Stopcorn!

Sonntag. Der kleine Hank, der MamS und ich wollen den letzten Hobbit sehen. Zunächst sehen wir Werbung, in epischer Länge natürlich.
Rechts neben mir nimmt ein Typ Platz, er befindet sich in Gesellschaft eines zwei Zentner-Bottichs Popcorn. Hinter mir verdächtiges Rascheln. Eine kleinere Portion, in einer Tüte, dem Vernehmen nach. Irgendwo kratzen Nachos in einer Plastikschale. Ich ahne nichts Gutes.

Der Film beginnt. Gespräche werden eingestellt, dafür scheint in meiner Umgebung plötzlich großer Appetit zu herrschen. Hände vergraben sich in Eimer und Tüten, Popcorn knuspert, als Smaug majestätisch über der Seestadt kreist, um sie alsbald in Schutt und Asche zu legen. Nachos knacken, als Bard den Feigling Alfrid zur Rede stellt. Plastik knistert, während Galadriel sich mit dem Nekromanten anlegt. Mein Herz schlägt schneller, was nicht am Film liegt.
Es ist wie bei einem tropfenden Wasserhahn. Einmal im Ohr, beherrscht das Geräusch das Denken. Ich muss mich ziemlich anstrengen, um die Unruhe auszublenden.

Thorin Eichenschild wandert unterdessen unablässig durch die mit Gold gefüllten Hallen des Erebor und wird darob immer irrer. Jetzt dreht auch mein Sitznachbar auf. Er gräbt und wühlt in den Tiefen seines Eimers, offenbar auf der Suche nach dem einen, perfekten Popcorn, besessen wie Thorin auf der Suche nach dem Arkenstein. Einmal wirft er sich einen ganzen Schwung ins Gesicht, ein anderes mal beißt er ab. Ich meine, ist ist schon ziemlich irre, von Popcorn abzubeißen und mehr Krach macht es außerdem. Er und alle um mich herum scheinen überdies mit offenem Mund zu kauen.

Hinter mir raschelt eine Papiertüte. Auch ihr Besitzer scheint mit mächtigem Appetit gesegnet. Ich höre, wie sich Hände durch Popcorn fräsen, auch hier scheint das vollkommene Korn noch nicht gefunden, denn die Tüte wird zwischendurch immer mal gut durchgeschüttelt. Den Umstand, dass Gandalf einen anderen Synchronsprecher hat finde ich ebenso beschissen befremdlich wie die Tatsache, dass die Popcornpartisanen in meiner Umgebung selbst während einer romantischen Sequenz zwischen Tauriel und Kili ihre Finger und Kiefer nicht stillhalten können. Mann!

Mein Blutdruck steigt. Ich möchte weg hier, sonst könnte ich etwas tun, was ich später bereuen würde und Paprika Kramer fällt mir ein, die in Else Buschheuers „Ruf! Mich! An!“ für solche Störfälle gerne einen Revolver mit ins Kino brachte. Ich kann das gerade so gut verstehen!

Zur Pause ist der Bottich des Nachbarn gerade mal halb leer, aber der Filmvorführer kann Gedanken lesen und dreht bei den nun überwiegenden Schlachtszenen den Ton auf. Zwischen Orkgrunzen und Zwergengebrüll höre ich nur noch gedämpft Popcornknusper und Nachoknister und bin von Dankbarkeit erfüllt, nicht auch noch Bieratem ertragen zu müssen. Ich sehe Legolas nach seinen Pfeilen greifen aber der Köcher ist leer, was ihn vom Eimer des Nachbarn aufs traurigste unterscheidet.

Irgendwann ist der Film zu Ende. Ich hab keinen Schimmer, wer in dieser epischen Schlacht obsiegte und es ist mir gerade auch scheißegal. Zu gerne möchte ich mir irgend jemanden vorknöpfen und ein totales Kinosaal-Essverbot fordern oder wenigstens die Einrichtung von Verzehrzonen, ähnlich der (früheren) Raucherbereiche in Flugzeugen, einzurichten in den ersten zwei Reihen vor der Leinwand. Dort, im Puffmaisonette, können die dann sitzen und knuspern und knistern und rascheln und schütteln und gehen uns weiter hinten nicht mit ihren Mampfgeräuschen auf den Sack, notfalls gibt es flächendeckend eben nur noch Marshmallows.

