2.
Auf den zweiten Blick sah ich einen imposanten, griechisch-römisch anmutenden Zinken, der sich zwischen zwei nutellabraunen Augen erhob, die ihrerseits von dunklen, gebogenen Wimpern bekränzt wurden, was dem maskulinen Gesicht, das mir da gegenüber saß, einen weibischen Touch verlieh. Insgesamt sah der Typ aber trotzdem gar nicht übel aus und das schien er auch zu wissen. Sofort ging er in die Offensive: „Hi, ich bin Kostas, esse am liebsten Knödel und suche eine Frau.“
Ach, ein Witzbold! Na, da konnte ich mithalten: „Ich bin Vera, hasse Ouzo und wurde gezwungen, herzukommen!“ erwiderte ich offenherzig.
„Du siehst nicht so aus, als ob man dich zu irgendetwas zwingen könnte“, meinte er mit, wie ich meinte, süffisantem Unterton. Ich packte meinen gehässigen Blick aus und fragte, ob das eine Anspielung auf meine möglicherweise etwas kompakte Figur sein sollte. „Falls ja, kannst du dich gleich verpfeifen, Monobraue!“, zischte ich hinterher.
Jetzt wurde er tatsächlich rot über dem Kragen seines nachlässig gebügelten Button-Down-Hemdes und beinahe bedauerte ich meinen Ausbruch. Aber wirklich nur beinahe.
„Ich bin nicht sonderlich geübt in solchen Sachen. Entschuldige!“, sagte er zerknirscht. Ich nippte an meiner Schorle und sagte in versöhnlicherem Ton: „Lass stecken. Genau genommen bin ich auch schon länger nicht mehr im Training. Aber in puncto Figur habe ich schon vorher keinen Spaß verstanden“ versicherte ich und beschloss, ihm noch eine Chance zu geben. „Also“, fing ich an, „was gibt es noch über dich zu sagen, Knödelfreund?“
Kostas erzählte, dass er seit kurzem Betreiber eines kleinen Enthaarungsstudios in der Innenstadt sei. „Wir Griechen kennen uns schließlich aus mit überschüssiger Körperbehaarung!“ ergänzte er lächelnd und fuhr sich mit der Hand durch die dichten Locken, die sein Gesicht dekorativ umrahmten. Ich kannte seinen Laden: Am „Hairkules“ kam ich öfter vorbei und über die zur Eröffnung verteilten Buttons mit der Aufschrift: „Ich bin ein Achselfaschingsmuffel“ hatte ich mich köstlich amüsiert.
„Aber die Geschäfte gehen schlecht“, klagte Kostas jetzt, „mein Partner hat sich abgesetzt, meine Freundin ist abgehauen und die Kunden bleiben auch weg. Wenn nicht noch ein Wunder passiert, kann ich den Schuppen bald wieder dicht machen.“
Das berührte mich, ehrlich gesagt, nicht besonders und das sagte ich Kostas gleich, auch wenn ich seine spontane Offenheit mutig fand. Ich könnte nämlich gar nicht verstehen, warum jemand auf die idiotische Idee kommen sollte, sich unter höllischen Schmerzen unerwünschte Haare an ziemlich empfindlichen Stellen herausrupfen zu lassen. Nach meiner Meinung wäre das vergleichbar mit dem Hexenhammer im Mittelalter, mit dem einzigen Unterschied, dass die Frauen sich heutzutage dieser Folter freiwillig nach einem von Männern aufoktroyierten Modediktat unterziehen und der Scheiterhaufen, sprich Behandlungsstuhl, gut gepolstert ist. Während ich Luft holte, um meine Tirade fortzuführen merkte ich, dass mich der gute Kostas verwirrt ansah und den Kopf mit den wirklich herrlichen Locken schüttelte.
„Ähhh“, stammelte er, „das ist doch an den Haaren herbeigezogen!“ und bevor ich ihm meine weiteren Ansichten nahe bringen konnte, zerstörte die „Mööööp“-Sirene unser Geplauder, das eben leidlich interessant zu werden begann.
