Es ist vielleicht die meinem Naturell nicht unähnliche, gemütliche Trägheit, die mich am meisten an Montevideo faszinierte. Es liegt eine leichte Melancholie über den Plätzen und Gassen, kaum jemand hetzt sich, außer, er will noch einen der Busse erwischen, die in nicht enden wollender Zahl und zu sehr günstigem Tarif in einem so kurzen Takt durch die Straßen fahren, dass die Benutzung eines Autos vollkommen überflüssig erscheint; einen Stau habe ich jedenfalls nirgends entdeckt.
Die Montevidenser sind Hundeliebhaber. Es gibt professionelle Gassigeher,
die mit der haarigen Kundschaft im Rudel durch die Stadt streifen, während Herrchen und Frauchen dem Tagesgeschäft nachgehen. Im Hafen und in der Ciudad Vieja, wo wir wohnten, gibt es aber auch Streuner zuhauf, die sich genauso selbstverständlich wie die zweibeinigen Passanten auf den Straßen bewegen. Mal flitzen sie eilig und zielstrebig, als gälte es, pünktlich zu einem Termin mit dem Finanzberater zu kommen, mal trotten sie, als genössen auch sie die Schönheiten der Stadt, meist fläzen sie aber lässig in der Sonne oder scharwenzeln werbend umeinander herum. Nie sind sie aufdringlich oder gar aggressiv den Menschen gegenüber, die ihrerseits die Tiere, soweit ich es beobachten konnte, respektvoll und fast freundschaftlich behandeln.
Zuhauf konnte ich Buchläden und Antiquariate finden, überbordend mit Literatur jeglicher Gattung. Auf der Feria de Tristán Narvaja, einem unfassbar riesigen, wöchentlichen Flohmarkt, der sich über mehrere Straßenzüge erstreckt und auf dem wirklich alles, auch Kifferzubehör (Uruguay ist das weltweit erste Land, das Cannabis weitgehend legalisierte), Kaninchen, Fische und Welpen angeboten werden, existiert auch eine rege frequentierte „Bücherabteilung“.
Uruguay ist eines der stabilsten Länder in Lateinamerika und Montevideo ist nicht unsicherer als der Würzburger Bahnhofsvorplatz in der Nacht. Zu keinem Zeitpunkt jedenfalls fürchtete ich mich oder fühlte mich unwohl.
Es geht ruhig zu. Unaufgeregt. Die Uhren scheinen langsamer zu ticken. Man geht nach Feierabend zum Joggen oder Angeln an den Rio de la Plata
oder aber zum Tanzen in die Gassen der Altstadt
Überall ist eine lässige, aber nicht nachlässige Atmosphäre spürbar, eine Wolke von fast attraktiver Schwermut, die über der Stadt hängt wie leise Musik. Apropos: Ja, ich bemühte mich wirklich, aber der Tango und ich werden keine Freunde.
Im Vorfeld las ich von der Hingabe der Uruguayos zu ihrem Nationalgetränk und vermutete eher Folklore und Ãœbertreibung. Tatsächlich aber ist Mate wirklich allgegenwärtig. Vom Hipster zur Oma, vom Bauarbeiter zur Bankangestellten – Menschen allen Alters und Standes klemmen sich eine Thermoskanne mit heißem Wasser in die Armbeuge, die zugehörige Hand hält das Gefäß mit Tee und metallenem Trinkhalm. Der Teetrinker verhält sich dabei so selbstverständlich lässig, als hätte ihm der Storch diese Utensilien als eine Art Add-on bei Geburt bereits mitgeliefert, aber auch hier hat die Modernisierung gelegentlich Einzug gehalten: Kleine Tragen aus Leder oder Holz
erlauben das Abstellen und somit den Gebrauch beider Hände, ohne auf das Getränk verzichten zu müssen.
Bröckelnde, graffitibemalte Fassaden
wechseln sich ab mit Art Deco-Gebäuden und Kolonialstilhäusern
Uruguay hat seinen einstigen Reichtum verloren und tut sich schwer mit dem Erhalt von Bauten und Straßen. Der morbide Charme eines Großteils von Montevideo ist vielleicht nur für den Besucher attraktiv. Es gibt viele Leerstände und irgendwie hat man ständig den Eindruck, als seien zu wenige Menschen in dieser Stadt. Wer pulsierendes Nachtleben oder mondäne Locations sucht, ist in Montevideo jedenfalls am falschen Platz. Hier regiert eher eine beschauliche Geruhsamkeit.
Wir aßen viel und liefen noch mehr. Natürlich auch zu einem der Strände, die Playa Pocitos war riesig und ich fühlte den Sommer mitten im März. Wer weiß, wie sehr ich Strand und Wasser liebe, ahnt, in welche Höhen mein Herz hüpfte, als ich die Zehen in den Sand bohrte und die heiße Sonne auf die Haut prickeln ließ.
Die Anreise ist natürlich nicht von Pappe: Zweimal umsteigen und pimaldaumen 20 Stunden. Aber selten hab ich mir lieber die Gräten in der Holzklasse verrenkt, als bei dieser unvergesslichen Reise nach
5 Sterne! Gerne wieder!
moggadodde
Toller Reisebericht! Wunderschöne Bilder. Mensch, du hast das Fernweh in mir entfacht!
Danke, Georg, Dir würde es dort garantiert auch gefallen! Erinnerst Du Dich an den Flugzeugabsturz mit den Rugbyspielern in den Anden? Wir besuchten ein Museum mit einer umfangreichen Sammlung von Gegenständen, Briefen und Zeichnungen der Verunglückten. Es ist noch immer ein Stachel im Fleisch der Uruguayos, dass sie ihre Leute nach 10 Tagen aufgegeben haben, obwohl so viele noch lebten und erst nach 72 Tagen gerettet wurden. Absolut beeindruckend.