Als wir das Kino verlassen, sind alle Mitarbeiter damit beschäftigt, Popcorn und Nachos zu verkaufen an Menschen, die in langen Schlangen vor dem Tresen warten. Ich seufze.
Vielleicht war ich ja einfach nur zu empfindlich. Aber weil das Kino sich eben per eMail nach der Zufriedenheit mit diesem Besuch erkundigt, halte ich natürlich im Kommentarfeld mit meiner Meinung nicht hinterm Einsamen Berg. Gegen die Puffmaismafia hätten allerdings auch Tolkiens Fünf Heere keine Chance.

Einen ruhigen Tag wünscht
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Spielkind

In sechzehndreiviertel Jahren Jungsleben hat der kleine Hank ja eine Fülle an Spielzeug verschlissen. Die Lego-Pflichteducation hat er ebenso durchlaufen wie die Playmobil Ritterburg-Marotte, den Yu-Gi-Oh-Kartenwahnsinn, das Pokèmonfieber und das Gameboy-Beschäftigungsprogramm. Wir hatten nie den Ehrgeiz, ihn mit den teuersten Produkten elektronischer Unterhaltung zu beglücken, die er sich selbstverständlich immer wünschte. Liebling, der er ist, freute er sich ehrlich immer über das, was wir statt dessen schenkten.
Standhaft verweigerten wir uns bisher der Konsolenplage, auch wenn schon vor Jahren seine Finger nicht reichten, die aufzählen sollten, welcher der Freunde über Hicksbocks oder Blähsteischn herrschten. Ein PC und ein paar Onlinespiele sorgten für ausreichend Zerstreuung und tatsächlich überlebte der kleine Hank seine entbehrungsreiche Jugend ohne eigenen Controller.
Trotzdem hat er den Konsolentraum nie aufgegeben und heute kontaktierte er mich per Whatsapp, dass er sich im Laden befände und im Begriff sei, eine Playstation zu kaufen. Er wollte nur noch mein „Okay“. Dank seines üppigen Salärs im November war der Kauf locker drin, aber ich versuchte trotzdem, ihm die Sache auszureden. Nun bin ich aber kein Gamer, Zocker oder Daddler, noch nicht mal Angry Birds konnte mich fesseln, ich bin von der Materie also weiter weg als der Frieden von der Erde. Andererseits haben Menschen die absonderlichsten Wünsche und Neigungen wie Modellbau oder fettfreies Kochen oder Base Jumping und bevor er sich von Häusern stürzt, sollte er mit seinem selbst verdienten Geld in Dreiteufelsnamen das edle Teil eben kaufen.
Der Händler kontaktierte mich noch telefonisch, um sich wegen des Taschengeldparagraphen zu vergewissern und eine halbe Stunde später stand der kleine Hank mit der Spielstation auf der Matte. Vor Anschluss rang ich ihm in mütterlicher Weisheit jedoch noch die Zusage ab, seine vermüllte indiskutable Behausung zu reinigen.

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Früher war es ja unser Privileg, seine Augen mit Geschenken zum Leuchten zu bringen. Heute kauft er sie sich selbst und das Leuchten in den Augen entsteht durch das Reflektieren des Monitors. Aber ich gönne ihm das Gefühl, sich selbst einen sehr lang gehegten Wunsch aus eigener Kraft erfüllen zu können.

Eine sentimentale Nacht wünscht
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Advent, Advent, kein Lichtlein brennt

Weihnachten 2013 begingen wir auf ausdrücklichen Wunsch des MamS ohne entsprechenden Baum, nur einige mit Kugeln behangene Zweigerln stakten traurig in die Gegend. Ansonsten herrschte Ebbe, tandtechnisch, und irgendwie war zwar Weihnachten, aber irgendwie auch nicht.
Heuer bin ich deshalb wieder am Schmuckdrücker, so holte ich heute die Kugel-, Kitsch- und Klimbimkiste aus dem Keller, randvoll mit „Gelump“, wie mein Vater in diesem Fall zu sagen gepflegt hätte.

