Natürlich bin auch ich nicht besonders scharf darauf, an meinen eigenen Tod zu denken. Allerdings, und das ist so sicher wie der Papst katholisch, erwischt es jeden. Arm und reich, dick und dünn, Säufer und Raucher, Sportskanone und Couchpotato. Wir alle „kick the bucket“ irgendwann, wie der Amerikaner sagt, ob wir wollen oder nicht.
Eben habe ich willkürlich aus purer Neugier eine der im Internet üppigst vorhandenen Seiten zur Berechnung meines Todeszeitpunkts besucht. Schließlich will ich ja wissen, woran ich bin mit diesem Leben und ob es sich überhaupt lohnt, das Auto nochmal zur Reparatur zu bringen, die Küche zu tapezieren oder am Mittwoch zur Pediküre zu gehen. Mir wurde beschieden, dass ich am 15.08.2037 den Löffel werde abgeben müssen. Eine Menge Zeit, wie ich finde aber, zugegeben, ich habe ein wenig geschummelt, als es um Sport- und Gesundheitsfragen ging, es könnte also gut sein, dass ich schon vorher ins Gras beiße. Die Kunst ist ja nicht, möglichst lange zu leben, sondern möglichst lange die Sau rauszulassen gut zu leben.
Mit diesem Wunsch bin ich nicht die Einzige. Im Gegensatz zu mir gibt es aber sehr viele Menschen, mit denen es die alte Gerda Glück im Leben nicht so nett meint. Denen sie Krankheiten schickt, die sie entstellen oder schreckliche Schmerzen bescheren oder zum Erhalt dieses bisschen Lebens an Furcht erregende Maschinen fesseln, bevor sich das unberechenbare Aas nach Monaten Hoffen und Bangens doch dazu entschließt, sie über den Jordan zu schicken.
Mir geht es prima. Bis auf ein paarmal äußerst lästigen Herpesbefalls im Jahr und die üblichen, läppischen Kinkerlitz-Krankheiten bin ich gesund. Trotzdem weiß ich, dass es, während ich hier sitze und entspannt mit den Zehen wackle, einen ganzen Haufen Menschen gibt, die gerade, just in diesem Moment, verschlaucht und verkabelt verzweifelt um ihr nacktes Leben kämpfen.
Schon lange bin ich in der DKMS registriert. Die Entnahmeprozedur ist sicher, relativ unkompliziert und hat sich seit vielen Jahren bewährt. Wieso also sollte ich nicht versuchen, mit nur einer fingerhutgroßen Menge meines reichlich vorhandenen Knochenmarks einem der vielen Leukämiekranken auf diesem Planeten, der zum Überleben dringend darauf angewiesen ist, aus der Patsche zu helfen? Eben! Die Aufnahme in die Knochenmarkspenderdatei war also schnell entschieden. Vielleicht bin ich ja irgendwann für irgendwen die Richtige.
Bei der Organspende war ich lange unschlüssig. Die derzeit laufendene Kampagne der Bundesregierung, jeden Bürger in festen Abständen an diese Möglichkeit der Lebensrettung zu erinnern, halte ich für gut. Mich selbst zwang sie endlich wieder zum Nachdenken, wie ich es selbst damit halten will. Es ist ja durchaus möglich, dass ich nicht erst 2037 abtrete, sondern schon morgen auf dem Parkplatz der Katakomben blindlings vor einen Laster laufe oder mich ein überambitionierter Kraftfahrer mitsamt meiner Reisschüssel von der B 8 schubst. Ich läge also dann in meinem Auto, vielleicht nicht gleich aber dann doch etwas später in einem Zustand, der von Gesundung so weit weg ist wie die Erde von der Sonne.
Wenngleich ich äußerlich allmählich zu welken beginne, sind meine inneren Organe Werte, soweit ich das überblicken kann, in einem tippitoppi Zustand, von kleineren Abnutzungserscheinungen bei überwiegend bestimmungsgemäßem Gebrauch einmal abgesehen.
Wäre es also nicht eine unglaubliche Verschwendung, meinen verblichenen Körper mitsamt seiner zum Todeszeitpunkt noch funktionstüchtigen Innereien in eine kalte Grube zu senken, während mit meiner Leber, meinen Nieren, meiner Bauchspeicheldrüse vielleicht das Leben von anderen Menschen gerettet oder wieder lebenswert gemacht werden kann, wenn ich selbst das schon nicht mehr reißen konnte?
Wovor habe ich denn Angst? Vielleicht davor, dass mir König Pluto an den Toren des Hades oder wo auch immer den Zutritt verwehrt, weil ich mich zweitverwerten ließ? Wohl kaum. Dass sich die Organmafia angesichts neuen Frischfleischnachschubs an der Krankenhauspforte grinsend die Hände reibt? Auch eher unwahrscheinlich. Hier in Deutschland ist sogar das Eigentumsrecht an einem, auf ein Privatgrundstück gelegten Hundehaufen geregelt. Da werden die ja wohl bitteschön auf mich und mein zu transplantierendes Gekröse aufpassen können.
Sind wir doch ehrlich: Die einzigen, die von meinem verwesenden Körper plus Eingeweide in feuchter Erde profitieren, sind Würmer und Maden. Und denen gönne ich meine Filetstücke ja nun auf den Tod garantiert nicht.
Vor mir liegt das kleine Kärtchen, das ich jetzt ausfüllen werde.
Ich will nicht behaupten, dass es mir egal ist, ob ich mich doch erst 2037 oder schon in einem Jahr verabschiede. Aber vielleicht kann ich, wenn es denn schon unbedingt sein muss, damit jemandem helfen, der immer auch irgendjemandes geliebtes Kind, Mann, Bruder, Mutter oder Schwester ist. Vielleicht sitze ich dann auf einer Wolke und gucke zu, während ich mir die Nägel feile, an einer Bloody Mary nippe und Mother’s Finest höre, vielleicht habe ich dann auch was Besseres zu tun. Aber eines ist fast todsicher: My heart will go on!
Ausfüllen, hopphopp!
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