Quid pro quo

Sonntag, 5.35 Uhr. Der MamS betritt mein Schlafgemach und verkündet, dass der kleine Hank noch nicht daheim ist. Das ist für mich aber keine Neuigkeit: Ich teile den Fluch so vieler gepeinigter Mütter und schlafe schlecht, bis ich höre, dass die aushäusige Frucht meines Schoßes nach stattgehabter Party den Schlüssel ins Loch zu stochern sucht. Die Welt ist schließlich schlecht da draußen, und bei Nacht noch mehr.

Ich starte Whatsapp und sehe ihn online. Während ich ihn antippe, klingelt das Telefon. Ob jemand ihn noch abholen könne, fragt er. Die geplante Mitfahrgelegenheit sei nicht aufgekreuzt, aber jemand könne ihn fast bis Mädelhofen bringen. Die an der Bundesstraße liegende Bushaltestelle dort wird zum Treffpunkt erkoren, in einer halben Stunde. Er redet halbwegs unverwaschen, trotzdem erkennt mein geschultes Ohr, dass vorher eine nicht unerhebliche Befüllung mit umdrehungsreichen Getränken stattgefunden haben muss.
Natürlich passt es mir nicht. Wem passt es schon, am Sonntagfrüh ein alkoholisiertes Bürschlein aus der Pampa zu pflücken?
Ich will mich aus dem Bett schälen, als ein weiterer Anruf einläuft, der 10minütige Verspätung mitteilt. Halbwegs pünktlich fahre ich los und finde keinen Hank im Bushaus. Es ist noch immer stockdunkel und so neblig, dass ich kaum schneller als 40 fahren kann. Ich steuere den vermuteten Partyort an, in der Erwartung, ihn irgendwo am Straßenrand zu entdecken. Sein Handy ist inzwischen ausgeschaltet und allmählich bekomme ich Hals. Gleichzeitig irrlichtern Bilder im Kopf, in denen er angefahren im Straßengraben liegt, wo sich Raben bereits an seinen schmackhaften Augäpfeln laben. Besorgt fahre ich zurück.
Auf unserer Straße kommt mir ein Polizeiwagen entgegen und mit der Sicherheit des Wissens, dass es abends dunkel wird war mir klar, dass da ein Zusammenhang besteht. Tatsächlich findet sich der Bub unversehrt und mit beiden Augäpfeln bestückt in heiterem Gespräch mit dem MamS. Jetzt bin ich auf 180 und forderte Aufklärung „und zwar jetzt und es ist mir scheißegal, wie laut ich bin und wie spät es ist!

Es stellt sich heraus, dass ihn seine Mitfahrgelegenheit etwa drei Kilometer vom Treffpunkt abgeladen hat und er von da aus gelaufen ist. Trotzdem sein Telefon eben noch 32 % Akku gezeigt hatte, ging es aus und ließ sich auch nicht mehr starten (aus gewissen Meldungen weiß ich, dass das bei den sündteuren Hypephones tatsächlich passieren kann – Danke, Applestümper!). Wie er nun so netzlos auf der Bundesstraße umhertrabte, las ihn ein Streifenwagen auf, dessen Besatzung ihm einen Anruf verwehrte, aber einer Leibesvisitation und einem Alco-Test unterzog, ein wenig ausfragte und sodann freundlicherweise bis vor die Haustür chauffierte. Besten Dank von hier aus!

Wieder im Bett erinnerte ich mich an einen Tweet, den ich vor kurzem las

und es stimmt. Solange das Kind die Füße unter deinen Tisch streckt, ist das Zusammenleben ein Geben und Nehmen und auch danach ist es keine Frage des Alters, weil Kind bleibt Kind, und diesmal bestand mein Geben eben aus Sonntagsfrühdienst. Im Gegenzug werde ich ihn in hoffentlich ferner Zukunft vielleicht das eine oder andere Mal ins Altersheim bestellen, wo er mir dann das Frühstück in die dann zahnlose Futterluke schiebt. Quid pro quo.

Sonntag, 7.15 Uhr. Ich habe zu tun: Ich muss noch ein paar Reste Nabelschnur abkratzen.

Eine gelöste Nacht wünscht
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Mutterschutz

Vorgestern beim Griechen: Den MamS plagt nach dem Essen ein Fleischfetzchen, das sich in seinem Kaugebälk verfangen hat und ich erinnere mich dunkel, in den Untiefen meiner zweizimmerwohnunggroßen Handtasche ein paar Zahnstocher gebunkert zu haben. Nach ein bisschen Gekrame fördere ich ein Briefchen zutage, das sich allerdings als Kondom entpuppt. „Oh Mudda“, seufzt der kleine Hank, „wozu hast DU denn sowas?“ und ich erkläre ein bisschen beleidigt, dass ich mitnichten fürs quicke Abenteuer gerüstet sein möchte, sondern das Fundstück in der vergangenen Basketballsaison als Werbeartikel der Arbeiterwohlfahrt auf meiner Sitzschale entdeckte und in der selten genutzten Tasche vergaß.

