Am 28.09. wird in Bayern der neue Landtag gewählt und schon seit ein paar Wochen hängen die Köpfe der Lokalpolitik an allen Laternen, abgebildet auf mehr oder weniger gelungenen Plakaten. Lächelnd, niemals wirklich lachend, weil die Politik wohl nicht wirklich lustig ist, brennen sich die abgebildeten Kandidaten während hunderter Ampelstopps in die Gehirnwindungen und stimmen das Volk auf den Wahltag ein.
Vielleicht hängt die steigende Wahlmüdigkeit ja mit der tsunamiartigen Überfrachtung von Wahlplakaten zusammen. Vielleicht ist es wie mit den Lebkuchen: Wer schon im Spätsommer mit Nikoläusen und Dominosteinen bombardiert wird, kann spätestens Ende November das Zeug nicht mehr sehen.
Ein Würzburger Architekt hat allerdings einen ganz anderen Ansatz nach dem Motto „Unser Wahllokal soll schöner werden“. Er hält kahle Turnhallen und schäbig eingerichtete Schulzimmer angesichts der fundamentalen Bedeutung der Stimmabgabe für nicht angemessen, um nicht zu sagen abtörnend, und plädiert für ein festliches Schmücken der Wahllokale, beispielsweise mit Landesflaggen sowie peppiger Farbgebung und ich finde, der Mann hat Recht.
In Zeiten, in denen alles zum Event werden muss, um angenommen und gewürdigt zu werden, darf eine Wahl keine Ausnahme machen, will man möglichst viele Menschen mobilisieren. Ich meine, „an die Urnen“ gerufen zu werden, hört sich wirklich eher nach Verwesung und gähnender Langeweile an und Wahlurnen sollten zuallererst hinkünftig zu „Voiceboxes“ werden.
Schon die Wahlbenachrichtigungen bedürften einer Überarbeitung. Vorstellen könnte ich mir etwa folgenden Wortlaut:
Lieber Bürger!
Am 28. September 2008 ist es wieder soweit: Sie machen Politik! Anliegend finden Sie die für in Ihrem Wahlkreis antretenden Finalisten für die anstehende Landtagswahl, aufgelistet nach Alter mit Informationen zu Hobbys, Beruf und politischen Zielen. Stellen Sie die Crew zusammen, die in den nächsten 4 Jahren Ihre Interessen vertreten soll!
Ihr Wahllokal ist die Pups-Sowieso-Schule in der Weißnichstraße und lassen Sie sich gesagt sein: Das Betreuerteam hat sich mächtig ins Zeug gelegt, um Ihnen diese Wahl unvergesslich werden zu lassen:
Bereits im Eingangsbereich werden Sie mit Sekt und raffiniert zubereiteten Häppchen empfangen. Freundliche Gemeindemitarbeiter verwöhnen die Damen mit Fußmassagen, geben Styling-Tipps, berechnen Ihren BMI und messen Ihren Blutdruck. Selbstverständlich hält unser Team auch zahlreiche Kosmetikproben für Sie bereit. Die Herren können sich auf eine Bier- und Weindegustation, präsentiert von Topless-Models aus der Umgebung freuen.
Danach dürfen Sie am Glücksrad Fortuna auf die Probe stellen. Die Tombola überrascht mit vielen, erstklassigen Preisen aus Handel und Industrie auch das anspruchsvolle Wählerherz.
In ansprechend, nach Feng-Shui-Regeln gestalteten Räumen dürfen Sie anschließend wählen. Unsere geschulten, stets freundlichen Helfer geleiten Sie in das nächste, freie Separee, wo Sie durch prächtige Lorbeerpflanzen vor unliebsamen Blicken geschützt sind. Auf einer gemütlichen Chaiselongue dürfen Sie sich in Ruhe mit dem Stimmzettel vertraut machen und wählen durch Knopfdruck die passende Musikuntermalung (hochwertige Kopfhörer liegen bereit). Lassen Sie sich ruhig Zeit! Die gut gebauten Damen und Herren aus der benachbarten Formentera-Bar servieren inzwischen gerne eine Erfrischung.
