Hexenküche

Beim erstmaligen Kontakt mit dem Begriff „Molekularküche“ dachte ich, unbedarft und einfältig, an die mittlerweile wieder rückläufige Architekten-Unsitte, Neubauten mit Kochzonen in der Größe eines Badetuchs zu planen. Bei näherer Betrachtung allerdings wurde mir klar, dass es sich um eine neue Spielart der nächsten Generation cucinarer Großmeister handelt, die unter Einsatz wissenschaftlicher Erkenntnisse aus Physik und Chemie vollkommen neuartig dargebrachte Speisen kreiert.
Da wird Olivenöl und Basilikum in Stickstoff vereist, da werden Gemüsesäfte mit Algenzucker in Kalziumlaktat verkapselt und über allem schwebt das Zauberwort „Sphärisierung“, das ich bis dato nur mit einem erweiterten Bewusstseinszustand nach üppigem Genuss einiger filigran gedrehter Tüten in Zusammenhang gebracht hätte.
Zur Kontrolle des ph-Werts kann der ambitionierte Molekularmaestro online Natriumzitrat erwerben, Xanthazoon für viskose Soßen, Methylzellulose für die Gelifikation oder auch ein 4er Spritzen-Set für die Herstellung von Fake-Kaviar.
Zugegebenermaßen: Dem unvoreingenommenen Auge bietet die Molekularküche, einen fähigen Fotografen und fortgeschrittene Chemiekenntnisse vorausgesetzt, einige visuelle Leckerbissen weshalb ich diese Art des Umgangs mit Lebensmitteln auch nicht in die Kategorie „Kochkunst“ sondern eher bei „Artificial Food Design“ einsortieren möchte.
Ich war in Chemie und Physik eine absolute Niete nie eine besondere Leuchte und damit bei drei meist ausgehungerten Mitbewohnern keine Meuterei ausbricht, brauche ich anständige Portionen auf den Tellern, deshalb wage ich mich an solche Experimente gar nicht erst heran. Und wenn ich Lust auf Verdickungsmittel und Stabilisatoren verspüre, gehe ich entweder zum China-Mann oder kaufe im Supermarkt in der Tütensuppen-Abteilung ein. Da habe ich dann das Gleiche, nämlich imitierte Nahrung, allerdings zum familientauglichen Preis.

Auch unter Nachahmung aller auf den gekauften Packungen gezeigten „Serviervorschlägen“ – so schön wie auf den obigen Fotos sehen die Fertiggerichte aus der synthetischen Küche hier aber leider nie aus. Wird wohl an der fehlenden „Sphärisierung“ liegen, auch wenn ich noch immer keine Ahnung habe, was das ist …

Euch einen gesättigten Tag wünscht
moggadodde

Dieser Eintrag wurde in Daily Soap veröffentlicht.

20 commenti su “Hexenküche

  1. yeow sagt:

    Schicke Fotos, aber, wie Du schon sagtest, manchmal braucht man(n) ordentliche Portionen.

    Ein paar Dinge sind zwar ganz witzig, aber nicht wirklich mein Ding.

    Ich bevorzuge traditionelle griechische, italienische und spanische Küche.

  2. hith sagt:

    Als Chemiker bevorzuge ich eigentlich auch die „traditionelle“ Küche. Und, nun ja, dort ist ja eigentlich auch alles Chemie und Physik, und zwar immer schon gewesen. Jetzt versucht man das ganz bewusst zu betonen und teilweise zu verkomplizieren. Nur weil man „neue“ komplizierte Begriffe und Zutaten erwähnt ist es nicht mehr spektakulär, wie das gute alte Backpulver, das als Treibmittel alles so schön fluffy macht. Das ist wahre Molekularküche!

  3. Ela sagt:

    Da hab ich kürzlich noch im Fernsehen einen Bericht darüber gesehen. Ich fürchte für diese Art von Nahrungszubereitung bin ich zu „Old-School“ (und das kann ich schon nicht gut kochen *g*). Ich bevorzuge eindeutig was zwischen den Zähnen, statt die Pasta in einem sphärischen Schaum zu schmecken! Die Konsistenz der Nahrungsmittel gehört doch irgendwie zum Essen dazu…

  4. moggadodde sagt:

    @ yeow: Ich mag auch die ausländischen Gerichte, wobei griechisch aber nur etwa viermal im Jahr brauche … Was ich nicht sonderlich mag, ist die schwere, russische Kochart, was ich schon mal beschrieben hatte.