„Na, hier, das brauchste ja vielleicht!“, frotzle ich jetzt frech und werfe dem kleinen Hank das Brieflein entgegen. Er fährt am nächsten Tag nach Prag, Berufsschulabschlussfahrt. Fest rechne ich mit entrüsteter Abweisung der mütterlichen Liebesgabe, aber er enttäuscht mich und packt es einfach in die Hosentasche, als ob es ein paar Mentos wären. Er steckt es einfach weg! Wortlos!

Still überschlage ich das Geschlechterverhältnis der Abschlussklasse sowie das Haltbarkeitsdatum des Prä-, ähm, sents und bin ob seiner offensichtlichen Selbstverständlichkeit sofort in totaler Habachtstellung gefangen, aber nunja, verflixt, zugenäht und hallelujah, ich muss meine Klappe halten, er ist ja nun wirklich alt genug! Natürlich kann ich kann ihm keinen meiner Gedanken offenbaren, ohne mich als komplett hysterisches Müttermonster zu outen, aber trotzdem schreit mein Innerstes verängstigt: Kind, denk daran, egal ob Paderborn, Prag oder Paris, Hauptsache Verhütung!

Ein ganz anderes Problem steht dem kleinen Hank bei seiner Rückkehr bevor. Ohne zu fragen hat er nämlich, trotz eigenen, vollen Kleiderschranks, des MamS liebste Jacke aus dem Schrank stibitzt und mit auf Reisen genommen. Ganz erwachsen ist er also doch noch nicht. Gegen das MamS’sche Donnerwetter, das ihn am Samstag erwartet, gibt es keinen Schutz. So eine große Handtasche habe nämlich nicht einmal ich.

Eine behütete Nachte wünscht
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„Terror“ im Theater

Lange vor Showrichterin Salesch und Kollegen, in deren Aufführungen möglichst absurde und meist hochnotpeinliche „Rechtsfälle“ von ebensolchen Mimen abgehandelt werden, deren Thematik sich meist um den nicht rechtsmäßigen Eigentumsübergang von Sexspielzeugen, zweifelhafte Vaterschaften meist mehrerer jugendlicher Aspiranten oder rechtswidrig veröffentlichte Genitalhoroskope dreht, gab es durchaus seriösere Formate in der damals noch dreisendrigen Fernsehlandschaft. Ein Dinosaurier der Telejuristerei war neben „Ehen vor Gericht“ oder dem „Verkehrsgericht“ lange Jahre „Wie würden Sie entscheiden?“: Ein tatsächlich so vor Gericht gelandeter Fall wurde im Studio dargelegt, danach konnten die anwesenden Zuschauer urteilen, das Ergebnis anschließend mit dem tatsächlich gefällten Spruch vergleichen und diskutieren.

Ähnliches spielte sich am Freitag im Stadttheater Schweinfurt ab. Im ersten Bühnenstück des Autors und ehemaligen Strafverteidigers Ferdinand von Schirach fungierten wir im Publikum als Schöffen in einem Fall, der furchtbar aktuell klingt: Der Kampfpilot und Major der Luftwaffe Lars Richter schoss eine von Terroristen gekaperte Zivilmaschine mit 164 Menschen an Bord ab, um den angedrohten Absturz in die mit 70.000 Zuschauern besetzte Allianz Arena zu verhindern. Die Verhandlung beschränkt sich auf das Wesentliche: Sachverhaltsdarstellung, Zeugeneinvernahme und die Hin- und Hergerissenheit zwischen Recht, Unrecht, Moral, Prinzipien, Schuld oder Heldentum erreicht nach den Plädoyers von Verteidiger und Staatsanwältin ihren Höhepunkt. Können Leben gegen Leben aufgewogen werden? Dürfen Unschuldige zur Rettung anderer Unschuldiger getötet werden? Ist es nur eine Frage der Zahl? Wenn ja, welcher?

Puh. Pause. Draußen angeregte Diskussionen und erstmal eine Zigarette. Das Stück beschäftigt die Menschen im Foyer. Mit dem Durchschreiten der Portale „SCHULDIG“ oder „UNSCHULDIG“ entscheiden die Zuschauer im Hammelsprungverfahren, dann spricht der Richter das Urteil. In unserer Vorstellung fiel das Ergebnis mit 189:165 Stimmen auf „Freispruch“ für Lars Koch, wie in der Mehrzahl der bisher gespielten Vorstellungen. Ich plädierte für „schuldig“, fühlte mich aber schlecht dabei und begriff, dass es keine richtige Entscheidung geben kann. Das Thema wird mich gedanklich wohl noch länger beschäftigen.

„Terror“ von Ferdinand von Schirach wird ab 20.11. auch im Würzburger Mainfrankentheater gespielt. Wer einen Abend erleben möchte, der nachhallt und zum Nachdenken zwingt, möge dieses Stück besuchen.

