Lizenz zum Verblöden

Mami möchte, statt dem Balg eine Gute-Nacht-Geschichte zu erzählen, lieber mit ihrer Freundin entspannt eine Prosecco-Sause starten und Papi findet Vorlesen sowieso überflüssig weil absolut unmännlich?
Kein Aprilscherz sondern traurige Wahrheit ist, dass uninspirierte und desinteressierte Cappuccino-Mütter zukünftig den kleinkindlichen Nachwuchs nicht mehr selbst bespaßen müssen, sondern ihre fleischgewordenen Statussymbole einfach vor der Glotze dauerparken können, während sie sich in Ruhe der Maniküre widmen, den Innenarchitekten instruieren oder mit dem Briefträger poppen können.
Wem Tom und Jerry für das halbjährige Kind aber etwas zu unruhig sind, für den gibt es jetzt einen Sender mit altersgerechtem Baby-Entertainment.
BabyFirstTV, die erste Fernsehstation für Aufzieher, die sich keine Nanny leisten können, bietet dem lästigen Gelege gleich vielfältige Zerstreuung und es kann ja niemals zu früh sein, die Kurzen mit der bunten Medienvielfalt zu konfrontieren, schließlich sollen sie sich ja spätestens zur Einschulung so ziemlich abgenabelt haben und hinreichend mit ihrem Computer umgehen können, damit sie ihren Produzenten nicht länger auf den Sack gehen!

Es ist also Abend und das Früchtchen will nicht schlafen? Kein Problem: Die psychedelisch anmutende Sequenz „Sinfonie der Farben“ wird unterlegt mit üblem Esoterik-Geklimper und beschert dem Fratz gleich einen Vorgeschmack auf spätere Drogenerfahrungen! Schnell noch ein bisschen „Kaleidoskop“ hinterher, sicherheitshalber wird auch noch das animierte Gute-Nacht-Lied nachgeschoben und wenn das Balg dann immer noch nicht pennt, gibt es eben gleich mal eine Dosis Ritalin, da machen wir doch gar nicht lange rum!

Das erste Babyfernsehen ist wirklich eine vollkommen überflüssige Erfindung, ein Alibisender, der überforderten oder desinteressierten Eltern die ersehnte Absolution erteilt, schon die Kleinsten der Kleinen vor dem Plasmaschirm zu deponieren. Wir tun ja wirklich alles für die Entwicklung von Charlene-Jennifer! Wenn sie dann später feststellen, dass aus ihren Augäpfelchen kleine emotionsgestörte Passivposten mit Sprachproblemen und Aufmerksamkeitsdefiziten geworden sind, ist der Cappu kalt und das Kind in den Brunnen gefallen. Aber vielleicht merken sie das ja gar nicht.

Kinder, besonders und gerade kleine Kinder, bedeuten Arbeit, harte, anstrengende, unterbezahlte, jahrelange Arbeit im 3-Schicht-Betrieb, ohne Gefahrenzulage, doppelten Boden oder Umtauschrecht, die trotz aller Hindernisse mit Geduld, gesundem Menschenverstand und einer unendlichen Menge Hoffnung im Gepäck keine schlechten Erfolgsaussichten bietet und tatsächlich sogar manchmal mehr und manchmal weniger Spaß machen kann. Wer sich dessen nicht ganz bewusst ist, sollte sich das Babyprojekt lieber noch ein paar mal durch den Kopf gehen lassen und dann doch vier Wochen Wellness auf Bali buchen oder einen schicken Zweisitzer kaufen.
Vorlesen bis zur Vergasung, Bilderbücher durchackern bis zur Benommenheit und später „Ich sehe was, was du nicht siehst!“ bis alle Farben durch sind und „Alle meine Entchen“ in Endlosschleife, das alles ist anstrengend aber im Kleinkindalter das A und verdammte O der Erziehung, weil Beschäftigung mit dem Kind stattfindet und sogar das bescheuerte „Hoppe-Hoppe-Reiter“ ist pädagogisch auf alle Fälle sinnvoller als das Einschalten dieses Baby-Abstumpf-Senders mit der Lizenz zum Verblöden.

Euch einen lieblichen Abend wünscht
moggadodde

Dieser Eintrag wurde in Daily Soap veröffentlicht.

8 commenti su “Lizenz zum Verblöden

  1. Alex sagt:

    Später sind dann alle möglichen Faktoren schuld, wenn das Kind in der Schule nicht mitkommt und nur so viel checkt, dass es nicht in die nächste Ecke strullert.

  2. Emily sagt:

    Ich hoffe ja, dass es ein Aprilscherz ist. Andererseits wäre es gar nicht so unglaublich, wenn es das gäbe. Arme Kinder. Meine würden mich wahrscheinlich eher anflehen, das Buch endlich weg zu legen. 😉

    • moggadodde sagt:

      Kein Scherz – und wer hat’s erfunden? Die Amis …
      Den Gedanken, dass Kinder automatisch gerne lesen, wenn die Eltern selbst zur bibliophilen Spezies gehören, solltest du dir sowieso abschminken, auch wenn du es mit dem Vorlesen nicht übertreibst. Was hab ich meinen vorgelesen (speziell der Großen)und Wimmelbilderbücher gewälzt … die Zahl der freiwillig gelesenen Bücher lässt sich an zwei Händen abzählen. Zumindest aber hab ich es versucht.

      • Emily sagt:

        Wenn ich denn überhaupt mal welche bekomme, bleibt das alles freiwillig. Bücher gehören bei mir zum Leben dazu, vorlesen würde ich ihnen auch, aber wenn sie mal selbst entscheiden können, ist Druck nur kontraproduktiv.
        Vielleicht kommt es auch später noch, mein Bruder hat erst in den Zwanzigern das Lesen für sich entdeckt.

  3. ich bin dem Link zum baby first tv zwar jetzt nicht gefolgt, glaube aber eher, dass das wieder sowas für jugendliche Club-Heimkehrer am Sonntag Nachmittag ist – wie die Teletubbies. Zum Runterkommen bzw Chill Out!

    • moggadodde sagt:

      Die gucken zum Chillen die Teletubbies? Ist ja krass …
      Hank war nicht scharf auf die Teletubbies und ich umso froher, weil ich’s grauslich bescheuert fand.
      Er liebt noch immer Spongebob und jetzt auch die Simpsons, da kann man wenigstens gemeinsam schauen und sich amüsieren.

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