Wir verbrachten einen schönen Geburtstagsnachmittag, Mutter, der kleine Hank und ich. Zwar hatten bei der Heimleitung um Erlaubnis nachgefragt, aber 4 Personen aus 3 Haushalten waren mehr, als zugelassen war. So saßen wir am Mittwoch also zu dritt beieinander, plaudernd über telefonische Gratulationen und scheiß „Carola“, Mutter klagte über leichte Kopfschmerzen und fand oft nicht die Worte, die sie suchte. Sie schob es auf mangelnde Flüssigkeitszufuhr und trank dann doch mal einige, große Schlucke, worauf es besser wurde. Trotzdem benachrichtigte ich das Personal und bat darum, doch mal den Blutdruck zu checken, was der Lieblingspfleger Thomas auch schnell und mit unauffälligen Werten besorgte.
Unsere Geschenke mit eher praktischen Utensilien kamen gut an, aber mein Bruder hatte am Empfang ein Geschenk abgegeben, das genau ihren auch im Alter modebewussten Geschmack traf: Ein bordeauxrotes Oberteil mit Glitzersteinen um den Ausschnitt und die passende Halskette! „Häng’s mal auf den Bügel! Das zieh ich morgen gleich an!“, rief sie begeistert. Per Videoanruf schalteten wir Dixie und meinen Bruder zu und sie freute sich und bewunderte Dixie wegen ihrer dicken Mütze, die sie trug.
„Du hast mir noch gar nicht gratuliert!“, sagte sie zu Lieblingspfleger Thomas, der entgegnete, auf Kommando schon gar nicht gratulieren zu wollen. Die beiden vertrugen, neckten, und rieben sich häufig. Auch ich mag ihn sehr, weil er die alten Menschen ernst nimmt und ehrliches Interesse zeigt. Jemand, der richtig ist in diesem aufreibenden Beruf. „Abendessen mag ich heute nicht!“, sagte sie aber Thomas entgegnete „Helga, ich bring’s dir mal und dann schaust du!“. Der kleine Hank und ich staunten nicht schlecht, als sie die gebrachten drei Toastbrotscheiben mit Streichwurst innerhalb weniger Minuten verdrückte. Na, geht doch!
Als wir gingen, nahm ich die FFP-2-Maske ab, drückte und küsste sie. „Das dürfen wir doch nicht!“, rief sie aus und ich entgegnete „Na, Mutti, wir sind getestet, du bist zweimal geimpft, an Carola stirbst jetzt schonmal nicht!“, und wir lachten. Sie winkte uns zum Abschied und freute sich auf den nächsten Tag, an dem Dixie ihren Besuch angekündigt hatte. Das war doch wenigstens etwas gutes an der Besucherbeschränkung: Die nächsten Tage waren mit Abwechslung gut gefüllt.
Der Anruf kam am nächsten Morgen. Zwei Nachtkontrollen waren unauffällig. Um halb 6 morgens fand man sie leblos in ihrem Bett. Ihr Herz hatte einfach aufgehört, zu schlagen. Ein Traumtod, wenn es so etwas überhaupt gibt, ein Alptraum für uns.
Lange saß ich an ihrem Bett, hielt die kalt und kälter werdende Hand und konnte und kann es nicht fassen.
Mutter ist gestorben.
Ohne Worte
moggadodde
Ach Mogga, es tut mir so leid! 🙁
Ich könnte dir jetzt schreiben, dass deiner Mutter einen — den Umständen entsprechend – schönen und gut gelaunten Tag gehabt hat. Dass sie einfach entschlafen ist und damit den Platz 1 wohl einer jeden Wie-will-ich-mal-sterben-Liste umgesetzt hat.
Das alles stimmt auch. Trotzdem ist sie nun tot. Aber nicht weg. Sie lebt in euch und den Erinnerung an sie weiter. Ich bin mir sicher, dass du bei geselligen Abenden noch viele Mutti-Schoten von dir geben wirst.
Sterben ist schlimm. Vergessen werden ist schlimmer. Aber da mach ich mir um deine Mutter keine Sorgen.
Ich drück euch alle!
Es ist so sinnlos, Ralf! Sie fiebert den Impfungen entgegen, erträgt jede Einschränkung, verträgt alles prima, freut sich auf die neue Frühjahrsgarderobe und dann hört dieses Herz einfach auf, zu arbeiten.
Es wird viele Schoten geben. Soviel ist sicher.
