Die Holländer, die aus Religionsgründen Anfang des 17. Jahrhunderts aus ihrer Heimat ins Nordfriesische emigriert sind, haben ein Städtchen aus dem Morast gestampft, mit Grachten bestückt und nach dem III. Herzog von SL-Gottdorf netterweise Friedrichstadt genannt. Das war heute mein erstes Ziel.
Unschlagbarer Vorteil des ansonsten lausigen Daseins eines Wintertouristen ist, dass nahezu überall geparkt werden kann und, weil die Parkwächter wohl auch Ostern erst wieder beginnen, sogar meist kostenlos. Gut, Grachtenrundfahrten gibt es, wie gehabt, erst wieder im März, da bin ich aber ehrlich gesagt auch nicht so scharf drauf.
Als ich durch die Gässchen schlenderte, entdeckte ich etwas anderes, das mich viel mehr interessierte: Gar nicht schüchtern klingelte ich beim örtlichen Tierpräparator und erkundigte mich nach dem Präparier-Procedere. Der Herr des Hauses war nicht überschwänglich entzückt über meine Störung seiner Winterruhe, gab aber dann doch erschöpfend Auskunft.
Lediglich frische, unversehrte Fundtiere würden verwendet und entgegen landläufiger Meinung nicht ausgewaidet und meine anfangs geäußerte Vermutung, der Vorgang der Präparation würde dem Hagens-Verfahren ähneln, erwies sich als grundfalsch. Das Fell oder Federkleid oder was da halt so dran ist, würde wie bei einem Hasen abgezogen, das darunter liegende Fleisch und die Muskulatur würden abgetragen. Nach dem so entstehenden Vorbild formt man entweder aus Kunststoff oder aber in dem von ihm vorgezogenen Verfahren aus Holzwolle den neuen Körper, und hat für den Rest künstlerisch freie Hand, kann also entscheiden, ob das Tier sitzt, steht, liegt, fliegt, sich windet oder was immer. Schlussendlich wird das Ganze mit dem anfangs sorgsam abgezogenen Gefieder/Fell/Haut wieder verkleidet. Das war eklig zu hören und ich würde mir auch sicher kein ausgestopftes Tier ins Haus holen, hat mich aber einfach mal interessiert und lag so auf dem Weg. Gottseidank hat es dort auch gar nicht gestunken, ehrlich!
Ansonsten ist Friedrichstadt ein putziges Klein-Amsterdam, nett anzuschauen, hat viele Teeläden und endlich keinen Billigbäcker im Ortskern, aber nach zwei Stunden ist dann auch gut mit Oranje und Klompjes an jeder Ecke und Dänisch an jeder zweiten und ich fuhr weiter.
Einer plötzlichen Intuition folgend (Merke: allein fahren = allein entscheiden wohin) bog ich von der Hauptstraße Richtung Meer ab und wurde nicht enttäuscht: Mit dem Auto flugs über einen kleine Kuppe und das Auge sieht, wonach es sich die ganze Zeit verzehrt hat: Dünen, Sand, Watt, Meer. Na bitte, geht doch! Ich war scheinbar bisher nur an den falschen Stellen! Oder hat sich die Nordsee, mit der ich ja zuletzt ein bisschen im Clinch lag, doch darauf besonnen, mich zur Freundin haben zu wollen?
Mir eröffnete sich ein grandioses Bild: Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich so etwas gesehen. Moment, das reicht nicht: Noch nie in meinem ganzen und ja nicht sehr kurzen Leben habe ich so eine unendliche, grenzenlose, weite Weite gesehen, ich sah die weiteste, endloseste, wahnsinnigste und überwältigendste Weite, die ich wohl je jemals sehen werde! Nach hinten eine fast endlose Sandfläche mit weißem Sand, so fein wie Puder, nach vorne die See mit weißen Krönchen auf den Wellenkämmen hier und da und links und rechts versprenkelt einige fingernagelgroße Menschen weit, weit weg.
