Nicht nur die ganz Alten werden sich erinnern: Bevor der „Eurovision Song Contest“ endgültig zum öffentlich-rechtlichen Beruhigungsmittel wurde, nannte sich das „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ und hatte einige Jahre die Regel, dass der jeweilige Interpret in seiner Landessprache singen musste. Nun hörte sich nicht nur für mitteleuropäische Ohren z.B. das norwegische oder jugoslawische Idiom derart fremd an, dass diese das Erreichen der vorderen Plätze schon beim ersten Ton ganz schnell knicken konnten.
Auch die finnische Sprache war so ein Fall. Mit diesem/r/s „Lordi“-Krampf konnten die Finnen erst 2006 zum ersten Mal gewinnen, auf englisch – klar.
Deshalb fand ich es ziemlich gewagt von mir, heute im Hafensommer bei „Värttinä“ dabei zu sein. Neugierig war ich aber trotzdem, schließlich soll Värttinä besonders im skandinavischen Raum und bei nicht wenigen Leuten in der ganzen Welt eine richtig dicke Nummer sein.
Niemand wollte mich begleiten, also musste nach dem „In guten wie in schlechten Zeiten-Prinzip“ der MamS dran glauben. Er hat es überlebt, sagen wir mal so. Er ist aber auch nicht so aufgeschlossen, wie ich.
Beim Begriff „Folk“ sehe ich wehende Gewänder, lächelnde Leute und nackte Füße, „Pop“ steht bei mir für Radiokompatibilität und den Begriff „Folkpop“ hätte ich gar in die Kelly-Family Ecke gestellt.
Hm. Värttinä ist das alles gar nicht. Die drei agilen, weiß gewandeten und barfüßigen Frontfrauen zogen mich mit ihrem durchdringenden Sirenengetöse anfangs überhaupt nicht an. Stakkati rollender „Rrrrrrs“ und überhaupt viel mehr Umlaute und Konsonanten, als das Alphabet insgesamt zu bieten hat – ich versuche auch bei gänzlich unbekannten Sprachen wenigstens Fetzen zu verstehen, um mir meinen Reim darauf zu machen. Bei Värttina und dem wohl verwendeten, finnkarelischen Dialekt hatte ich da beim ersten Ton natürlich verloren. Deshalb nahm ich den Gesang irgendwann einfach wahr wie ein Instrument. Die unglaublich harmonisch dargebotenen Stimmen waren nichts anderes als Mittel zum Vervollständigen dieser Stücke, so wie das Keyboard, der viersaitige Bass und das eindrucksvolle Schlagzeug.
Bis ich das geschafft hatte, war zwar schon Pause, aber danach war ich besser „drin“, wie man wohl sagt. Plötzlich fing mein Fuß an zu wippen und plötzlich hörte ich Musik, die mich an schneebedeckte nordische Landschaften erinnerte, an China, an Russland, dann wieder an indianische Weisen und jetzt verstand ich ein bisschen, warum dieses Genre auch „Weltmusik“ genannt wird. Schräg und fremd und immer noch wie nie gehört – ehrlicherweise muss ich zugeben, dass sich viele schnelle Songs trotzdem sehr ähnlich waren und mir die langsameren Stücke leichter ins untrainierte Ohr gingen.
Meistens aber droschen die Damen scheinbar ohne je Luft zu holen ihre glasklaren Sirenenstimmen wie neunschwänzige Peitschen direkt auf die Stufen der wunderbaren Hafensommer-Bühne. Värttinä bescherte mir zwar jedenfalls einen interessanten Ausflug in andere Musikwelten, ist für mich aber sicher kein dauerhaftes Urlaubsdomizil.
Bei Biffo gibt es übrigens viele und vor allem bessere Bilder von heute und einen einschlägigen Clip eines anderen Auftritts.
Euch eine ungewöhnliche Nacht wünscht
moggadodde