Ein reichlich unschöner Tag liegt endlich hinter mir. In den Katakomben hatte ich das fraglos zweifelhafte Vergnügen mit der Patientin, die mir mit ihren besserwisserischen Kommentaren kolossal auf die Eierstöcke ging. Ich arbeite da schließlich auch nicht erst seit gestern. Mehrere Stunden mussten wir mit BtM und empfindlicher Kühlware hantieren, deren Abarbeitung volle Konzentration erfordert und als kurz vor Feierabend noch eine Lieferung kam, verfiel sie schon wieder in Panik, dass sie jetzt noch eine Stunde Arbeit dranhängen müsse. Da konnte ich mich nicht beherrschen und fuhr sie an, dass sie nicht viel quatschen sondern zupacken soll und sie nannte mich „Generalin“ und das hat mir ziemlich gefallen …
Danach war ich bei meinem Vater im Krankenhaus. Ãœber seinen erneut katastrophalen Zustand möchte ich mich hier gar nicht großartig auslassen, er ist grauenvoll anzusehen und muss den Gedanken daran ganz weit nach hinten schieben, um wieder etwas Kraft zu tanken für das, was noch kommt. Ich hatte ein nicht sehr angenehmes Gespräch mit dem Arzt – bald ist das Ende der Fahnenstange dessen erreicht, was mein Vater aushalten kann. Einige Zentimeter fehlen vielleicht noch und der Satz des Arztes, dass man bei weiterer Verschlechterung im Kreis der Familie diskutieren müsse, ob eine Verlängerung des Lebens nicht auch eine Verlängerung des Leidens bedeute, traf mich in den Magen wie eine eiskalte Faust. Nein, nein, da will und kann ich noch lange nicht drüber nachdenken. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein.
Ich habe immer noch Hoffnung, Hoffnung, dass er sich etwas erholt, sich die Organe soweit stabilisieren, dass er noch ein kleines bisschen angenehme und bewusste Zeit verlebt und sich nicht direkt aus diesem inzwischen 8wöchigen Albtraum ins geistige Abseits oder gar ganz aus dem Leben verabschiedet. Für ihn und für meine Mutter. Und ein wenig auch für meinen Bruder und mich.
Jetzt habe ich doch mehr darüber geschrieben, als ich wollte und jetzt heule ich schon wieder. So eine verfluchte Scheiße!
Euch einen positiven Abend wünscht
moggadodde
Fühl Dich umarmt.
ich kenne das scheiß-gefühl. mein vater lag nach eienm unfall mit rückenmarksverletzungen im koma, hatte mehrere herzstillstände und ist dann gestorben, als die ärzte ihn schon auf dem weg der besserung sahen. in dem moment hart, ich habe rotz und wasser geheult, obwohl der schuft mir meine kindheit genommen hat.
im nachhinein betrachtet war es das beste. ein agiler mann ohne sitzfleisch, mit charisma und der gabe einen kompletten saal allein zu unterhalten wäre als pflegefall wieder heim gekommen. querschnittsgelähmt, hirngeschädigt durch die herzstillstände, ein pflegefall bis?
so ist er eine woche nach dem unfall gegangen und es hat lange gedauert, bis die trauer versiegt war. aber es heißt nicht umsonst, dass die zeit alle wunden heilt.
ich wünsche dir die kraft, die du für dich und deine familie brauchst. fühl dich kräftig umarmt und für einen moment des luftholens gehalten.
und vor allem…ey baby, wir sind frauen, wir halten das aus…*schiefgrins*…
*umarm*
Es ist so… [? – hier fehlt mir ein Wort/Begriff] … ich meine, es ist so humoristisch, wie du das mit der Frau Generalin schreibst – und dann der Hammer mit deinem Vater. Schwierig darauf zu antworten. Soll/kann ich jetzt ein Witz machen? Oder nein, wie unsensibel?
Ich wünsche dir (und euch) alle Kraft der Welt für das Bevorstehende und Unausweichliche… welche Sprache benutzt man da? Schleimisch? Geschäftsmäßig? Witzig überdeckend?
Selbst in der Not, im Elend finde ich deine Schreibe gut, und möchte dir gerne sagen, dass wenn auch nicht von mir jetzt super Anteilnahme kommt, ich dennoch einen Moment innehalte und positiv an euch denke. Aber ich mach das nicht zum Programm.