Das

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sieht allerdings nach einem ordentlichen Stück Arbeit für mich aus. Vielleicht kann ich den Gordischen Lichtknoten ja bis Heiligabend entwirren. Wenn nicht gibt es aber trotzdem Käsefondue. Mahlzeit.

Einen erhellenden Abend wünscht
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GRENZen erLEBEN

„Erlebnisausstellung“ ist eine Bezeichnung, die sich im Zusammenhang mit Depression und Schizophrenie vielleicht etwas flapsig anhört, aber nichts anderes erwartete uns heute bei der Veranstaltung „GRENZen erLEBEN“ des Würzburger Erthal-Sozialwerks, initiiert, um Angehörigen oder Freunden und Bekannten einen Hauch der Belastungen zu geben, denen die Betroffenen selbst ausgesetzt sind. Akzeptanz und Verständnis für diese Arten von Erkrankung ist ja leider noch immer nicht sehr weit verbreitet.

Mittels Selbsterfahrung und aktiver Auseinandersetzung wird Nichtbetroffenen in zwei „Erlebnisräumen“ durch verschiedene Reize eine völlig andere Form der Information und Aufklärung ermöglicht.

Der Raum „Depression“ stellte eine düstere, schmale Kabine dar.

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Ich setzte mich an den Anfang dieses Schlauchs auf ein Kissen am Boden. Per Kopfhörer wurde ich mehrere Minuten mit depressiven Aussagen einer brüchig klingenden Stimme bombardiert, die sich immer wiederholten. Die Stimme forderte mich irgendwann auf, am Tisch am anderen Ende das letzte erinnerbare, schöne Erlebnis niederzuschreiben. Aufstehen konnte ich durch die vorher angelegte Bleiweste nur schwer, das Aufschreiben gelang aber. Nur 10 Minuten genügten und ich wusste ja, es ist gleich vorbei. Depressive Menschen sehen da noch lange kein Licht am Ende des Tunnels.

Der Raum „Schizophrenie“ hingegen war mit Einkaufsregalen bestückt. Wir wurden wieder mit Kopfhörern ausgestattet und hatten die einfache Aufgabe, eine kurze Einkaufsliste abzuarbeiten. Supermarkttypische Geräusche wurden von Flüsterstimmen begleitet, die vor diesem oder jenem Produkt warnten. Urplötzlich waren „Angestellte“ mit weißen Kitteln im Raum, die uns „Kunden“ im Schlenderschritt begleiteten. Mal sahen sie uns durch ihre schwarzen Sonnenbrillen direkt an, mal wendeten sich wieder ab, sie nahmen bereits hineingelegte Artikel aus dem Wagen, legten andere hinein. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, überprüfte dauernd die Liste, erschrak, wenn lautlos wieder ein Kittelmann hinter mir auftauchte und fand den verdammten Klebestift von der Liste nicht in den Regalen. Langsam spürte ich Aggressivität aufsteigen. Diese vielen Stimmen im Ohr. Die Typen, die wechselweise nervten, Angst machten und meinen Einkauf boykottierten. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie das jemand erlebt, der diese Menschen für real hält, für bedrohlich, obwohl sie nur in seinem Kopf existieren!

Jeder „Kunde“ erzählte danach, wie er die Situation erlebt habe. Die Angaben deckten sich ziemlich. Fehlende Konzentration, Furcht, Aggressivität. Abgeschlossen wurde die Erlebnisausstellung von zwei Filmen, in denen Betroffene ausführlich ihr Erleben von Depression und Schizophrenie.

Ein eindrucksvolles Erlebnis. Nicht schön, aber lehrreich und empfehlenswert, sollte in Eurer Gegend einmal ähnliches angeboten werden.