Das Speed-Dating war offenbar beendet, denn alle standen jetzt auf und sofort war Kostas von einer gackernden Horde Weiber umringt. Ich hatte genug gesehen und gehört und ging grußlos nach draußen, wo Tarek entspannt an einer Laterne lehnte und grinsend an seiner Zigarette zog. „Du Depp!“ rief ich, „schön, dass wenigstens du deinen Spaß hattest!“
„Beruhige dich mal!“, beschwichtigte Tarek. „Einen Versuch war’s doch wert und der letzte Kerl sah doch nicht mal übel aus!“
Damit hatte Tarek völlig Unrecht. Kostas sah nämlich sogar unverschämt gut aus! Durch die Scheibe konnte ich beobachten, wie sich Kostas mit rudernden Armbewegungen aus dem Kreis der offenbar sehr interessierten Frauen zu befreien versuchte.
„Klar, dann nimm ihn doch du!“ entgegnete ich giftig. „Der Typ ist ein menschlicher Ladyshave und bald pleite!“
Ich packte Tarek am Oberarm und zerrte ihn auf die andere Straßenseite. „Für diesen Klops wirst du mich jetzt noch auf einen Absacker einladen!“
Wir kippten noch ein paar Drinks in einer benachbarten Kneipe bevor ich mit Tarek in Richtung Heimat schwankte. Er warf mir mangelnde Flexibilität in Männerfragen vor und ich wies ihn darauf hin, dass er auch nicht sonderlich flexibel reagiert habe, als er vor zwei Jahren seinen damaligen Loverboy Danny mit dem Bofrost-Mann in der Speisekammer erwischt hatte, wo sich beide ihre augenscheinlich alles andere als tiefgefrorenen Lenden präsentierten. Die anschließenden Ermittlungen wegen Körperverletzung waren nur wegen meiner Interventionen und guten Polizeikontakte im Sande verlaufen. Seitdem fühlte er sich nach irgendeiner Art Tarek-Kodex für mein Wohlergehen verantwortlich, was manchmal zwar anstrengend, insgesamt aber beruhigend ist, denn Tarek war noch vor ein paar Jahren eine ziemlich große Nummer im Kickboxen. Außerdem hat er immer was zu Beißen im Kühlschrank, während sich mein Nahrungsmittelvorrat meist in Bier, latschigen Sandwichlappen und Dickmanns erschöpft.
Am nächsten Morgen, die alte Schlampe Schicksal hatte vielleicht auch ein Faible für mich, kam ich zufällig am „Hairkules“ vorbei, als ich für Tarek eine Besorgung machen sollte. Kostas saß, wie ich durch das Fenster sah, am Empfangstresen und blätterte gelangweilt in einer Zeitschrift. Ich hatte ein reichliches Frühstück genossen, was meinen Spontanitätslevel als auch meine Laune ordentlich gehoben hatte, deshalb betrat ich den Laden ohne zu zögern und quasselte einfach drauflos: „Hellas, alter Grieche! Wie viele Dates hast du denn gestern klargefahren?“
„Oha, die Amazone!“ rief er aus. „Wieso bist du gestern so schnell abgehauen? Ehrlich gesagt, die Unterhaltung mit dir hat mir am besten gefallen, obwohl du mich ja ziemlich hast auflaufen lassen.“
„Nimm’s nicht persönlich!“, bat ich ihn, „du warst wirklich der Lichtblick des Abends. Aber nach all den Flachmännern war ich so gefrustet, dass ich ein bisschen streitlustig war. Entschuldige!“
„Angenommen“, grinste Kostas und streckte mir seine behaarte Hand entgegen, die sich seltsam anfühlte, so, als hielte ich ein Wiesel in der Hand. Ich sah mich um. An den weiß gekalkten Wänden des mit Tresen und zwei Stühlen recht spärlich möblierten Entrees waren sepiafarbene Abbildungen von muskulösen Männerbrüsten, formvollendeten Frauenbeinen und sparsam bekleideten Bikinizonen zu sehen. Hinter Kostas trennte ein blau-weiß gestreifter Vorhang den vorderen Bereich von den hinteren Räumen, in denen sicherlich die Folterkammern zu finden waren. In diesem minimalistischen Ambiente wirkte der kompakt gebaute Kostas wie ein haariger Büffel in einem türkischen Bad.