Alttag

„Ha! Wer bist denn du?“ begrüßt mich die Oma und als ich sie aufkläre, wer ich bin und dass ich zu ihrer zahlreichen Enkelschar gehöre, sagt sie: „Du bist aber auch runder geworden!“, was mich nicht verwundert, denn meine Oma nimmt kein Blatt vor den Mund, auch wenn ihr altes Gehirn nicht mehr so will wie sie. Ihre komische Tochter, die meine Tante ist, kommt auch vorbei und behauptet, Oma mache das absichtlich. „Die weiß noch mehr, als du denkst“, sagt sie zu mir. „Die strengt sich nur nicht an beim Denken“ und „Alles schiebt sie schiebt auf ihr Alter, nur damit sie nicht nachdenken muss!“ bezichtigt sie meine Oma, wo ich ihr widerspreche, denn niemand mit intaktem Denkapparat erzählt in einer halben Stunde dreimal das Gleiche und hält es selbst jedesmal für eine brandheiße Neuigkeit, aber die Tante besteht darauf, dass die Oma gar nicht so wirr ist, sondern einfach nur denkfaul.
Am Ende des Besuchs drückt mir die Oma zwei Tafeln Noisette in die Hand und sagt: „Da, hastn Schoggi. Du kannst des ja verdraaach … Hast abgenomme, gell?“ und ich weiß ganz genau, dass sie in einer Stunde bestreiten wird, dass ich überhaupt da gewesen bin. Später habe ich mir dann ausgemalt, wie es denn um mich so stehen würde, wenn denn überhaupt so viele Jahre auf den Buckel kriegen sollte und hab‘ den Gedanken schnell wieder verdrängt.

Es ist schon paradox, irgendwie: Alt werden will jeder, aber alt sein will niemand. Nur gut, dass man sich das nicht aussuchen kann …

Euch einen denkwürdigen Tag wünscht
moggadodde

Montag

Es schüttet wie aus Eimern, es wird nicht richtig hell – es ist ein Montag, wie man sich ihn vorstellt, an dem man am liebsten im Bett bleiben und sich die Decke über die Ohren ziehen möchte.
Hank schreibt heute eine Mathearbeit, vor der er schon seit gestern Bammel schiebt, Dixie darf in dieser Woche bei einem Betriebspraktikum erfahren, inwieweit sich die reale Arbeitswelt von den gammeligen Schulbänken unterscheidet und hatte heute ebensoviel Muffensausen und dazu eine Laune, die in der Summe der von 5 Montagen entspricht.
Der MamS wiederum, Computerphobiker par excellance, muss sich heute im Büro mit einem neuen Programm auseinandersetzen, von dem er genauso viel Ahnung hat wie ein Milchbrötchen von Astrophysik und ich habe von allen noch die beste Karte gezogen, indem ich meine verwirrte Oma zum 87. Geburtstag besuche. Bestimmt zeigt sie mir wieder ächzend jedes einzelne Zimmer ihres Hauses und ist erstaunt, wenn ich ihr sage, dass sie mir die Zimmer jedes mal zeigt. Bestimmt will sie mir ausrangierte Bettwäsche schenken und „gliedgute“ Mäntel meines verstorbenen Opas. Bestimmt kocht sie Kaffee und serviert Kuchen auf Geschirr, auf dem noch Reste des Essens vom Sonntag kleben. Bestimmt weiß sie nicht mehr meinen Namen und fragt, ob ich denn verheiratet bin oder eventuell sogar Kinder habe, was immer wieder deprimierend ist. Ein Montag, also, wie er im Buche steht.

Euch einen schönen Tag wünscht
moggadodde

A bissl Schwund is immer …

Heute hab’ ich mal wieder ganz deutlich gemerkt, dass ich schon geschrumpft bin. An das Equipment ganz hinten oben im Kücheneckschrank bin ich vor ein oder zwei Jahren auf Zehenspitzen stehend noch mit knapper Not rangekommen. Vorhin musste ich Dixie bitten, mir die Ako-Pads aus dem letzten Eck zu holen, mittlerweile überragt mich mein Töchterle schon um eine Handbreit, Tendenz himmelarschundzwirn steigend.
Bis zu 6 cm an Körpergröße verlieren Frauen im Alter, bis zu 3 cm die Männer, habe ich jetzt gelesen, wobei die Herren noch insofern die Arschkarte gezogen haben, als sie nicht nur insgesamt an Länge verlieren sondern auch zusätzlich noch an anderweitigen, anhängenden Körperteilen.
Nun bin ich von Haus aus schon nicht mit giraffenartigen Maßen gesegnet gewesen, soll heißen, im Zenit meines Wachstums habe ich gerade mal 167 lumpige Zentimenter an die Latte gebracht. Im schlechtesten Fall würde ich also auf 1,61 m zurückfallen und wäre damit schon fast ein Fall für die Schädlingsbekämpfung.

Solange ich mir aber zum Gasgeben noch keine Klötzli an die Füße binden muss, ist bestimmt noch alles noch im grünen Bereich und immerhin passen mir die eingelaufenen Jeans irgendwann wieder. Damit mein Gehirn mit der schwindenden Körpergröße Schritt halten kann, schenke ich mir gerade noch einen hübschen Bardolino ein, denn mein Denkzentrum schrumpft bei der Aufnahme von alkoholischen Getränken auch. Muss ja alles im Gleichgewicht bleiben, gell?

Euch einen hochgeistigen Abend wünscht
moggadodde