Wenn Sie Ihre Kreuzchen gesetzt haben, geben Sie die Wahlzettel in die im Separee eingebaute Rohrpost und läuten. Sofort werden Sie in den Aftershow-Bereich geleitet, wo Sie wahlweise in die Origami-Kunst eingeführt werden oder die Kunst des Aktzeichnens erlernen können (Modelle beiderlei Geschlechts sind ausreichend vorhanden).
Als kleinen Dank für die Ausübung Ihres Wahlrechts erhalten Sie am Ausgang einen vakuumverpackten Kochschinken (250 g) und eine Flasche „Voters Digest“, Jahrgang 2003.Sie sehen, wir haben weder Kosten noch Mühen gescheut, um Ihnen den Aufenthalt in Ihrem Lokal so angenehm wie möglich zu gestalten.
Kommen Sie! Wählen Sie! Staunen Sie! Es lohnt sich!
So oder ähnlich könnte eine Wahlbenachrichtigung doch lauten! Dann wär’s vorbei mit der Wahlmüdigkeit, denn wenn es etwas umsonst gibt, ist das Interesse auch des letzten politikverdrossenen Bürgers plötzlich wieder geweckt, denn allein mit der Aussicht, durch die Stimmabgabe wenigstens ein bisschen Einfluss auf die Politik nehmen zu können, lockt man heutzutage anscheinend doch wirklich kaum einen hinter dem Ofen vor!
Euch einen nachdenklichen Abend wünscht
moggadodde
Die Idee findet meine vollste Zustimmung. Unser Wahllokal befindet sich in einem Krankenhaus. Da hätte man die nötige ärztliche Versorgung gleich vor Ort. Bei dem Angebot.
da wäre doch prima und ich würde sogar die lange Anreise zum Wählen auf mich nehmen;-)
@ socki: Da könnte man sich dann ggf. auch gleich noch den Busen richten oder ein Ãœberbein entfernen lassen. Wählen muss sich einfach lohnen … 😀
@ barbara: Genau: Wellness-Wählen … aber ob sich der lange Weg lohnt? Füße hoch und Briefwählen beim Käffchen … geht auch!
Das ist doch mal eine sinnvolle Verwendung von Steuergeldern;-)
Der brave Bürger macht am Wahltag seinen Sonntagsspaziergang in die tristen Schulräume, erinnert sich mit Schrecken an vergangene Zeiten und was bringt ihm das, nix.
*ironieoff*
Liebe Grüße
Emma
Natürlich auf Kosten der Parteien! Die wollen ja gewählt werden.
Die Schwarzen servieren Kaffee und Kuchen, die Gelben die Lachshäppchen, die Grünen Vollkornschnittchen mit Bio-Schinken und die Roten Wein und Bier.
@ Emma: Ich glaube, nächstes mal lasse ich mich für die Briefwahl eintragen (obwohl ich unser Wahllokal fast sehen kann) … da bleibt mir auch dieses doofe Smalltalk vor dem Pfarrheim (bei uns isses im Pfarrheim) erspart … 🙂
@ socki: Genau. Und die Reps und das andere Zeuchs muss nachher aufräumen.
Die Idee ist gar nicht so schlecht bringt ein wenig Abwechslung beim Wählen.
Moggadodde, laut Wahlbenachrichtigung der Stadt ist der Wahlraum bei uns in einem Jugendheim, da schaut es eh schon kunterbunt aus..:-)
Schwätzchen vor dem Wahllokal gibt es keins, dafür ist die Stadt zu gross, ausser man trifft zufällig einen direkten Nachbarn.
Liebe Grüße
Emma
Hier auf dem Kaff kennt jeder jeden und die nervigste lautet: „Na, höhö, haste auch richtig gewählt?“
Finde die Idee super… ich würde die lange Anreise auch auf mich nehmen.:-)