Kürzlich hatte ich ja erwähnt, dass ich bei der grandiosen Aktion von Frau Quadratmeter mit dem Motto „Rettet die Handschrift“ mit von der Partie war. Vor einigen Tagen erreichte mich nun ein schlichter, brauner Umschlag. Der Inhalt allerdings war gewichtig:
Jesses, dachte ich nämlich zuerst, es geht um Eratothenes und Aristarch, Astronomie, Mathematik und Physik, sämtliche Gebiete und Themen, von denen ich nicht einmal ansatzweise einen Hauch vom Schimmer einer Ahnung habe!
Ich gestehe, ich schob es ein paar Stunden auf, bevor ich mir den Brief erneut zur Hand nahm.
Sein Thema, die Methoden und Ideen, die die alten Griechen zur Vermessung von Erde, Sonne und Mond hatten, stellte mich vor eine intellektuelle Herausforderung, die Schrift des Absenders förderte längst verschüttet geglaubte Kenntnisse im Entziffern von Hieroglyphenähnlichen, wie ich sie mir bei der früheren Arbeit mit einem Juristen und Mediziner aneignen musste, zutage. Außerdem fühlte ich mich nun an meiner Ehre gepackt: Der Schreiber hatte sich eine solche Arbeit mit dem Brief gemacht, dass ich zum Teufel nochmal verpflichtet war, zumindest den Versuch zu unternehmen zu verstehen, wie es mit der Vermessung von Erde, Mond und Sonne zugegangen ist!
Ich holperte über die Worte, las nochmals und nochmals, bis die Sätze mein Gehirn flüssiger erreichten. Mit zahlreichen, im Text platzierten, detaillierten Zeichnungen
versuchte der Absender weiter, astronomische Berechnungsgrundsätze näher zu bringen. Ob er wohl schon ahnte, dass sein Brief an einen naturwissenschaftlichen Blindgänger geraten würde?
Allein das Schriftbild hätte mir verraten, dass der Absender ein Mann ist, Frauen schreiben nicht so. Die Ausführung des Briefes und der Ausdruck legen nahe, dass es sich um einen Menschen handelt, der auch im „wirklichen“ Leben mit Wissenschaft und Forschung im weitesten Sinn zu tun hat. Auf den letzten beiden Seiten entbrennt der Schreiber in Faszination für dieses Metier und auch wenn ich nicht alles restlos verstanden habe (insbesondere was Berechnungen angeht!) hat mir der letzte Absatz besonders gefallen, der sich für mich fast ein wenig wie eine Rechtfertigung anhört. Er spricht von unsichtbaren Stufen, die die Wissenschaft immer und immer wieder erklimmt.
Ich zitiere kurz:
„Das ist Wissenschaft! Sie geht darüber hinaus, nur das festzustellen, was man direkt sehen kann, oder hören, schmecken, fühlen. Wissenschaft geht einen Schritt weiter, kombiniert Erkenntnisse aus der Geometrie mit Beobachtungen und Logik, um unser Wissen über die Welt in der wir leben, zu vertiefen und verbreiten. Auf der Treppe der Erkenntnis gibt es oft Stufen, die wir gar nicht wirklich sehen. Stufen, die wir vielleicht nie sehen werden! Die Entfernungen, die wir ermittelt haben, der Erdumfang und die Entfernung der Erde zum Mond, sind solche unsichtbaren Stufen. Wir WISSEN, dass unsere Berechnungen stimmen, wenngleich nie jemand ein Maßband wird anlegen können, um die Distanzen direkt zu messen. Aber die Sorgfalt in unserer Logik gibt uns das Vertrauen, das nötig ist, um uns dennoch auf diese unsichtbare
Stufe zu stellen! Es fordert immer noch etwas Mut, das Experiment tatsächlich zu wagen, aber wenn es klappt, die vorhergesagte Stufe tatsächlich trägt, fühlt man sich wie ein Magier! Durchflutet von der
Faszination des Augenblicks stehe ich da, drehe mich um und nehme die Welt bei der Hand. Gemeinsam stoßen wir uns ab und fliegen die nächsten Stufen empor …“
Das hört sich jetzt gar nicht mehr nach komplizierten Formeln, Radiusberechnungen und Winkelmessungen an! Es erklärt vielmehr, warum sich ein schlauer Kopf (und ein solcher ist der Schreiber ohne Zweifel) mit Dingen beschäftigt, für die die Mehrheit der Menschen kein Verständnis, geschweige denn das Können hat. Und dann ist trotz aller wissenschaftlichen Kompliziertheit vorher in diesen letzten Sätzen so etwas wie verzauberte Poesie zu erkennen, etwas, womit ich nach den Seiten vorher gar nicht rechnete und was mir besonders gefallen hat.
