3.
Mr. Taorang greift sich die kleinen Beutel, stopft sie in die große Tüte und geht ohne ein weiteres Wort damit aus dem kleinen Kabuff. Ich habe elendiges Schädelweh und nehme einen Schluck aus dem Plastikbecher, den mir einer der Wächter gerade auf den Tisch gestellt hat. Das Zeug schmeckt gechlort und ist brühwarm und ich würde alles geben wenn irgendwer mit einer leckeren, kühlen Sprite auftauchen würde. Wenn mir hier niemand glaubt, bin ich ganz schön aufgeschmissen, schätze ich und versuche schon mal, mich an ein paar Tricks aus meiner Kampfsportzeit zu erinnern, die ich im Knast sicher werde anwenden müssen. „Ach was“, ich tippe mir in Gedanken selbst an die Stirn: Nachher sitze ich mit einem Cocktail am Pool, lasse mir einige Schüßler-Pastillen auf der Zunge zergehen und lache mich kringelig über diese Episode.
Ich zähle die Umdrehungen des Deckenventilators über mir, der die stickige Luft hier im Zeitlupentempo verquirlt und nach fast genau 386 Runden kommt Mr. Taorang zurück. Er trägt einen unübersehbar traurigen Gesichtsausdruck zur Schau und ich habe schlagartig überhaupt keinen Zweifel mehr daran, dass er mich in Ketten legen und in die örtliche Haftanstalt verschieben lassen wird.
Sofort erfasst mich verzweifelte Panik. Keine einsame Sau in Thailand wird jemals von Schüßler-Salzen gehört haben und bis meine Unschuld endlich bewiesen wird, bin ich längst im Knast verschimmelt. Mr. Taorang hat die Tür offen gelassen, weil die Atemluft in diesem Raum schon lange verbraucht ist und das nehme ich als Zeichen, mich um meinen sofortigen Aufbruch zu kümmern. In einer Art äußerst kurzfristiger Kurzschlusshandlung springe ich vom Stuhl, umklammere die Jacke mit meinen Papieren und ramme Mr. Taorang blitzschnell und mit voller Pulle meinen kurz frisierten Kopf in den Magen. Er klappt zusammen und krümmt sich am Boden, aus den Augenwinkeln sehe ich noch, wie der Bonsai aufspringt um mich zu fassen, aber er verheddert sich mit dem Fuß im Telefonkabel und knallt bäuchlings neben Mr. Taorang auf die häßlichen, senfgelben Fliesen. Mit einem sensationellen Satz hechte ich über die beiden Männer und heize sofort los, um den Ausgang zu erreichen. „Nix wie raus hier“, das ist mein einziger Gedanke und wenn ich unter normalen Umständen schon wieselflink bin, hier in dieser brenzligen Ausnahmesituation bin ich schneller als jeder gedopte Sprinter dieser Erde.
Hinter mir höre ich die Trillerpfeife des Bonsais erneut, der zähe kleine Kerl hat sich offenbar schneller von seinem Sturz erholt, als mir lieb sein kann, sofort schälen sich nämlich einige bewaffnete Uniformen aus dem Gewusel und heften sich an meine Fersen.
„Stop!“ und „Cut off her way!“ höre ich vielstimmig hinter mir, doch plötzlich sorgt ein einzelner Schuss für sofortige Ruhe. Noch ehe ich ihn richtig höre spüre ich, wie sich die dabei ausgespuckte Patrone tief in meinen Rücken bohrt.
Nun bin ich diejenige, die zu Boden geht und mein letzter Blick trifft ausgerechnet den hessischen Babbelsack aus dem Flugzeug, der mit offenem Schnabel und kuhgroßen Augen staunend mein unausweichliches Dahinscheiden betrachtet. „Mach’ den Mund zu, es zieht!“ will ich ihm zurufen, aber weil das blöde Geschoss offenbar meine Lunge perforiert hat, bringe ich nur ein gurgelndes „Aaarrghhhhhhhhhhh“ heraus.
Als ich meine Augen wieder öffne, liege ich in einem Gitterbett allein inmitten eines cremeweiß gestrichenen Raums und mir baumeln ein paar Plastikschläuche aus dem rechten Handrücken. Ringsum sind Palmen und maritime Szenen an die Wände gemalt und ich frage mich benebelt, ob das Nirwana auch über einen Sanitätsbereich mit Wellnesscharakter verfügt.
Erschossen zu werden tut jedenfalls ziemlich weh, das kann ich jetzt ja beurteilen. Jeder Atemzug schmerzt und ich verspüre einen Hauch von Zweifel: Wenn ich wirklich tot und im Himmel wäre, dürfte ich doch unmöglich Schmerzen haben, oder? In der Ecke steht mein roter Samsonite und ich überlege, ob man ins Jenseits auch für Übergepäck bezahlen muss, als sich die Tür quietschend öffnet und Gott den Raum betritt, offenbar um mich zu begrüßen. Ich wundere mich heftig, dass Gottes Antlitz aussieht, als sei es dem großen Mr. Taorang vom Bangkok Airport aus dem Gesicht geschnitten. Er trägt, anders als ich ihn von Bildern kenne, keinerlei Rauschebart und keine Spur von wallendem Haupthaar und als Gott eine Plastiktüte hinter seinem Rücken hervorzaubert, in der viele kleinere Tüten und eine große Menge an Tabletten sind, gelange ich zu der Erkenntnis, dass ich gar nicht tot bin und der Typ hier auch gar nicht Gott ist, sondern vielmehr Mr. Taorang leibhaftig vor meiner Pritsche steht und mit den konfiszierten Schüßler-Salzen wedelt.
