„Dio mio“, entfuhr es dem Gelatiero, als er ob seines Angebots unsere leuchtenden Augen und offenen Münder schaute! Da war ZUPPA INGLESE, die Gutenberg-Bibel, die Blaue Mauritius, ach, der heilige Gral unter den Eissorten!
Blaukraut-Bacardi, Leberwurst-Physalis, Graberde-Limette? Jede noch so abseitige Geschmacksverirrung ist leichter zu finden als das, was uns da aus der Vitrine entgegen strahlte.
Der Gelatiero war perplesso. Es gebe nur wenige Kunden, die die Deliziösität dieser Kreation zu würdigen wüssten, was wiederum uns verwunderte, denn Zuppa Inglese ist so ziemlich das leckerste, was jemals eine Eismaschine verlassen könnte. Als Bisquit-Dessert unter Gourmets und Gourmands tutto il mundo schon nur leidlich bekannt, fristet es als gefrorene Delikatesse ein absolutes Nischendasein. Für die Farbgebung wird traditionell Alchermes verarbeitet, früher gewonnen aus Schildläusen, heutzutage synthetisch hergestellt, aber im Zuppa Inglese-Eis in hiesigen Gefilden gern gegen Eierlikör getauscht. Ja nun. Man nimmt, was man kriegt.
Wir nahmen Platz und ich sah dem MamS ins Gesicht. Ich kenne diesen Blick der Sehnsucht, der ungezügelten Leidenschaft, des absoluten Begehrens, des heißen Verla ….. Nein. Er betrachtete nicht mich, sondern die vor ihm abgestellte Espressotasse. Nun ist es seit einigen Jahren schon so, dass er, sobald er ein interessantes Stück erspäht, die immer gleiche Nummer abzieht, um das Objekt zu besitzen und seine Sammlung zu erweitern. Er verwickelt das Personal in ein Gespräch, in dessen Verlauf er nur wenig flunkert, um das Teil möglichst günstig zu erhalten, wobei 5 Euro seine oberste Grenze darstellt. Verweigert sich der Baristo der Feilscherei, was nur selten passiert, bleibt der Laden im besten Fall in schlechter Erinnerung, so wie der Drecksschuppen das Etablissement in Gargnano, wo die nebelkrähige, übellaunige Besitzerin trotz der geballten Charmeoffensive des MamS einfach nicht nachgeben wollte, porca miseria!
So ist inzwischen eine beachtliche Sammlung pittoresker Pöttchen aus aller Welt zusammengekommen und zu jedem weiß der MamS Herkunft und Schwierigkeitsgrad der Beschaffung zu erzählen, wovon er gern und manchmal auch enervierend episch Gebrauch macht. Die Aufnahme zeigt übrigens nur etwa die Hälfte seines Besitzes:
Die Benutzung jeder einzelnen Tasse portiert ihn an den Ort der Erbeutung zurück und weil es sich meist um Urlaubstage handelt, sind die Erinnerungen ausschließlich süß und wohlig und intensivieren die Freude am Genuss des Kaffees noch.
„Na, wohin willst du denn heute?“, fragt er mich. „Limone!“, antworte ich zum Beispiel. „Oder doch lieber Desenzano? Ach komm, überrasch‘ mich einfach!“ und dann bringt er mir vielleicht einen Espresso in der Tasse aus Vinci, wo wir stundenlang im Café am Turm saßen und kardiologisch fragwürdigen Espresso tranken, so lange, bis wir die richtige Tassen-/Untertassenkombination auf dem Tisch hatten.
Urlaub ist ja immer viel zu selten, aber zumindest haben wir dank dieser Espressotassenflashbacks tägliche Kurzreisen. Und das sogar völlig klimaneutral.
Einen munteren Abend wünscht
moggadodde