Nachdenklich
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Geistergespräch

Seit ziemlich genau zwei Monaten gehört der kleine Hank zum Heer der Werktätigen. Er wird in seinem Betrieb nicht „Auszubildender“, sondern „Nachwuchskraft“ genannt, avanciert in der Kantine zweifellos bald zum „Vielfraß des Jahrzehnts“ und lernt ansonsten, wie er Kindererziehungszeiten und Beitragsmonate für Renten berechnet. Im ersten Ausbildungsmonat war er am Abend noch fidel, ging stets spät zu Bett und kam trotzdem morgens ohne Murren aus den Federn.

Seit zwei Wochen allerdings sind Welpenschutz und Teambuilding-Gepamper vorbei.

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Jetzt gibt es dauernd Klausuren und es geht insgesamt aus „em annern Fässle“, wie der Franke sagt; seither schläft der kleine Hank schon um 8 Uhr ein. Die Mutter-Kind-Kommunikation fällt unter der Woche für meinen Geschmack aufs Heftigste zu kurz aus und auch ansonsten hab ich ja hin und wieder die eine oder andere Frage, die keinen Aufschub duldet. So wie gestern.

Ich so: Haaaaaaaank!? Funktioniert das noch? (den Extra-Telefonakku präsentierend)
Er so: Grummel (frisch aus dem Schlaf aufgeschreckt)
Ich so: Schau doch! Geht der? Und wie lade ich das auf?

Er richtet sich auf und schaut mir ins Gesicht.

Er so: Du musst den Arbeitsauftrag ändern.
Ich so: Wie? Arbeitsauftrag? Kann ich das nicht einfach an den Strom hängen?
Er so: Aber du darfst nicht am Datum rumpfuschen!
Ich so: Hey, du weißt schon, dass das ein Akku ist?
Er so: Du darfst nicht am Datum rumpfuschen!
Ich so: Datum? Was redest du da?
Er so: Na, das Datum halt! Ach, lass mich. Geh einfach raus!

Langsam wird er unwirsch. Er wirkt vollkommen wach, aber wir reden offenkundig von zwei total verschiedenen Dingen. Seit er mir, als ich ihn einmal weckte, ein zackiges aber zusammenhangloses „Team Shisha“ entgegen warf, weiß ich, dass er frisch geweckt gerne mal neben der Kappe ist. Ich bohrte noch ein bisschen weiter.

Ich so: Ich will kein Datum ändern, den Akku will ich laden. Sag mir mal, wie das geht.
Er so: Ja, genau.
Ich so: Ach komm, ich brauch das morgen!
Er so: Geh raus jetzt! Der Bescheid kommt noch!
Ich so: Ach so, alles klar. Dann gibt es die Anweisung schriftlich, oder wie? Na dann, ich warte drauf!

Das, was da gerade in diesem Bett sitzt, ist nicht der liebenswürdige, höfliche und immer zu Scherzen aufgelegte Hank, sondern ein völlig anderer Kerl, der mich aus roten Augen feindselig mit fremdem Blick fixiert. Äußerlich wach sitzt er da in diesem Moment, ist aber gleichzeitig überhaupt nicht im Raum. Ich beschließe, das Gespräch mit dem Hankgeist jetzt nicht zu vertiefen. Besser, ich mache mich unverzüglich aus dem Staub.

Als er heute von der Arbeit kam, fröhlich, hungrig und gut gelaunt wie immer, erzählt er von sich aus, dass ihm unser Dialog nach und nach wieder eingefallen sei. Gestern habe er sich tagsüber an einem Fall ziemlich festgebissen, konnte lange die Lösung nicht finden, bis es ihm irgendwann gelang. Diesen Prozess hatte das Hirn des Hank wohl gerade verarbeitet, als ich mit meiner Akkufrage aufkreuzte. Die Situation war trotzdem absolut skurril, eine Mischung aus „The Shining“ und „Der Exorzist“.

Heute ziehen ja wieder Horden von Menschen durch die Straßen, auf der Suche nach „Trick or Treat“, als Zombies, Gespenster und halbverwestes Gelichter. Ich aber weiß: Nichts ist gruseliger als ein kleiner Hank, der wachträumt.

Happy Halloween!
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