Deshalb mein Kommentar: Frau Generalin passt saugut zu dir ;o))
Herrje… *knuddel*
@ socki, morgiane, babs und Karin: Danke euch! Heute morgen soll es ihm wieder etwas besser gehen. Aber insgesamt ist er wie ein Kartenhaus. Wenn eine Karte fällt, fallen alle mit. morgiane, wahrscheinlich weil es bei mir zum ersten Mal passiert, dass in der unmittelbaren Familie jemandes Gesundheitszustand so schlecht ist, bin ich so dünnhäutig und irrational.
@ georg: Als ich gestern anfing, hatte ich eben versucht, die negativen Gedanken ganz nach hinten zu verbannen, es aber dann nicht durchhalten können und bin während des Schreibens stimmungsmäßig sehr schnell umgeschlagen. Und heute sehe ich diesen Bericht gar ein wenig so: Es gibt nichts Gutes ohne das Schlechte, es gibt nichts Schönes ohne das Hässliche, es gibt ohne Licht keinen Schatten und ohne Tag keine Nacht. Yang und Yin.
Ich denke, hier macht keiner etwas zum Programm, georg, und das ist gut so. Es handelt sich nämlich nicht um eine Inszenierung sondern um eine Reflexion meines Wesens. Ich danke für deine positiven Gedanken und freue mich, dass dir „Generalin“ genauso gut gefällt!
Ich habe bei deinen Zeilen, so grob es auch klingt, leider den Eindruck, dass der Doc selbst nicht mehr an diese Zentimeter glaubt.
Bei allem was ihr drei (Mutter, Bruder, Du) jetzt entscheiden müsst, wird wahrscheinlich die Frage stehen, wie würde sich dein Vater, also der Betroffene, selber verhalten. Das ist die rationale Ebene. Dann kommt aber noch die emotionale Seite. Ist alles gesagt was offen war? Gibt es etwas Unaufgearbeitetes, dass für den Rest deines eigenen Lebens immer im Raum stehen bleibt. Ich kenne aus meinem Umkreis oft die Fälle, in denen Angehörige deswegen einfach nicht die Kraft hatten, loszulassen.
Vielleicht gibt es ja doch noch die wenigen Zentimeter, die es ihm ermöglichen, dir (euch) zuzuhören. Und so ein Gespräch unter vier Ohren, auch wenn es Außenstehende als Monolog empfinden würden, hilft darüber hinweg.
Ich sitze hier und lese und heule. Ganz egoistisch. Denke an eine schlimme persönliche Zeit, die jetzt schon fast 20 Jahre hinter mir liegt. Eine Zeit, in der ich (selber Patient auf einer ebensolchen Station mit vielen ernsten Gesichtern um mich herum) miterleben musste, wie das Bett neben mir plötzlich leer war. Deshalb bringe ich auch nicht mehr zustande, als Dir und Deiner Familie viel Kraft zu wünschen. Wenn es hilft, auch eine virtuelle Umarmung und viele Gedanken an Euch.
@ bt: Du hast Recht, mit allem, was du sagst. Und ich schäme mich dafür, dass ein kleiner Teil in mir bereits sagt „Lass los. So ist das kein Leben“ weil es nach Resignation und Fallenlassen klingt. Monologe hat jeder von uns in seiner Gegenwart schon einige geführt, in den letzten Wochen. Zumindest mir hat es nicht geholfen.
@ sachsenwunder: Danke. Tut mir leid, dass du jetzt auch noch heulen musstest. Wie gesagt, ich habe noch keine Erfahrung mit so ernster Krankheit in der unmittelbaren Familie und muss erst den für mich richtigen Umgang damit finden.
Hey, kein Thema. Sowas passiert gelegentlich und hat reinigende Wirkung. Danach schaue ich wieder mit etwas anderen Augen in diese merkwürdige Welt. Der richtige Umgang damit? Gibt es den? Ich glaube nicht. Da findet jeder für sich sein Eckchen im Herzen und im Kopf und dort bleibt es für immer. Eine seelische Narbe mehr, die das ausmacht, was für Mensch nennen!
Ach, und übrigens war es mißverständlich ausgedrückt: Es war nicht das leere Bett zuhause, sondern im Krankenhauszimmer neben mir. Ich kannte ihn noch nicht einmal besonders gut. Er hatte halt ungefähr das gleiche wie ich und die gleichen monatelangen Behandlungen mitmachen müssen wie ich. Das verbindet. Ich habe es schaffen dürfen, er nicht. Warum weiß ich bis heute nicht. Was es nicht einfacher macht(e) für mich.
