Stille ePost

Was waren das doch für Zeiten! Kaum fielen die ersten Flocken vom bleigrauen Himmel, war der kleine Hank nicht mehr zu halten. Er schnappte sich den Schlitten Rennbob und begab sich auf den Hügel hinterm Haus, wo sich eine halbwegs brauchbare vortreffliche Abfahrtspiste befindet.
Im Rudel mit einigen, etwa gleichaltrigen Rackern aus der Nachbarschaft verbrachte er Stunden auf diesem Hügel. Hinuntersausend. Hinaufkeuchend. Hinuntersausend. Hinaufkeuchend. Zwischendurch zeigte er spektakuläre und oft durchaus gewollte Abflüge, bei denen mir allein vom Zusehen das Mutterherz in die Großzehenspitze rutschte, bis ich mir abgewöhnte, dem Treiben aus dem Küchenfenster zuzusehen.
Hatte er weder Lust noch Puste mehr, baute er Iglus, Schneemänner oder Sprungschanzen. Ab und zu wurden Fehden untereinander auch mittels Schneeballschlachten geklärt und immer hoffte ich, dass alle clever genug waren, die Durchschlagskraft ihrer Geschosse nicht durch das Einarbeiten von augenlichtgefährdenden Steinen zu erhöhen.

Natürlich war ich genervt, wenn er zum drittenmal aufs Klo musste und dabei an seinem Anzug den halben Hügel in die Wohnung brachte. Die Schneequalität machte für ihn keinen Unterschied: Genügte die Pracht nämlich nicht fürs Rodeln, wurde eben auf dem Hosenboden durch glitschiges Geläuf gerutscht. Seufzend putzte ich im Laufe der Jahre Wasser- und Drecklachen im Volumen des Bodensees weg und tröstete mich damit, dass das Kind Spaß hatte und an der frischen Luft war.

Diese Zeiten sind vorbei. Schnee lässt den kleinen Hank inzwischen ziemlich kalt. Er stört höchstens, weil er für nasse Socken sorgt, denn selbstredend trägt man als Halbwüchsiger die Hosen auf Halbmast, Hosen, zu denen halbwegs angemessenes Winterschuhwerk passt wie arte zu Sat1. Sneakers werden sommers wie winters getragen und auch die frische Luft hat ihren Reiz verloren. Die Faustformel lautet: Solange der Insasse nicht sofort bewusstlos wird, ist in einem Raum noch genügend Sauerstoff vorhanden.

Statt einer Wintermütze bedecken nun voluminöse, bunte Kopfhörer seine Ohren und das zu einem großen Teil des Tages. Zwar bleibt uns so manch unangenehmer Ausfluss der Musik- und Quatschfilmindustrie erspart, die innerfamiliäre Kommunikation unterliegt damit allerdings gewissen, betrüblichen Einschränkungen. Manche Aufforderung findet nämlich auch quer durch 120 qm gebrüllt nicht ihr Ziel. Sei es die freundliche Einladung zum Abtrocknen, die Anweisung zur alsbaldigen Müllentsorgung oder die simple Information, dass das Essen auf dem Tisch steht: Ohne einen persönlichen Besuch in seinem Zimmer dringen gewisse Informationen einfach nicht durch. Und auch wenn die hiesigen Hallen nicht Buckingham Palace-Ausmaße haben, nervt das Gerenne auf Dauer ganz erheblich.

So ist es eine glückliche Fügung, dass Dixie ihm gestern ihr abgelegtes Smartphone überlassen hat, denn jetzt können wir schriftlich kommunizieren.

WhatsApp?

Per WhatsApp kann ich ihm künftig komplikationslos und unmissverständlich mitteilen, dass im Kofferraum ein Kasten Wasser auf Abholung wartet, das Bad nach seiner Duschaktion noch nicht richtig sauber ist oder jetzt endlich mal Bett befohlen ist. Aber dalli!

Wir reden trotz dieser Neuerung sicher nicht weniger miteinander. Nur eben anders. Und viel leiser.

Einen ruhigen Abend wünscht
moggadodde

Dieser Eintrag wurde in Daily Soap veröffentlicht.

4 commenti su “Stille ePost

  1. Wortmischer sagt:

    Hm. Meine Tochter 1.0 whatsäppt auch immer über zehn Meter Luftlinie aus ihrem Zimmer in die Küche: „Kannst Du mal Teewasser aufsetzen?“

  2. Wortmischer sagt:

    Ja, gell? Und vor allem auch auch die Trommelfelle der Restfamilie. Besonders bei Kochbefehlen nach Mitternacht.

    Ich schätze Whats App ja auch sehr als Game Controller für die Kiddies. Und nicht zuletzt wegen der beiden grünen Häkchen. Sie wissen, wovon ich rede!

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