Beim Abendessen gestern fragt Dixie, mit vollem Mund und reichlich nuschelnd: „mampfmampf Wer war mampfschmatz eigentlich schmatzmampf Fletcher?“ Ich, um das Bildungswohl meiner Kinder stets besorgtes Muttertier, hebe ad hoc zu einem langatmigen Monolog über Horace Fletcher an, der das „fletschern“ erfunden hat, eine umfassende Kautechnik, die die optimale Verstoffwechselung der genossenen Speisen gewährleisten soll. „Hä? Ich denk‘ der war Schauspieler“, wirft Dixie ein und ich bitte sie, den Namen zu wiederholen. „Hiiith Ledscher!“ sagt sie, diesmal mit sauberem Tiiiäitsch und geleerer Futterluke.
Zur Persona Heath Ledger kann ich nicht halb so viel erzählen wie zu Horace Fletcher und ich beschließe, entweder öfter zum Arzt zu gehen oder meiner Lektüre mehr Yellow Press unterzumischen, um mitreden zu können.
Zuletzt gelesen habe ich übrigens das „Kochbuch des Kannibalen“, die nicht uninteressante, detailreich erzählte Geschichte um ein in Familienhand liegendes Restaurant in Buenos Aires und seine zahlreichen, begnadet begabten Besitzer über mehrere Generationen hinweg.
Der irreführende Titel soll wohl eher die blutrünstige Leserschaft ködern (was bei mir ja funktioniert hat), aber außer einem Gastronomen, der als monströser Säugling seiner Mutter die Brustwarze abbeißt, worauf die Arme einem Herzschlag erliegt und einer Wiederkehr des Kindes als Erwachsener am Ende des Buches, wo er mehr aus Not denn aus gourmetösen Gründen einige Leute meuchelt und auf die Speisekarte setzt, kommen die Kochkünstler allesamt ohne Menschenfleisch in der Küche aus. Die verlagsseitige Bezeichnung „kulinarischer Thriller“ ist, so finde ich, genauso verfehlt, wie Herrn Ledger und Herrn Fletcher in einen Topf werfen zu wollen, nur weil sich’s reimt. „Eine kulinarische Familienhistorie“ hätte eher gepasst oder „Argentinische Geschichte aus der Sicht kochender, italienischer Immigranten“, was zwar treffend, aber natürlich zu lang gewesen wäre. Mit der gewählten Bezeichnung „Ein kulinarischer Thriller“ tut der Verlag dem Buch, das für mich nicht das Mindeste mit einem Thriller gemein hat, leider ziemlich Unrecht.
Nicht jedes Buch, in dem gestorben, geblutet und ein bisschen gemordet wird, ist gleich ein Thriller und ich hege den leisen Verdacht, dass dieses Wörtchen in letzter Zeit sowieso reichlich inflationär gebraucht wird, um Auflage, Verkaufszahlen und gewinnträchtige Rankings zu pushen.
Aufgrund der blumigen Wortwahl, der anregenden, obgleich anspruchsvollen Rezepte und des besonderen Plots (sogar der gute, alte Che und Frau Perón werden eingestrickt) hat mich die Lektüre ganz gut unterhalten und das Cover
passt als Accessoire in meine Küche. Mehr aber auch nicht.
Jetzt hab‘ ich Hunger und mach für die Meute ganz profan und unargentinisch Schupfnudeln mit Sauerkraut aber ohne Schnickschnack und ihr denkt bitte daran: Immer ordentlich fletschern!
Euch einen appetitlichen Abend wünscht
moggadodde
Man lernt ja meisten etwas bei einem Besuch bei dir; Fletcher kannte ich nicht aber das: „Die Tatsache, dass Fletcher 1919 bereits mit 69 Jahren nach einem Herzschlag starb, reduzierte die Anhängerschaft der Fletscher-Methode deutlich.“ finde ich dann wieder richtig lustig :-))
Kafka soll ja eine zeitlang Anhänger des „Fletcherns“ gewesen sein.
Hm, der Küchenthriller sieht wirklich ganz nett aus, aber ich stimme dir zu, Mogga: Das Thriller – Etikett wird arg strapaziert.
@ Georg: Ja, da wurde der arme Horace Opfer seiner eigenen Idee … Aber gut kauen ist trotzdem wichtig!
@ frater aloisius: Er ist ja früh gestorben, der Herr Kafka. Dass er auch Fletscherist war, wusste ich nicht.
Dem Buch lag übrigens ein Rezeptheftchen bei, mit sehr auserlesenen Versuchungen, aufwändig und schwierig. Leider ist es zwar hier schon verschütt gegangen, aber wie ich mich kenne, hätte ich davon eh nichts ausprobiert 😉