Wenn man da so steht und die hereinkommende Flut wie ein neugieriger, schnuppernder Hund immer näher und kommt und einem schließlich auf die Füße platscht (beschuht! Februar!), die salzige Gischt wie kleine Sahnehäubchen auf dem glänzenden, weichen Watt liegen bleibt, rundherum ein ununterbrochenes Tosen, das kein Dolby Dingsbums dieser Welt schöner wiedergeben könnte und einem mühelos die fest sitzende Mütze vom Kopf zerrt, dann fühlt man sich so fassungslos und glücklich und lebendig, das man heulen könnte und jetzt, da ich das hier schreibe, kommen mir komischerweise schon wieder Tränen, obwohl ich im Zimmer sitze und gar kein Wind weht.
Ich weiß nicht recht, warum ich eine so starke, fast schon naive Affinität zu Wassern im Allgemeinen und Meeren im Besonderen habe, ich kann mir nicht erklären, warum ich so eine Verbundenheit spüre und Wohlbefinden, wie ich es nur ganz selten erlebe, vielleicht war ich im früheren Leben ja mal Klabautermann oder Wasserschlange oder gar Neptun.
Heute, an genau dieser Stelle, hat mich die Nordsee aber rumgekriegt. Ich glaube sogar, ich habe mich ziemlich verknallt.
Und jetzt, am späten Nachmittag, wo die Sonne gleißend auf das Wasser fällt und gleich von ihr verschluckt wird, bin ich versöhnt und froh, morgen mit diesen Bildern im Kopf abfahren zu können (die ich euch vielleicht auch auf YouTube zeige, wenn mich die Stunde Internetnutzung nicht mehr Viereinhalb Mücken kostet). Einen schöneren Abschied hätte mir meine neue Freundin gar nicht bereiten können.
Euch einen rührseligen Abend wünscht
moggadodde
So einen Urlaub setze ich mal auf meine Löffelliste!
Genial geschrieben.
LG Mirko
Danke! Aber was bitte ist eine Löffelliste??
Is ne Idee aus dem Film „Das beste kommt zum Schluss“ mit Jack Nicholson und Morgan Freeman: Auf die Löffelliste setzt man all die Dinge, die man noch machen möchte, bevor man die Löffel abgibt.
Am schönsten fand ich (jetzt bei dem Film), dass er (als alternder ich-kann-alles-haben-Playboy mit der Aussicht auf einen Krebs-Tod) noch das schönste Mädchen der Welt küssen möchte. Mit seiner Tochter (ich glaub es war seine Tochter, so genau merk ich mir das nicht) hatte er sich Zeit seines Lebens nicht verstanden aber kurz vor Ende hat er sie doch noch besucht um sich zu versöhnen… und seine Enkeltochter dabei n Küsschen geben können (oder eines gekriegt, weiss nich mehr)- und dann sieht man, wie er -sehr glücklich darüber- diesen Eintrag auf seiner Löffelliste durchstreicht.
Hat doch was, oder?
LG Mirko
oh – den einen Satz wollte ich nicht durchstreichen, kanns hier aber nicht mehr nachträglich editieren. Aber zum Teil passt das ja 😉
Richtig, den habe ich ja schon gesehen … aber der Begriff ist mir nicht im Gedächtnis geblieben, obwohl er wirklich gut passt 😉
(flüstert)
Juist im Winter wäre auch etwas für Sie, meine Gutste – da bin ich mir ziemlich sicher.
Da bin ich mir mehr als sicher. Juist, Amrum, Föhr, Schicki-Sylt an einer ruhigen Ecke … das wäre wahrscheinlich die Steigerung des Wohlbefindens … 🙂
Ach, Mogga, da sind wir Seelenverwandte. Wo du das so toll vom Wasser schreibst, guck mal unter folgendem Link, was die Leute zu dem geschilderten Traum sagen, das finde ich richtig spannend. Vor allen Dingen das mit dem Fruchtwasser von „Angelface“ finde ich ziemlich plausibel.
http://www.bookrix.de/forum.html?lang=de&bxf_group=capt.gb_1234381046.7871780396
Anscheinend ist das Fliegen wie das Schwimmen etwas archetypisches eines kollektiven Unterbewusstseins.
Meine liebe Mogga, das ist so gut, spannend und total vorstellbar, was du schreibst, einfach sensationell!
IM Wasser fühle ich mich zwar auch wohl, aber ich glaube nicht, dass das so ein Fruchtwasserding ist … keine Ahnung … im Auto habe ich jetzt genug Zeit, darüber nachzudenken. Und den Link gucke ich mir morgen an!
Tja, das Meer … 🙂
Vorbeivorbei … ab in die Hügel 😉