöglich! Hängt sie höher! Ach was: Teert und federt sie!
Was für eine Heuchelei. Der Radzirkus heißt nicht umsonst so. Um die Gunst der Zuschauer, die Gelder der Sponsoren und zu guter Letzt auch den Job nicht zu verlieren, greifen die Sportler zu unerlaubten Substanzen. Sie müssen schließlich ihre Arbeitgeber und das zahlende Publikum durch erstklassige Leistungen ständig und pausenlos bei der Stange halten, wenn sie in der nächsten Saison nicht als Verkäufer bei Sport-Müller hinter dem Tresen stehen wollen. Um die Fangemeinde bei Laune zu halten (genau jene Gemeinde, die jetzt die Sportler als Sau durchs Dorf jagt), die immer und immer wieder noch überragendere Leistungen fordert und einen Misserfolg sofort und brutalst abstraft und um alle finanziellen Interessen des „Stalls“ (noch eine Bezeichnung, die in den Kontext passt) zu wahren, verkaufen sich die Sportler freiwillig selbst. Sie prostituieren sich wie Frauen in den einschlägigen Etablissements, die ebenfalls Geld damit verdienen und niemand echauffiert sich, wenn Nadine K., um ihr Geschäft anzukurbeln, mit Silikon nacharbeiten lässt oder die eine und andere Botoxladung einpfeift, damit die Kunden sich wieder die Klinke in die Hand geben. Herr Stallone dopt, damit ihm die Fans auch in Rambo 12 noch den Muskelprotz abkaufen und wenn ich selbst morgens nicht in die Gänge komme, nehme ich ein oder zwei Pillen, um mich besser zu fühlen und den Chef der Katakomben mit meiner leistungsfähigen Anwesenheit beglücken zu können, damit er mir am Monatsende ein paar Kröten aufs Konto wirft. Etwas anderes machen die professionellen Radfahrer im Prinzip in meinen Augen auch nicht.
Wer sich diese brutalen Anstiege und mörderischen Serpentinenetappen nur z.B. bei der Tour de France anschaut, kann nicht allen Ernstes behaupten, dass eine Bewältigung dieser Strecken in Fabelzeiten, die ein Herr Landis vorgegeben hat, ohne den Einsatz leistungssteigernder Mittel überhaupt möglich sein kann. Wer von der Konstitution, physisch und psychisch nur ein bisschen schwächer ist, verfällt auch aus Angst vor dem Verlust des Rangs in der Mannschaft und letztendlich des Arbeitsplatzes leicht auf den Gedanken, den unwilligen Muskeln und dem nicht ausreichend gesättigten Blut ein wenig auf die Sprünge zu helfen; genug kundige Mediziner sind ja auch spritzkräftig zur Stelle. Schließlich machen das ja alle. Ist ja nichts dabei. Ich darf mich nur nicht erwischen lassen. Dann fahre ich nächstes Jahr auch wieder mit.
Ich bin absolut nicht dafür, Doping zu legalisieren, im Gegenteil. Aber ich habe zumindest Verständnis für Menschen wie Zabel, die dem ungeheuren Leistungsdruck seitens einer gierigen Öffentlichkeit und eines profitorientierten Arbeitgebers irgendwann nachgeben und schwach werden. Vielleicht hätte ich an seiner oder an Stelle der anderen das Gleiche getan.
Euch einen hellwachen Abend wünscht
moggadodde