Quantensprung

Drei Tage vor den Sommerferien sieht Hank aus, als wäre er unter einen Bus gekommen. Schrammen, bereits grindige Abschürfungen ebenso wie offene, nässende Wunden, die immer wieder mit dem Pflaster verkleben und jeden Verbandswechsel zu einer Geduldsprobe werden lassen sowie jetzt noch eine heftige Prellung am Ellenbogen:
Er behauptet, es seien jeweils unglückliche Umstände in der Schulpause gewesen und einmal auch ein übersehenes Bein von Schamhaar-Addi. Ich glaube aber, dass Ursache seiner momentanen Fallsucht etwas anderes ist:

Siebenmeilenstiefel

Arglos zeigte ich ihm die abgelegten, ausgetretenen und olfaktorisch höchst fragwürdigen Vans seiner Schwester, die ihm zwar noch zwei Nummern zu groß sind, die er aber „endgeil“ findet und deshalb nicht mehr von den Quanten kriegt. Dass er damit, wenn’s schnell gehen muss, über seine eigenen Füße segelt, stört ihn nicht, wohl aber mich, die ich ihn dauernd verarzten darf. Mitleid erwartet und bekommt er somit nicht. Schwimmbad ist derart verbunden und geschunden natürlich leider nicht drin, was ihm aber nichts auszumachen scheint. Er trägt seinen Handverband wie eine Trophäe und findet es klasse und total männlich, verpflastert wie ein frisch verarztetes Unfallopfer auf dem Skateboard herumzuhampeln.
Der gute Goethe hat mal wunderschön blumig behauptet, dass „Jugend so etwas wie Trunkenheit ohne Wein“ sei. Wenn das stimmt, dann gerät der gar nicht mehr so kleine Hank allmählich ins Delirium.
Seit neuestem streicht er z.B. ganz beiläufig seine erblich bedingt bereits üppig sprießenden Beinhaare in Form und geht ohne gegelte Haare nicht mal mehr aufs Klo. Nach dem ganzen, teilweise bösartigen Mädelszickenterror freue ich mich fast ein bisschen darauf, den kleinen, noch lieblichen Hank auf dem Weg zum Erwachsenen zu begleiten.
Zugegeben, das ist der momentane Stand. Wir sprechen uns besser nochmal wieder, wenn ich ihn zum ersten mal besinnungslos auf der Herrentoilette vorfinde. Solange genieße ich ihn aber in vollen Zügen.

Euch einen rührseligen Abend wünscht
moggadodde

Die Katze jammert

Nach sehr langen Nächten brauche ich in der letzten Zeit immer länger, um
a.) mich gegen Nachmittag aus einem analogkomatösen Dämmerzustand zu quälen und
b.) meine eigene Person in einen halbwegs tageslichttauglichen Zustand zu versetzen.

Auch mein Denkapparat funktioniert an den Folgetagen immer leicht unflexibel, selbst wenn ich, wie gestern, getränketechnisch im freien Kuba geblieben bin und davon wirklich nicht zuviel genippt habe.

Auch gestern ist mir aber wieder aufgefallen: Es gibt kaum mehr Adamsäpfel in freier Wildbahn. Bis auf einige Ausnahmen gibt es bei jungen Männern nur noch höckerlose Hälse, während auf der anderen Seite die jungen Mädels an der Theke teilweise ziemlich aggressiv den mangelnden Alkoholgehalt ihrer Drinks monieren. Woran liegt das nur? Zuviele Medikamente in der Kuhmilch? Hormone in den Hühnereiern? Elektrosmog? Tschernobyl? Aliens? Ist das Testosteron etwa zum anderen Geschlecht übergelaufen? Befinden wir uns gar auf dem Weg zu einer hormonegalisierten Gesellschaft und wenn ja, warum?

Ich glaube, ich gehe jetzt wieder ins Bett. Ich bin einfach zu alt für diesen Scheiß.

Wenigstens euch einen hellwachen Sonntag wünscht
moggadodde

Barfly

Als Dresscode ist Red ausgegeben und meine Lust, bis morgen früh um vier gefühlte Millionen von Limetten zu quetschen, tendiert mal wieder gegen Null.
Aber immerhin ist der Caipirinha einfach zu machen und ich hege die Hoffnung, deshalb selbst auch ein bisschen am Beachpartygeschehen teilnehmen zu können. Gottlob ist das nur einmal im Jahr. Ich und meine blöde, große Klappe.

Euch eine heiße Nacht wünscht
moggadodde

Schavahnsinn!

Noch bevor es in die heiße Phase des Wahlkampfs geht findet Frau Schavan, dass Kinder statt mit sechs schon mit vier Jahren beginnen sollten zu lernen, schließlich seien viele Sechsjährige bereits nach dem ersten Schuljahr frustriert, weil unterfordert. Ich weiß ja nicht, wie viele Klein- oder Vorschulkinder die Bildungsministerin in ihrem Bekanntenkreis hat, viele dürften es nicht sein.
Man muss nicht wie Frau Schavan Erziehungswissenschaften studiert haben um zu wissen, dass Kinder permanent lernen und zwar spätestens ab dem Zeitpunkt, da sie aus Mutters Bauch flutschen. Sie lernen, sich allein den Brei ins Gesicht zu schmieren, die Wohnzimmerwand zu bemalen oder merken, dass Nacktschnecken zwischen den Zehen quietschen, wenn man darauf tritt. Sie lernen, sich alleine anzuziehen, ihre Blase zu kontrollieren, die Eltern erfolgreich um Schokolade anzubetteln oder dass es zwar „Hallo, Frau Meier!“, aber nicht „Hallo, Mann Meier!“ heißt. Sie lernen schon vor der Schule fürs Leben, aber ohne es zu merken.