    @ hith: Auch wieder wahr. Ohne Backpulver geht’s selten. Aber du als Chemiker sag mal: Ist „Methylzellulose“ nicht einfach Tapetenkleister?!?

    @ Ela: Du musst zugeben: „Sphärisierung“ hört sich schon ziemlich geheimnisvoll an! Ich bin aber deiner Meinung: In der Küche ist weniger mehr! Normalerweise bin ich ja nicht so altmodisch, aber beim Kochen und vor allem beim Essen bin ich es gern!

  5. hith sagt:

    @moggadodde: Methylcellulose, … da ist es fast leichter aufzuzählen wo das nicht drin ist!
    Aber ernsthaft, man verwendet das Zeug in Zahnpasta, Brot, Zement, Farben, Shampoo, Eiscreme, Tapetenkleister, Batterien, Medikamentenzusatz, Gleitcreme, wasserabweisende Kleidung, Papier, künstliche Tränen, bis hin zu dem seit Ghostbusters so beliebten „Slime“, welcher nichts anderes ist als eine Wasser-/Methylcellulosemischung, der etwas Farbe beigemengt ist.

    Ist das Zeug ungesund? Wie bei allem, die Dosis macht das Gift. Im Prinzip kann der Körper nichts mit dem Zeug anfangen und scheidet es somit wieder aus. Viel davon wirkt also abführend, das ist dann brauner Slime …

    Das gute dran: geschmacklos und keine Kalorien!

  6. moggadodde sagt:

    Beeindruckend! Das ist ja ein richtiger Allrounder! Vielleicht sollte ich mir doch mal was davon bestellen, wenn’s mit der Verdauung mal wieder hapert. Zur Not mache ich dann Slime für den Hank daraus, das er sonst als Gimmick aus den Comics bekommt 🙂

  7. Ela sagt:

    Jetzt wollte ich nur nachschlagen was Sphärisierung bedeutet und da finde ich tatsächlich einen „Kochkurs für ambitionierte Hobby-Köche“.

    Was man da lernt – schlichtweg phantastisch!
    Basis-Sphärisierung, Umgekehrte Sphärisierung, Gelierung, Verdickung, Emulsierung

    Und ich bin schon froh das ich ein Schnitzel braten kann! Wer mir sagen kann was umgekehrte Sphärisierung bedeutet dem brate ich eines, versprochen!

  8. moggadodde sagt:

    Das würde mich auch interessieren! Nach meiner Recherche eben muss es was mit „Kugel“ oder „kugelförmig“ im weitesten Sinn zu tun haben. Ich vermute, da wird beschrieben, wie man das vorher kaputtgemachte Nahrungsmittel in kleine, kugelige, löffelkompatible Portiönchen zwingt. Habe ich jetzt das Schnitzel gewonnen?

  9. Georg sagt:

    Trotzdem muss ich gestehen, die instant Lauchsuppe von Erasco „Heiße Tasse“ schmeckt besser als echte Lauchsuppe. Willkommen im Zeitalter, da der künstliche Geschmack den natürlichen übertrumpft.
    Übrigens hatte ich letztens von einer Studie gelesen, der zufolge Kinder den natürlichen Erdbeergeschmack als fad gegenüber des künstlichen Aromas empfanden.
    Aber wieso muss zwingend künstlich = schlecht sein? Irgendwann gibt es so viele Menschen auf diesem Planeten, dass natürliche Kost ein Luxusessen sein wird aber dass künstliches Essen das nahrhaftere sein wird.
    Naja, biss denn ;o)

  10. moggadodde sagt:

    Da denkst du schon viel weiter als ich, Georg! Künstlich muss nicht schlecht sein, aber es gibt „so moderns Zeuch“ an das ich mich nicht auch noch gewöhnen muss.
    Die leggersten Dosenravioli sind übrigens von Maggi, die „mit Fleisch in der Soße“ 😉

  11. socki sagt:

    Künstlich ist nicht unbedingt schlecht aber sobald alles den gleichen Geschmack hat, hörts bei mir auf. Die verwendeten Aromastoffe sind in vielen Produkten gleich und man erkennt das tatsächliche Grundnahrungsmittel nicht mehr heraus.
    Was die einen mit ihrer Bio-Geschmacksverstärkerfreien-Geschmacksfrei-Kost übertreiben, wird in der Molekularküche ins Gegenteil verkehrt. Es muß halt immer wieder was neues her und die Kochsendungen boomen. Seit Kochduell und Alfredissimo kommt man nicht mehr drum herum.