Liebe Heidi,
was für einen wunderbaren, wenn auch absolut nicht bewussten, schönen und letzten Tag ihr miteinander verbringen konntet. Ihr habt gelacht, ihr Geschenke gemacht, euch geneckt, geherzt und seid in Liebe und fröhlich auseinandergegangen. Halte Dich, trotz aller Sinnlosigkeit, daran fest.
Ich drück Dich virtuell ganz fest und wünsch Dir und Deiner Familie viel Kraft. Nehmt euch die Zeit zum Trauern, aber auch zum Lachen, wenn ihr euch gemeinsam erinnert. Ich bin mir fast sicher (ich bin ja sonst überhaupt nicht so ne spirituelle Tante, aber egal), sie wird euch dabei wohlwollend von irgendwo beobachten.
Alles Liebe aus dem Norden,
Sandra
Tatsächlich mag ich mir gar nicht ausmalen, wenn ich es zeitlich nicht geschafft und auf den nächsten Tag verschoben hätte. Das hätte ich mir nicht verziehen. So haben wir aus dem Tag tatsächlich das Maximale für sie rausziehen können.
Ja, sie wird wohl runterschauen, jeden Samstag, damit ich ja nicht wieder vergesse, „ihre“ Lottozahlen mitzuspielen.
Danke Dir und sei lieb gegrüßt aus Würzburg!
Mein herzlichstes Beileid😪 es tröstet dass sie nach einem schönen Tag friedlich einschlafen konnte
Danke Erika. Ja wirklich, ihr ist gelungen, wovon doch jeder von uns träumt, für das eigene Ende.
Liebe Tante,
der Text hat mir Tränen in die Augen getrieben.
Ich drück Euch ganz ganz fest aus der Distanz & sende Euch ganz viel Liebe!
Immer hin einen wunderschönen Geburtstag konntet ihr noch verbringen …
Die Nichte ♥ï¸
Liebe Nichte, ja, es war ein guter Tag für sie und uns. Die geehrte Hauptperson des Tages sein, Geschenke, Lachen und Familie. So ist es in allem Unglück ein kleines Glück.
Bis bald!
Deine Tante <3
Liebe Heidi,
mein aufrichtiges Beileid!
Schon die ganzen Tage hab ich immer wieder an Deinen Tweet denken müssen und jetzt diese traurig und irgendwie doch schöne Geschichte, die mich mitten am Tag komplett gestoppt hat um innezuhalten. Ich wünsche Dir und Deinen Lieben viel Kraft diese Tage!
Liebe Grüsse aus der Vorderpfalz,
Mirko
Mirko, ich danke Dir. Ja, das schlimme Ereignis hat uns einmal mehr vor Augen geführt, wie schnell sich alles verändern kann. Nicht aufschieben. Nicht zögern. Tun und lieben.
So wie du den Tag beschreibst klingt das nach Aufbruch, Frühling, Zukunft… Unfassbar. Mein herzliches Beileid! 😪
Danke, Daniel. Der Tag der Beisetzung heute war wertvoll und unverzichtbar für einen Abschluss. Pläne hatte sie noch, ich hatte schon Aufträge für ihre Frühjahrsgarderobe und wir freuten uns auf einen Ausflug in den Biergarten.
So schnell vorbei. Genießen. Helfen. Lieben. Wir taten, was wir konnten.
<3
Da bin ich seit Ewigkeiten mal wieder hier und lese mit tiefem Mitgefühl deinen Eintrag.
Worte sind manchmal einfach nicht genug, um all das auszudrücken, was ich dir gerne zum Trost sagen möchte.
Fühl dich umarmt💑
P.S.: ooops, da sollte doch gar nicht mein Klarname stehen, sondern morgiane vom twoday blog. Das kommt davon, wenn frau nicht mehr so ganz im Bloguniversum daheim ist.
Liebe Morgiane, ich hab es geändert.
Danke für deine Worte. Nun ist es ja schon über ein Vierteljahr her, die Zeit rennt, und trotzdem passiert es, dass ich etwas sehr und denke „Oh, das wäre was für Muddi!“ – bis eine Nanosekunde darauf der Gedanke kommt, dass es das nicht mehr braucht.
Ich hoffe, Dir geht es gut? Wir haben ja schon Jahre nicht mehr voneinander gelesen!
Stimmt. Jahre in denen ich erstmal Pause gemacht habe, die sich merkwürdigerweise ausdehnte bis ich heute das dringende Bedürfnis hatte, meinen Gedanken in meinem Uraltblog freien Lauf zu lassen. Danach musste ich doch mal meine Links testen. Und stelle fest, wie schön, dass du noch schreibst.🙂
Morgen, hab meinen alten blog reaktiviert.