Kopf hoch! Das ist eine furchtbare Zeit, aber auf die ein oder andere Weise geht es vorüber.
So eine Entscheigung könnte ich glaube ich auch nicht treffen. Ich bin dafür viel zu emotional, quäle mich mit den Gedanken, dass vielleicht doch noch was für die Person getan werden könnte, das sie vielleicht sogar alles mitbekommt. Was hätte denn Dein Vater gewollt?
Das zu lesen ist einfach so schrecklich, erinnert mich an die Zeit als mein Vater so schwer krank war. Wer weiss, vielleicht ist es auch besser für Ihn einfach so wegzugleiten, als noch einmal Schmerzen zu haben und Verzweiflung zu spüren.
Ich denk an Dich!
@ sachsenwunder: Dass es das nicht einfacher machte, glaube ich gerne! Aber so ein Erlebnis verändert die Sicht auf das Leben sicher nachhaltig, kann ich mir vorstellen.
@ azahar: Ich weiß eben nicht, was er gewollt hätte und diese Gedanken, dass sich doch noch irgendwo ein Trampelpfad aus dem Dilemma auftut und eine Besserung eintritt, habe ich auch. Vom vielen „Kopf-hoch-halten“ in den letzten Wochen bin ich übrigens schon so verspannt, dass ich ihn nur noch unter Schmerzen drehen kann … Werde am Montag beim Arzt wohl mal meine erste Massage beantragen.
so schwer das ist, bt, der weise, hat mal wieder recht. denke auch daran, wie du gehen möchtest. ich habe lange gewartet, überlegt und werde jetzt eine patientenverfügung aufsetzen, bzw. ausfüllen, weil ich meinen kindern diese letzte entscheidung für mein leben abnehmen möchte.
und das frau in so einer situation emotional und irrational reagiert ist doch ganz normal, ihr lebt zur zeit in einem ausnahmezustand.
was meinst du, wie beschissen es mir in der zeit ging, so voller haß auf diesen menschen, der versucht hat mir mein leben zu versauen, und soviel wut auf mich selbst, weil ich trotzdem geheult habe wie ein schloßhund, weil er schließ- und endlich doch mein vater war?
das ist vollkommen in ordnung, du mußt den kopf nicht immer oben behalten, du wirst ihn sicher bei deinem MamS betten dürfen und ganze pullover/hemden und shirts durchweichen dürfen.
und wundere dich nicht, wenn bei der massage anfangen, die ganzen aufgestauten tränen anfangen zu fließen, dass ging mir auch nicht besser…
*drück*
bt hat das, was ich beim Lesen gedacht habe, bereits geschrieben. Ich drücke deinem Vater und euch trotzdem weiterhin die Daumen, glaube aber, dass eine aufkommende Hoffnung den anscheinend abzusehenden Fall nur wieder tiefer macht 🙁
besser als bt es ausgedrückt hat, kann ich es auch nicht. manchmal muss mensch eben dem unvermeidbaren ins auge sehen. fühlt euch von mir gedrückt…
Die Gefühlsachterbahn geht weiter: Meine Mutter und mein Bruder bestätigen, dass er heute bewusstseinsmäßig wieder klarer gewesen sei und diesmal werden die Nieren für den erneuten Intensivaufenthalt angeschuldigt. Ich weiß so allmählich gar nicht mehr, was ich glauben soll. Hege ich Hoffnung, wird es schlechter, bin ich pessimistisch (nach der Aussage des Arztes gestern berechtigt), wird es besser. Ich ändere jetzt meine Strategie und bin pessimistisch bis ins Mark. Dann wird die Enttäuschung, wenn es tatsächlich wieder bergab geht, nicht so stark.
Es tut mir wahnsinnig gut zu wissen, dass ich hier mit euch so liebe Menschen habe, die mit-leiden, mit-hoffen und mit-fühlen. Ich danke euch allen sehr! Ihr seid mir eine unglaubliche Stütze und Hilfe!
mensch moggalein…
mir kommen die tränen…
schreib jetzt mal für uns alle: das ist doch selbstverständlich!
ich bin hier auch am schlucken und fühle mich so hilflos, die richtigen Worte zu finden.
ich würde dir gerne mein Schulter zum Anlehnen anbieten. Trotzdem Kollegin: niemals aufgeben
dicke Umärmelung