Lange vor Showrichterin Salesch und Kollegen, in deren Aufführungen möglichst absurde und meist hochnotpeinliche „Rechtsfälle“ von ebensolchen Mimen abgehandelt werden, deren Thematik sich meist um den nicht rechtsmäßigen Eigentumsübergang von Sexspielzeugen, zweifelhafte Vaterschaften meist mehrerer jugendlicher Aspiranten oder rechtswidrig veröffentlichte Genitalhoroskope dreht, gab es durchaus seriösere Formate in der damals noch dreisendrigen Fernsehlandschaft. Ein Dinosaurier der Telejuristerei war neben „Ehen vor Gericht“ oder dem „Verkehrsgericht“ lange Jahre „Wie würden Sie entscheiden?“: Ein tatsächlich so vor Gericht gelandeter Fall wurde im Studio dargelegt, danach konnten die anwesenden Zuschauer urteilen, das Ergebnis anschließend mit dem tatsächlich gefällten Spruch vergleichen und diskutieren.
Ähnliches spielte sich am Freitag im Stadttheater Schweinfurt ab. Im ersten Bühnenstück des Autors und ehemaligen Strafverteidigers Ferdinand von Schirach fungierten wir im Publikum als Schöffen in einem Fall, der furchtbar aktuell klingt: Der Kampfpilot und Major der Luftwaffe Lars Richter schoss eine von Terroristen gekaperte Zivilmaschine mit 164 Menschen an Bord ab, um den angedrohten Absturz in die mit 70.000 Zuschauern besetzte Allianz Arena zu verhindern. Die Verhandlung beschränkt sich auf das Wesentliche: Sachverhaltsdarstellung, Zeugeneinvernahme und die Hin- und Hergerissenheit zwischen Recht, Unrecht, Moral, Prinzipien, Schuld oder Heldentum erreicht nach den Plädoyers von Verteidiger und Staatsanwältin ihren Höhepunkt. Können Leben gegen Leben aufgewogen werden? Dürfen Unschuldige zur Rettung anderer Unschuldiger getötet werden? Ist es nur eine Frage der Zahl? Wenn ja, welcher?
Puh. Pause. Draußen angeregte Diskussionen und erstmal eine Zigarette. Das Stück beschäftigt die Menschen im Foyer. Mit dem Durchschreiten der Portale „SCHULDIG“ oder „UNSCHULDIG“ entscheiden die Zuschauer im Hammelsprungverfahren, dann spricht der Richter das Urteil. In unserer Vorstellung fiel das Ergebnis mit 189:165 Stimmen auf „Freispruch“ für Lars Koch, wie in der Mehrzahl der bisher gespielten Vorstellungen. Ich plädierte für „schuldig“, fühlte mich aber schlecht dabei und begriff, dass es keine richtige Entscheidung geben kann. Das Thema wird mich gedanklich wohl noch länger beschäftigen.
„Terror“ von Ferdinand von Schirach wird ab 20.11. auch im Würzburger Mainfrankentheater gespielt. Wer einen Abend erleben möchte, der nachhallt und zum Nachdenken zwingt, möge dieses Stück besuchen.
Einen nachdenklichen Sonntag wünscht
moggadodde