„Sie haben etwas vergessen, Miss Jansen!“, sagt er verschmitzt lächelnd. „Dass auf Sie geschossen wurde, war ein großes Missverständnis, für das ich mich nun auch persönlich in aller Form entschuldigen kann.“ Er fährt fort, dass er die Pastillen noch am Flughafen einem Drogen-Schnelltest unterzogen hätte und gerade als er mir mitteilen wollte, dass alles in bester Ordnung wäre, sei ich wie eine verrückte Furie auf ihn losgegangen. Er streichelt sich den Bauch während er erzählt, dass der Bonsai-Zollbeamte die Gemengelage völlig missverstanden hätte und den überzogenen Schusswaffengebrauch inzwischen an seiner neuen Wirkungsstätte als Bademeister im Bangkoker Hallenbad überdenken dürfe, was mir persönlich überhaupt kein bisschen Leid tut. Selbstverständlich gingen sämtliche Kosten meines bisher recht unerfreulichen Thailand-Trips auf Kosten der Flughafenverwaltung und meinen geplanten Aufenthalt im „Asian Paradise“ dürfte ich auch noch umsonst antreten, sobald ich wieder auf den Beinen sei.
„Kann ich noch etwas für Sie tun?“, fragt Mr. Taorang. Ich bejahe und gebe mir Mühe, erschöpft auszusehen. „Geben Sie mir die Tüte! Die ‚Heiße 7’ ist jetzt genau das, was ich brauche. Wenn Sie sich eingehender mit der Sache befassen werden Sie sehen, dass es unter den Schüßler-Salzen auch für Ihre Beschwerden eine passende Nummer gibt!“, referiere ich salbungsvoll und meine es absolut ehrlich.
Unter vielen weiteren Entschuldigungen und asiatisch tiefen Verbeugungen zieht Mr. Taorang schließlich Leine. Ich lutsche mich bedächtig und erleichtert durch die Mineralsalzpalette und fühle förmlich, wie die Schüßler-Salze sich ins Zeug legen, um meinem ramponierten Organismus wieder in den Sattel zu kriegen.
Ein leichtes Stöhnen muss ich zwar schon unterdrücken, als ich auf den Tisch fasse, der direkt neben dem Bett steht. Endlich öffne ich aber gleich darauf gespannt mein hellblaues Brillenetui, in dessen doppelter Wand ich erleichtert ein pralles Tütchen mit erstklassigem Florida Snow zwischen meinen Fingern ertaste. Wäre ich damit aufgeflogen, hätte ein Lungensteckschuss mein kleinstes Problem dargestellt, überlege ich und grinse breit.
Nochmal stehe ich so ein Affentheater nicht durch, soviel ist sicher. Im nächsten Jahr verbringe ich meinen Jahresurlaub todsicher im Allgäu.
– Fortsetzung folgt nicht. Das ist nämlich das Ende. –
Ich kommentiere erst jetzt, weil ich den ganzen Teil dieser Story lesen wollte. Wenn Du ihn nicht mit einem gewissen Charme geschrieben hättest, könnte man glauben, dass es doch nicht sien kann, was dort passierte. Ich hoffe, dass Du dennoch deinen Urlaub erfolgreich mit Salzen verbringen konntest. 🙂 Habe gleich mal Mr. Google nach deinen angepriesenen Salzen befragt.
@ Nordlicht: Eine Kollegin, die sich mit der Schüßler-Sache besser auskennt als der Fuchs in seinem Bau, ist am Montag mit ihrem Sohn nach Zypern geflogen. Weil sie erzählt hat, dass sie ihre Salzkollektion mitnehmen wolle, um dort gegen alles gefeit zu sein, habe ich sie gefragt, wie sie denn im Fall einer Kontrolle ihre Pillenarmada erklären will und sie gab zu, sich damit noch gar nicht beschäftigt zu haben. Bisher ist sie noch nicht wieder da. Vielleicht sitzt sie auch schon in einem zyprischen Kabuff …
Sehr schöne Geschichte. Ich habe mich köstlich amüsiert. Die exaltierte Tussi mit den Schüsslersalzen! Brillant!
@ socki: 😀 – Die echte Frau, die Vorlage für die Geschichte war, hat eine so penetrante Stimme, die sich wie ein 8er-Bohrer durch die Schädeldecke des Zuhörers frisst. Die hätten sie dort im Kabuff nicht lange behalten 😉
Tolle Geschichte. Ich habe auf dem Boden gelegen vor Lachen.
Du solltest Dir überlegen, ob Du nicht noch mehr solcher Geschichten weisst und sie dann als Buch veröffentlichen.
@ yeow: Du bist nett, danke! Mittlerweile bin ich aber zu der Erkenntnis gekommen, dass der Plan „Buch“ nur noch hintere Priorität hat. Für eine Veröffentlichung im größeren Rahmen bin ich doch viel zu mies, wenn ich nicht noch DIE zündende Idee für eine Geschichte habe …
Wenn ich euch damit hier wenigstens mäßig unterhalten kann, ist das ja auch schon nicht zu verachten …