  12. moggadodde sagt:

    Stimmt und diese inflationär gesendeten Kochshows mag ich inzwischen gar nicht mehr. Irgendwo hab ich mal gelesen, dass sogar in meiner geliebten Nutella Haare oder Schweineborsten drin sind. Wenn dem so sein sollte: Schmeckt aber gut!

  13. socki sagt:

    Ich will schon lange nicht mehr wissen, was wo drin ist. Wenn man das liest, fragt man sich, warum sich die Leute vor Sushi, Schnecken und Meeresfrüchten ekeln.

  14. Ela sagt:

    Alleine für mein neues Lieblingswort „sphärisch“ hast du dir das Schnitzel schon verdient 🙂

  15. Michael sagt:

    Himbeerschnitzel
    Eigentlich ist alles ganz einfach 🙂 Herr Vilgis, ein Naturwissenschaftler, hat in seinem Buch „Die molekulare Küche“ versucht zu beschreiben, was auf molekularer Ebene beim Kochen passiert. Denn er glaubt, wenn man die chemischen und physikalischen Abläufe kennt, könne man bessere Ergebnisse beim Kochen erzielen. Das finde ich nachvollziehbar.
    Nun gibt es wiederum Köche, die sich solche Kenntnisse zu Nutze machen, um in der Küche bislang ungenutzte Verfahren anzuwenden. Zum Beispiel die Sphärisierung – was hochtrabend klingt, aber nichts anderes heißt, als aus einem flüssigen Stoff, eine „Sphäre“, also einen umhüllten Körper herzustellen. Außenrum eine Haut, innendrin eine Flüssigkeit. Wie beim Kaviar, weshalb man bei Sphären auch von Fake-Kaviar spricht.
    Mit solchen molekularen Verfahren ließe sich zum Beispiel auch Dein Schnitzel in ein Himbeer-Schnitzel verwandeln: Einfach das Schnitzel in Himbeersaft legen, dem ganzen in einem speziellen Vakuumgerät die Luft entziehen, und schon saugt sich das Schnitzel mit Himbeersaft voll. Das ganze schön paniert in Olivenölgrieß und mit Pistanzienschaum serviert.
    Wem da nicht das Wasser im Mund zusammenläuft ;-))

  16. moggadodde sagt:

    @ socki: Du erinnerst mich an Muscheln, hmmm, die gibt’s hier bald wieder im Wochenrhythmus …

    @ Ela: Ich fürchte, ich gehe leer aus. Michael, eins unter dir, hat das sehr schlüssig erklärt. Dabei liebe ich Schnitzel! Vor allem, wenn ich sie nicht selbst machen muss 🙂

    @ Michael: Da bin ich ja froh, dass sich noch ein Experte hier zu Wort meldet. So schön das alles anzusehen ist, ich halte es eher für eine Kunstform als für eine praktikable Art der Nahrungszubereitung. Eine Broccolisuppe schmeckt nicht anders, wenn sie „gesphärt“ wurde, lässt sich nur für so manches weiße Blüschen gefahrloser verzehren 🙂
    Die Idee mit dem Schnitzel allerdings hat was. Himbeer und Pistazie ergeben bestimmt eine leckere Kombination. Danke für die Information!

  17. Ela sagt:

    Hiermit erkläre ich dann Michael zum Schnitzelgewinner! Abzuholen im Saarländle, ich geb Bescheid wenn es wieder welches gibt 😛

  18. moggadodde sagt:

    @ Ela: Und bei der Gelegenheit kann Michael dir dann gleich den letzten Schliff in Sachen Molekularküche beibringen 🙂

  19. Ela sagt:

    Ich befürchte fast das meine 5 in Chemie (die sich fast hartnäckig durch meine komplette Schulzeit gezogen hat) einen sphärischen Höhenflug in Sachen Molekularküche verhindern wird…

    Schade drum – aber wenn er Schokolade mitbringt mach ich als Nachspeise ein unsphärisches Vanilleeis mit Schokosoße *g*

  20. moggadodde sagt:

    @ Ela: Wir beide hatten einfach nur die falschen Lehrer ;-)… Hier gibt’s heute ganz Spaghetti Aglio, Olio e Peperoncino. Schön schnell, günstig und legger. Dazu vollkommen ungesphärisiert … Naja, bis auf die Knofiaura, die die Atmo-sphäre kurzzeitig verändert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert