Immer mal wieder ist mir meine Jugendfreundin Loni durch den Kopf geschwirrt. Was die wohl so macht? Wie es ihr ergangen ist? Ob sie überhaupt noch lebt? Wir sprechen hier ja nicht von ein paar Jahren. Die gute Loni habe ich nämlich vor einem satten Vierteljahrhundert zuletzt gesehen. Zusammen machten wir in Dixies Alter die Diskotheken unsicher. Damals krähte glücklicherweise noch kein Aas nach Jugendschutz und Ausweiskontrolle. Und weil ich meine Eltern schamlos belog, hatte ich keinerlei Probleme, auch in die verrufensten Schuppen zu gelangen. Wir waren richtig dicke Freundinnen, lernten reihenweise GI’s und Bundeswehrsoldaten kennen und hatten eine unterhaltsame Jugend mit zahlreichen Sozialkontakten. Meine Liason mit einem gewissen Rolf aus dem Sauerland war kurz nach seiner heimatnahen Versetzung allerdings schnell Geschichte; möglicherweise war die Ohrfeige, die mir mein Vater wegen nächtlichen Hausgang-Knutschens verpasste, nicht ganz unschuldig daran. Wahrscheinlich hatte der gute Rolf nur Schiss vor meinem Papa.
Loni allerdings folgte ihrer Eroberung in den Ruhrpott. Natürlich hatten wir anfangs noch heftigen Briefwechsel, bald aber schlief der Kontakt ein, wir hatten beide wohl beide genug mit uns selbst zu tun.
Vorgestern hatte ich den spontanen Einfall, Loni zu suchen. Das viel gerühmte Internet gab ausnahmsweise nichts her. Im guten alten Telefonbuch allerdings fand ich ihren Vater, dem ich meine Telefonnummer hinterließ mit der Bitte, sie ihr auszurichten. So überließ ich ihr die Entscheidung. Vielleicht wollte sie mit der bescheuerten mogga aus ihrer Jugend gar nichts zu tun haben? Vielleicht hatte sie aus irgendwelchen Gründen mit der Vergangenheit abgeschlossen und nun komme ich und rühre an alten Erinnerungen, von denen sie froh war, sie verdrängt zu haben? Jedenfalls hatte ich den ersten Schritt getan und würde nun abwarten.
Als der MamS und ich gestern den inzwischen nur noch auf 20 cm begehbaren Keller entrümpelten, fiel mir ein Schuhkarton mit vielen, uralten Briefen in die Hände,
von denen ich hätte schwören können, dass ich sie in einem schwachen Moment schon längst weggeworfen hätte. Rolfs (heute glaube ich ja, dass nur Schäferhunde mit Anstand „Rolf“ heißen können) immer kühler werdende Abgesangsschriften waren ebenso darunter wie in schrecklichem Englisch verfasste, heiß glühende Briefe italienischer Saisonliebschaften,
die ich stets in sicher ebenso stümperhaftem Italienisch beantwortete. Und eben die Briefe von Loni aus ihrer Anfangszeit im Ruhrpott.
Alles las ich gestern Stück für Stück und schwelgte, wie das ältere reifere Leute Frauen gern tun, weinselig in Erinnerungen an die plötzlich ziemlich selig erscheinende Jugendzeit und mir wurde tatsächlich reichlich sentimental zumute.
Als ich Dixie den Karton zeigte und ihr feierlich erklärte, dass sie wohl nie so einen Schatz werde bergen können, in Zeiten von email, icq und SchülerVZ, zuckte sie mit den Schultern und sagte „Na und?“. Ich meine, das einzige, was sie in 25 Jahren in ihrem Keller finden wird, sind Postkarten vom Ballermann oder Ibiza, wo ihre Bekanntschaften auf Komasauf-Urlaub weilten. Sogar Liebesbriefe werden heute per email verschickt. Wird sie anhand von dann längst nicht mehr existenten icq-Nummern ihre alten Freundinnen ausmachen können? Als ich so alt war wie sie jetzt, hatte ich all diese Briefe schon im Schuhkarton!
Heute nun hat mich Loni angerufen. Ich hätte sie an der Stimme nie und nimmer erkannt und natürlich ist der fränkische Dialekt längst einem distinguiert erscheinenden hochdeutschen ruhrpöttisch angehauchten Idiom gewichen. Keinerlei Berührungsängste verkrampften unser Gespräch, sofort war die alte Vertrautheit wieder da. Schnell hatten wir unsere gegenseitigen Eckdaten im Lebenslauf abgehakt und quasselten eine Stunde, wie es nur Frauen tun können, ohne Punkt und Komma und so, als hätten wir uns gerade mal ein paar Monate nicht gesprochen.
Natürlich mailten wir uns danach sofort Fotos: Trotz oder wegen aller inzwischen aufgeworfener Falten, Furchen und Veränderungen hätten wir uns allenfalls an den Augen auf den vierten Blick wieder erkannt.
Innerhalb von drei Stunden waren wir also weitgehend auf dem Laufenden, was unsere Viten der vergangenen 25 Jahren anbetrifft und versicherten uns gegenseitig, nicht wieder in der Versenkung zu verschwinden.
Ich bin überglücklich, dass ich vor drei Tagen einem Impuls nachgegeben und zum Telefon gegriffen habe. Manche Sachen soll man wirklich aus dem Bauch heraus und sofort und auf der Stelle in Angriff nehmen. Und wenn ihr auch irgendwelche Aktionen schon ewig vor euch herschiebt und immer wieder unerledigt in die hinterste Ecke eures Gedächtnisses verbannt: Fasst euch ein Herz und packt es an! Es kann sich lohnen!
Euch eine zufriedene Nacht wünscht
moggadodde