Amazonentod – 3 –

3.
„Ich kann mir nicht helfen“, sagte ich, „schon rein optisch bist du für ein Enthaarungsstudio eine Fehlbesetzung. Hast du schon mal über eine Änderung des Geschäftsfeldes nachgedacht?“
Kostas wirkte beleidigt. Er habe schon immer mit Haaren im Allgemeinen und Enthaarung im Speziellen zu tun gehabt und dieser eigene Laden sei sein Traum. Angefangen hatte es im Schlachthaus beim Abflammen der Schweinehälften, bis er dieser Tätigkeit überdrüssig wurde und sich auf das Enthaaren von Menschen spezialisiert hatte. Ich verkniff mir die Frage, wieso er selbst dann wie Yetis Neffe unterwegs war. Ich hatte zwar noch nicht viel von ihm gesehen, aber wenn ich Augenbraue, Dachstube und Hände richtig deutete, dürfte auch der Rest gut bepelzt sein.
„Sicher bin ich sowieso bald erledigt“, griente er jetzt und wedelte mit einem Papier. „Das ist schon der zweite, anonyme Brief in diesem Monat. Irgendjemand will mich fertig machen!“
Ich sah mir das Schriftstück an, das in klassischer Erpresser-Zeitungsbuchstaben-Collage mitteilte, dass es Kostas „bitta behräuen“ würde, sollte er nicht zum Ende des Quartals das erkleckliche Sümmchen von 100.000 Euro berappen. Weitere „Inschtrukzionen“ würden folgen.

„Tztztz, das tut ja schon beim Lesen weh. Da hat aber jemand ordentlich die Deutschstunde geschwänzt“ stellte ich fest. „Hast du irgendeine Idee, wer dir da ans Bein pinkeln will?“
Kostas schüttelte seine Locken. „Aber im letzten Brief hat der Typ damit gedroht, er würde mir mit Glaspulver präparierte Wachsstreifen unterjubeln. Kannst du dir vorstellen was passiert, wenn ich jemanden damit behandle? Dann bin ich noch wegen Körperverletzung fällig!“
„Bist du sicher, dass es ein Typ ist?“ fragte ich ihn jetzt. „Bist du deiner Ex vielleicht auf die Füße gestiegen oder will sich eine unzufriedene Kundin rächen, weil du ihr die Landebahn versaut hast?“

Wieder schüttelte Kostas den Kopf. Meiner Frage, ob er denn noch nicht bei der Polizei vorstellig geworden wäre, wich er aus. Ich bohrte ein bisschen und es stellte sich heraus, dass das Hairkules gewerbetechnisch nicht gemeldet war. Gewerbesteuer, Umsatzsteuer und sicher sitze einem ständig die Berufsgenossenschaft im Nacken, so käme er ja nie zu Reichtum, meinte er dümmlich. Kostas betrieb also ein schwarzes Studio und hatte nicht mal eine Haftpflichtversicherung. „Du bist ja ein Trottel!“, sagte ich so freundlich ich konnte und Kostas zuckte wieder dusselig mit den Schultern.

