„Erlebnisausstellung“ ist eine Bezeichnung, die sich im Zusammenhang mit Depression und Schizophrenie vielleicht etwas flapsig anhört, aber nichts anderes erwartete uns heute bei der Veranstaltung „GRENZen erLEBEN“ des Würzburger Erthal-Sozialwerks, initiiert, um Angehörigen oder Freunden und Bekannten einen Hauch der Belastungen zu geben, denen die Betroffenen selbst ausgesetzt sind. Akzeptanz und Verständnis für diese Arten von Erkrankung ist ja leider noch immer nicht sehr weit verbreitet.
Mittels Selbsterfahrung und aktiver Auseinandersetzung wird Nichtbetroffenen in zwei „Erlebnisräumen“ durch verschiedene Reize eine völlig andere Form der Information und Aufklärung ermöglicht.
Der Raum „Depression“ stellte eine düstere, schmale Kabine dar.
Ich setzte mich an den Anfang dieses Schlauchs auf ein Kissen am Boden. Per Kopfhörer wurde ich mehrere Minuten mit depressiven Aussagen einer brüchig klingenden Stimme bombardiert, die sich immer wiederholten. Die Stimme forderte mich irgendwann auf, am Tisch am anderen Ende das letzte erinnerbare, schöne Erlebnis niederzuschreiben. Aufstehen konnte ich durch die vorher angelegte Bleiweste nur schwer, das Aufschreiben gelang aber. Nur 10 Minuten genügten und ich wusste ja, es ist gleich vorbei. Depressive Menschen sehen da noch lange kein Licht am Ende des Tunnels.
Der Raum „Schizophrenie“ hingegen war mit Einkaufsregalen bestückt. Wir wurden wieder mit Kopfhörern ausgestattet und hatten die einfache Aufgabe, eine kurze Einkaufsliste abzuarbeiten. Supermarkttypische Geräusche wurden von Flüsterstimmen begleitet, die vor diesem oder jenem Produkt warnten. Urplötzlich waren „Angestellte“ mit weißen Kitteln im Raum, die uns „Kunden“ im Schlenderschritt begleiteten. Mal sahen sie uns durch ihre schwarzen Sonnenbrillen direkt an, mal wendeten sich wieder ab, sie nahmen bereits hineingelegte Artikel aus dem Wagen, legten andere hinein. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, überprüfte dauernd die Liste, erschrak, wenn lautlos wieder ein Kittelmann hinter mir auftauchte und fand den verdammten Klebestift von der Liste nicht in den Regalen. Langsam spürte ich Aggressivität aufsteigen. Diese vielen Stimmen im Ohr. Die Typen, die wechselweise nervten, Angst machten und meinen Einkauf boykottierten. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie das jemand erlebt, der diese Menschen für real hält, für bedrohlich, obwohl sie nur in seinem Kopf existieren!
Jeder „Kunde“ erzählte danach, wie er die Situation erlebt habe. Die Angaben deckten sich ziemlich. Fehlende Konzentration, Furcht, Aggressivität. Abgeschlossen wurde die Erlebnisausstellung von zwei Filmen, in denen Betroffene ausführlich ihr Erleben von Depression und Schizophrenie.
Ein eindrucksvolles Erlebnis. Nicht schön, aber lehrreich und empfehlenswert, sollte in Eurer Gegend einmal ähnliches angeboten werden.
Nachdenklich
moggadodde
[…] Nicht amüsiert aber nachdenklich war Moggadodde nach einem Besuch der Veranstaltung “GRENZen erLEBEN†des Würzburger Erthal-Sozialwerks, bei der erahnen durfte, wie man sich mit Depression und Schizophrenie fühlt. […]
Ich halte es grundsätzlich für schwer, eine verlässliche Einsicht für Nichtbetroffene anbieten zu können.
Bzgl. Depression gibt es viele Facetten. Kaum bekannt ist, daß auch starke Ängste mit im Boot sein können. Auch die Dauer und die Häufigkeiten von Depressionen können variieren.
Da die Gehirnchemie oft aktuell nicht stimmig ist, kann man Depressiven nur schwer raten. Das hieße etwa einen Durstigen zu überzeugen, daß er keinen Durst hat.
Dass es in diesem Bereich unendlich viele Ausprägungen und Varianten der Krankheitsbilder gibt, ist leider wahr. Ich denke, einen Anspruch auf Vollständigkeit wollte die Veranstaltung auch nicht erheben, aber wenn sie nur ein wenig zur Entstigmatisierung der Betroffenen beiträgt, ist ja schon wieder etwas getan und das ist ja leider immer noch dringend nötig.
Stigmatisiert wird diese Krankheit immer noch, weil sie m.E. Angst macht. Wegen der Hilflosigkeit der Lage der Betroffenen (und Angehörigen).
Kaum jemand will ja auch bspw. wissen, wie es sich anfühlt, im Rollstuhl zu sitzen oder ständig Migräne zu haben. Das will man nicht wissen und auch nicht fühlen.
Ja. Wichtig ist Interesse und der Versuch, Verständnis zu entwickeln. Ein unbedachtes „Reiß dich halt zusammen“ oder „Dir geht’s doch gut!“ kann viel kaputt machen. Sensibilität im Umgang mit Betroffenen erlangt leichter, wer sich mit der Thematik nicht nur oberflächlich beschäftigt. Deshalb hielt ich diese Ausstellung für empfehlenswert.
ja, je mehr ich über dieses Konzept der Selbsterfahrung in dieser Ausstellung nachdenke, umso mehr leuchtet es ein. Filme oder Vorträge erreichen einen ja nur bedingt, aber eine Erfahrung, am eigenen Leib, schon. Dann ist es auch garnicht mehr so wichtig, ob die Krankheit adäquat inszeniert ist oder nur in Anteilen.. Es geht mehr darum, den abweichenden Erlebnisraum als solchen darzustellen. Also klar zu machen, daß da fundamental was anderes stattfindet.
Der Erlebnisraum muß auch garnicht drastisch vom Normalen abweichen – die Konstanz ist es, die das „Ergebnis“ und das Leiden verursacht.
Genau, das ist eine wirklich gute Schilderung!