Einen nachdenklichen Sonntag wünscht
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Kulthüringen

Einmal jeglichen, kunsthistorischen Kokolores beiseite lassend: Sich inmitten eines monumentalen Bildes zu befinden, das sich mit 14 m Höhe und 123 m Länge rings um den Betrachter spannt und zu den größten Tafelgemälden überhaupt gehört, flößt schon ein bisschen Ehrfurcht ein. Inmitten des abgedunkelten, riesigen Runds sitzen die Besucher auf großen Poufs oder wandern umher, um die zahllosen Szenen und Personen zu betrachten. Zum Glück klärt die Museumsführerin über einen Teil des Bauernkriegspanoramas hinsichtlich geschichtlicher Ereignisse, Symbolik und Allegorien auf, sehr viele gründen auf kunsthistorischen Vermutungen. Natürlich konnte man den Schöpfer Werner Tübke, der die Auftragsarbeit für die DDR fertigte, selbst fragen, doch der zog es bis zum Tod im Jahr 2004 vor, keine Auskunft über Hinter- und Beweggründe zu geben. Ob er sich wohl manchmal amüsiert haben mag über die Interpretationen, die andere seinem Werk gegeben haben?

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Nachdem ich also den MamS durchs Erlebniswochenende gepeitscht hatte, entließ ich ihn am Nachmittag wieder unter die feuchten Fittiche von kyffhäuserschen Moorhexen und Aquajoggingelfen und machte mich auf den Heimweg.
Schon einmal in der Nähe, besuchte ich aber noch Erfurt auf einen Sprung, von der Krämerbrücke hatte ich schon viel gehört.
Vielleicht lag es daran, dass wegen Sonntag die Läden geschlossen hatten, vielleicht an den vielen Menschen, die mir nach Tagen in relativer Beschaulichkeit auf die Nerven gingen: Einmal über die Brücke, die als solche ja wegen der Bebauung nicht als solche zu erkennen ist, sondern eher einer Rothenburger Gasse ähnelt und Abgang zurück zum Parkhaus.

Die Gegend um den Rennsteig-, dem längsten Straßentunnel in Deutschland, kam mir schon bei der Hinfahrt ein bisschen wie die Landschaft um den Brenner vor: Kalt, neblig, unwirtlich. Der weitere Abstecher nach Oberhof fiel Wetter und Laune zum Opfer. Jetzt nix wie heim!

Plötzlich stellte ich fest, dass mein zwischenzeitlich praktizierter Bleifuß den Tank in dem Maße geleert hatte wie meine Blase gefüllt war und wie verabredet landete ich im Stau. Es war schnell dringend, und zwar doppelt. Ich bibberte ein bisschen, kam aber mit dem letzten Tropfen Sprit und einem verkrampften Beckenboden in den Riedener Wald. Fast daheim, jetzt bloß keine Verzögerung mehr!

So unterhaltsam das Wochenende im Land von Rostbrätel und Thüringer Wurst auch war, ich freute mich ehrlich, als der kleine Hank mich mit einer Familienpizza erwartete.

Noch eine weitere Woche Urlaub hat
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Abgefahren

Auf den Grund der ältesten, heute noch arbeitenden Kaligrube der Welt

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in Sondershausen bringt uns der Förderkorb innerhalb von langen 3 Minuten. Waren es gestern in der Barbarossahöhle noch frische 8, umfingen uns heute in 680 m Tiefe schon kuschelige 26 Grad.

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Ausgestattet mit Helm und Kutte sausten wir auf der Ladefläche des Lkw mit in diesem Geläuf halsbrecherisch anmutenden 30 km/h über die „Straßen“. Es roch nach Schmiere, Diesel und Muff, der Laugensee, in den ich während der kurzen Kahnfahrt den Finger probesteckte, schmeckt nach Salz und Öl und ist obendrein ziemlich pappig.

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Ãœber Abbaumethoden sowie geologische Besonder- und chemische Feinheiten wurden wir umfassend ins Bild gesetzt.

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Selbstredend habe ich den größten Teil sofort wieder vergessen, über die Wetter unter Tage habe ich mich allerdings eingehender informiert. Der Bergmann kennt nicht nur gutes und schlechtes Wetter und meint damit natürlich nicht Sonne oder Regen sondern Luft. Luft heißt Überleben- zunächst. Es gibt auch matte Wetter (wenig Sauerstoff), schlagende Wetter (explosiv), böse Wetter (giftig).

Straßennamen gibt es natürlich nicht in diesem gigantischen Labyrinth. Wie sich die Männer darin zurecht finden, ist mir rätselhaft. Vielleicht telefonieren sie, wenn sie sich verfahren haben?

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Mir genügten die zwei Stunden in der Untersalzwelt von Sondershausen. Ganz Verwegene können aber den angeblich schönsten Tag des Lebens auch dort unter Tage feiern, allerdings ist ausschließlich die Braut von der Helmpflicht befreit. Eine schöne Gelegenheit für den Frischgatten, sich dann gleich vertraut zu machen mit den verschiedenen Wettern, die ihm nicht nur unter Tage, sondern durchaus auch mit dem oder der Liebsten bevorstehen werden.

Glückauf!
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