Hinter ihm schob sich auf einmal der Vorhang zur Seite und plötzlich sah ich scheinbar doppelt: Ein Mann, der Kostas bis aufs letzte Härchen ähnlich war, trat in den Raum, mit den gleichen Nutellaaugen, der gleichen gebogenen Nase, der gleichen, doch eigentlich einzigartigen Monobraue! Den Kerl gab es doppelt! Ich sah, wie Kostas Eins mich ansah und sich unauffällig aber mit deutlicher Symbolik über die Lippen fuhr, was sicher bedeuten sollte, dass das Thema Erpressung momentan nicht weiter vertieft werden sollte.
„Oh, darf ich vorstellen“, sagte er mit einem plötzlich recht fröhlichen Tonfall, „Vera, das ist mein Bruder Ypsilandis, genannt Yps. Mein Zwillingsbruder!“
Ich rang mir ein Lächeln ab. „Na, das hätte ich nie erraten! Eure Eltern müssen Flokatis gewesen sein!“, versuchte ich meine Überraschung zu übertünchen.
Kostas wieherte laut und schlug mit der flachen Hand lachend auf den Tresen, während Ypsi mich wort- und regungslos anstierte. So sehr sie sich äußerlich ähnelten, ihr Sinn für Humor schien alles andere als gleich zu sein. Seine Augenbraue zuckte kurz und offenbar lag ihm nichts daran, mich kennen zu lernen, denn er fasste seinen Bruder an der Schulter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dass es griechisch war, erkannte ich an den seltsam zischenden „S“-Lauten, die ich aus dem „Olymp“ gut kannte. Dann nickte mir der Kostas-Klon kurz zu, drehte sich um und ging wieder nach hinten, wo kurz darauf eine Tür ins Schloss fiel.
„Tut mir leid“, sagte Kostas, „ich will dich nicht verscheuchen, aber ich muss dringend weg.“
„Schon gut, ich muss auch weiter. Aber wenn du über die Erpressersache reden willst, ruf mich an“, erwiderte ich und kritzelte meine Nummer auf einen Zeitungszipfel. Kostas lächelte und hob die Hand: „Ja, vielleicht mache ich das wirklich!“
Das muss man sich mal vorstellen! Ich! Ich gebe einem Mann ungefragt meine Telefonnummer. Sollte es nach den europäischen Datingstatuten nicht eigentlich umgekehrt sein? Bin ich so tief gesunken? dachte ich noch, als ich hinausging.

Verschwiegenheit gehört nicht zu meinen Kardinaltugenden. Also erzählte ich Tarek die Geschichte brühwarm, als er am Abend auf ein Bier bei mir auftauchte. Er schaute ungläubig aus seinem affigen Ed Hardy-Shirt. „Du wirst dich in diese Räuberpistole doch nicht etwa einmischen wollen!“, ihm war mein aufgeregter Blick offenbar nicht entgangen.
„Tarek“, sagte ich mütterlich, „kein Schwein sagt mehr ‚Räuberpistole’“
„Lenk’ nicht ab, Vera! Du hast den Burschen zweimal gesehen. Der kann dir Gott weiß was erzählen. Vielleicht hat er sich die Story selbst ausgedacht, weil, äh, weil, ach ich weiß nicht! Ich kannte mal einen Griechen, der war tagsüber Industriemechaniker und in der Nacht verzierte er Frauenköpfe mit Sechskantmuttern! Keiner hat das von ihm gedacht, er war der nette Kerl, der keiner Mücke was machte, bis man ihn in flagranti über einer mausetoten Rothaarigen erwischte. Halt’ dich da raus!“ flehte er.
„Es waren Flügelmuttern“, erwiderte ich, „klar erinnere ich mich. Stand ja in jeder Zeitung! Bleib’ mal locker, Schätzchen: Weil du mal einen Griechen mit Schraubentick kanntest, sind jetzt alle Griechen geisteskrank, oder was? Schau mal: Der olle Liberace war schwul und ich habe von seinem Klaviergeklimper sogar ein regelrechte Aversion gegen Tasteninstrumente im weitesten Sinn, weil meine Eltern den Kerl vergötterten und jeden Tag seine Platten liefen. Wenn du mich mit einer Panikattacke sehen willst, spiel auf dem Klavier! Und? Hab’ ich deswegen was gegen Schwule? Siehste!?“ beendete ich meine, wie ich fand, ziemlich schlüssige Argumentationskette.
Tarek weiß, wann er verloren hat. „Und, was hast du vor?“, stöhnte er und nahm einen tiefen Schluck vom Jever. „Jedenfalls rufe ich ihn nicht an“, erklärte ich. „Wenn er sich meldet, sehe ich weiter, wenn nicht, ist die Sache gegessen!“. Insgeheim war mir klar, dass das eine Lüge war. Ich würde am Ball bleiben, das wusste ich. Und Tarek wusste es auch.

2 commenti su “Amazonentod – 3 –

  1. biffo sagt:

    Ich habe gerade gelesen Amazontod

  2. moggadodde sagt:

    Nee, damit bin ich ganz zufrieden 😀

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