Die Frage ist also nicht, mit wie vielen Jahren ein Kind zur Schule geht, die Frage ist, wer sich mit dem Kind beschäftigt und es fördert, nach den allermeisten bemühten und liebevollen Eltern sind das im Kindergarten ebenfalls bemühte, liebevolle aber leider hoffnungslos unterbezahlte, überarbeitete Erzieherinnen, die ihr Bestes tun, den Kindergarten nicht zur bloßen Verwahranstalt für Kinder berufstätiger Eltern werden zu lassen und das mit einem Personalschlüssel, der Hohn und Spott verdient.

Nach dem ersten Kopfschütteln meinerseits habe ich den Plan von Frau Schavan ja schon durchschaut: Kindergärten werden endlich abgeschafft, denn sofort nach Beendigung der Elternzeit wird der wissensdurstige Nachwuchs eingeschult! Keine nervenden Kindergartenstreiks mehr, keine kreuzlahmen Erzieherinnen mit Aussicht auf BU-Rente und auch keine Beschwerden angepisster Nachbarn mehr wegen Kindergeplärre in Presslufthammerlautstärke. Frau Schavan selbst hat ja keine Kinder, sonst würde sie wissen, dass es egal ist, ob ich einen schreienden Vierjährigen einer Kindergärtnerin oder einer Lehrerin in die Arme drücke, bevor ich mich mit schlechtem Gewissen aus dem Gebäude flüchte.

Vielleicht könnte der Irrsinn noch ein bisschen weiter gehen: Bald nach Einführung der Schulpflicht für Vierjährige werden kleine Ei-Phones Vorschrift, die auf den Schwangerenbauch geschnallt und durch die die Ungeborenen ein paar Stunden täglich mit Fontane, Schiller oder Sokrates beschallt werden, um sie schon im Mutterleib mit Bildungsterror zu bombardieren. Und wenn die ersten Worte des Kleinen dann nicht „Papa“, „Mama“ oder „Fielmann“, sondern „Fest gemauert in der Erden“ lauten, darf er nahtlos aufs Gymnasium wechseln, vorausgesetzt, er braucht keine Windel mehr.

Euch einen lehrreichen Tag wünscht
moggadodde

Stadtkind, immer noch

Hier sitze ich am liebsten in der Blauen Stunde,

blaue Stunde

dem Ãœbergang von Tag zu Nacht, wenn kaum noch vorhandenes Licht der Umgebung einen leichten Blaustich verleiht.
Vom Wald über dem Hang weht eine leichte Brise herunter, die die Haut kühlt, was nach einem heißen Tag und vor der Abenddusche eine Wohltat ist.
Ich zünde ein paar Kerzen an, die nur wenig Licht geben, gerade so viel, um nicht über die eigenen Füße zu stolpern und genieße jede Minute, denn gleich ist es ganz finster und es wird unheimlich, weil ich plötzlich nicht mehr allein sein werde.
Im Schutz der Dunkelheit wagt sich nämlich allerlei Getier heraus, angefangen von den quirligen Ohrwürmern, die sich gern in der Ritze über der Leertaste niederlassen würden und auch meinen guten Chiaretto mögen, über Stechmücken, die die nächste Mahlzeit wittern und riesigen, unberechenbaren Heuschrecken, die neben mir über die noch warme Fassade krabbeln.
Das Geräusch der Grillen mag ich und auch die Nachtigall, die seit ein paar Tagen hier singt. Plötzlich macht mir das Hiersitzen aber keinen Spaß mehr. Aus den Augenwinkeln sehe ich dauernd irgendwas herumkriechen, beim Griff zur Zigarettenschachtel merke ich, dass da einige Ohrwürmer auf dem Tisch herumsausen, die Fledermäuse machen auch erst im letzten Moment einen Bogen um mich und irgendwas krabbelt mein Bein hinauf. War da nicht auch gerade was an meinem Rücken? Mäuse fiepen im Gebüsch und Mist, jetzt hat mich was gestochen! Licht! Ich brauche mehr Licht! Aber es gibt draußen keinen Strom und ich habe keine Lust, wegen der halben Stunde noch mehr Kerzen anzuzünden. Es ist unheimlich und dauernd knackt und knistert es irgendwo. Marder, die kreischen wie kleine Kinder, liefern sich in der Nähe einen lauten Kampf, aber erst die weiße Katze, die lautlos an mir vorbeischleicht und mir beinahe einen Herzinfarkt beschert, gibt mir den Rest. Ich packe meinen Kram und gehe nach drinnen, wo mir das beruhigende Schnarchen des MamS endlich Sicherheit signalisiert.
Für das Leben auf dem Land muss ich mir unbedingt ein dickeres Fell zulegen. Gibt es da vielleicht einen Volkshochschulkurs?

Euch eine ruhige Nacht wünscht
moggadodde