Ich weiß nicht, ob ich den Absender hier namentlich nennen darf. Lieber N.K., wenn Du dies liest, darfst Du selbst entscheiden.
Dies war jedenfalls nicht ein hingeschluderter 08/15-Brief, sondern der engagierte Versuch, jemand völlig Fremden für eine (für mich) verdammt komplexe Materie zu begeistern. Sagen wir so: Ich habe tatsächlich nicht alles kapiert, aber ich werde diesen Brief sicherheitshalber aufbewahren, falls mir der kleine Hank mal wieder kryptische Fragen zu den Gestirnen und ihren Ausmaßen stellt.
Und natürlich werde ich zurückschreiben. Ich muss nämlich unbedingt erfahren, ob der N.K. sich auch beruflich mit dieser Art von Wissenschaft beschäftigt oder ob ich mich täusche und er vielleicht Busfahrer, Kindergärtner oder Beamter im Katasteramt ist (was ich mir aber nur schwer vorstellen mag).
Es hat mich sehr gefreut! Vielen Dank an Frau Quadratmeter für diese grandiose Idee und Herrn N.K. für diesen großartigen Brief!
Einen schwärmerischen Abend wünscht
moggadodde
Freut mich, dass dir mein Brief gefallen hat!
Das Grundkonzept stand ja schon, als ich mich für das Projekt eingetragen hatte, aber es tatsächlich sauber* aufzuschreiben, hatte ich immer wieder aufgeschoben, weil ich nicht wusste, welchen Schluss ich nehmen sollte. Ich hatte ein paar Ideen, aber die hatten alle einen pessimistischen Unterton (aus diversen Gründen). Am Ende habe ich mich entschieden, ein wenig der Faszination einzufangen, die von wissenschaftlichen Methoden ausgeht – zu erklären, warum auch Theoretiker tolle Sachen entdecken können und was so die Momente der Freude sind!
Ich bin übrigens ganz froh, dass der Brief bei dir bei einer Nicht-Naturwissenschaftlerin gelandet ist – genau dort gehört er hin! Wissenschaftliches Denken ist ja nicht für Bücher da, sondern für die Menschen 🙂
*“sauber“ für meine Verhältnisse. Ich gelobe Besserung! 😉
Dein poetischer „Abgang“ in diesem Brief ist wirklich das Tüpfelchen auf dem i. Besser hättest Du es nicht machen können, um eine naturwissenschaftliche Niete wie mich mit dem forschungslastigen Tenor des Briefes zu versöhnen!
Aber tatsächlich: Deine Schrift ist keine leichte Kost und stellte mich vor eine große Herausforderung! Ich denke aber, die Handschrift eines Menschen ist, sagen wir ab dem ca. 13. Lebensjahr fix. Sie ist ein Abbild der Persönlichkeit, unverwechselbar und einzigartig. Und gerade deshalb: Ändere nichts! Deine Schrift ist genau so richtig, wie sie ist!
Alles andere schriftlich. Handschriftlich. Nach der Art der Altvorderen. Oder so.
Liebe Grüße
moggadodde
Danke! 🙂
Ich kann ja trotzdem etwas gewissenhafter schreiben. Ich muss dazu sagen: Den Brief habe ich sehr kurz vor dem Termin fertig geschrieben, da mutierte das Schriftbild schnell von „geschwungen“ zu „hektisch“.
Das kenne ich gut. Unter Zeitdruck rutscht mein Schriftbild von „einigermaßen erträglich“ zu „sieht aus wie mit dem Fuß gemalt“.