Das Jahresende ist ja stets Anlass für allerlei rührselige Rück- und Ausblicke. Zu dieser Zeit gründeln Horoskopkreateure ganz unten in der Textbausteinkiste, Schwarz- und Weisseher übertreffen sich beim Orakeln über Preissteigerungen, das Geschlecht eines englischen Thronfolgewürmchens und Loddars zukünftiges Liebesleben. Nichts, was wirklich interessant, geschweige denn belegbar wäre und jedes Jahr dasselbe. Zum Gähnen.
Der Nachtsatz hat bei einem der letzten, heiteren Stammtischzusammenkünfte allerdings eine besonders interessante Spielart für Astrologierige entdeckt, für die sich der Blick nicht zurück oder nach vorne, sondern nach unten richten sollte: Das Genitalhoroskop.
Eine gewisse Frau O. hat sich hier etwas Spezielles überlegt. Anhand z.B. der Form, der Ausrichtung, der Einfärbung und der Größenverhältnisse der fortpflanzungsrelevanten Ausstattung von Menschen meint Frau O., deren Charaktereigenschaften feststellen zu können. Eine gewagte These, wie ich finde.
Frau O. wurde nach eigener Angabe im zarten Alter von 12 Jahren von ihrer eigenen Mutter in das Geschäft des Genitallesens eingeführt, ein Umstand, der mich ein wenig befremdet. Mit 12 regte sich bei mir persönlich gerade ein zartes Interesse für andere Geschlechter im allgemeinen und Jungs im Besonderen. Während ich meine Nase jedoch vorwiegend in Bücher steckte, schaute Frau O. offenbar direkt das Zentrum der Nacktheit und wurde in die Geheimnisse von Blut-, Fleisch- und Fettpenissen sowie in die Differenzierung von Schamlippen aller Art eingeweiht. Nichts, was ich ihr heute neiden würde, unter uns gesagt. Wir hatten ja immerhin die BRAVO und wurden von damit bereits hinreichend aufgeklärt. Frau O. hingegen vermochte sogar willige Bekannte und Freunde von ihrer Gabe zu überzeugen und beriet fortan über gespreizte Beine gebeugt hinsichtlich Zukunftsperspektiven und Charakteristika der jeweiligen Besitzer und während ich mich in meiner Ausbildung mit Typenradschreibmaschinen herumschlug, studierte Frau O. die Typen hautnah und konstatiert z.B., dass Männer mit tiefer hängendem, linken Hodensack eher zu psychischen Problemen neigen. Respekt. So genau habe ich das noch gar nicht betrachtet.
Im Gegensatz zu mir hat Frau O. aus ihrer Gabe ein Geschäftsmodell entwickelt. Zwar bietet sie auf ihrer Homepage auch reichlich im Vollsuff hingekritzeltes detailliert illustriertes Anschauungsmaterial zum Selbststudium. Wer zu einsam oder zu bequem oder einfach nur zu ungelenk zur Vermessung und Betrachtung z.B. seiner Hodennaht ist, dem bietet Frau O. nach Übersendung aussagekräftiger Fotoaufnahmen auch eine Internetberatung für schlappe 40 €. Damit kann Frau O. beurteilen, welcher Partner passt, was die Lebensaufgabe ist und woher Probleme mit Verwandten/Chefs/anderen Menschen rühren. Ich behaupte, wer neben Geld auch noch Fotos seiner wie auch immer gearteten Genitalien an wildfremde Leute schickt, hat ein sehr umfassendes Problem, das mit 40 € ganz sicher nicht behoben ist, sondern eher einen Härtefall für die Krankenkasse darstellt. Lebenshilfeberatung anhand von Geschlechtsmerkmalen: Da muss man erst einmal drauf, ähhh, kommen.
Die Zeit des Jahreswechsels ist auch die Zeit der guten Vorsätze. Nehmen wir uns also vor, uns in 2013 mehr den Partnern, Freunden, den eigenen Bedürfnissen und leckerem Essen zu widmen und uns nicht von völlig Verrückten windigen Scharlatanen übers Ohr hauen zu lassen, sondern mit Verstand, offenen Augen, Ohren und einem ausreichend großen Handspiegel durchs Jahr zu gehen. Und wenn der Nachtsatz wieder so unterhaltsame Websites findet: Nur her damit! Wir haben uns köstlichst amüsiert!
Allen einen guten Rutsch wünscht
moggadodde