Der jährliche Besuch beim Zahnarzt ist für mich eigentlich nicht mehr als eine lästige Pflicht, um an den Stempel im Bonusheft zu kommen. Zu diesem Behufe befinde ich mich seit langer Zeit in der Hand desselben Oralsadisten, dem ich heute meine Aufwartung machte. Angst im engeren Sinne habe ich nicht, trotzdem stellt sich aber immer zum Termin ein gewisses Unwohlsein sein. Als ich nachfragte, warum denn die beiden Armlehnen der Kunstledercouch, an denen ich mich stets zur Ablenkung festgekrallt hatte, entfernt worden seien, berief man sich auf den Hygieneaspekt; schließlich müsse man die Lehnen auch dauernd abwischen. Wo ich mich denn nun festhalten könne, fragte ich etwas hilflos und dachte daran, ersatzweise den Oberschenkel vom Herrn Doktor zweckentfremden zu müssen.
Bei genauerem Nachdenken erschien mir aber das feste Verknoten der Hände in betender Haltung auf meinem Schoß als die gesündere Alternative, nicht dass der Kerl mit dem Steinmeißel noch abrutscht und mir den Kiefer perforiert!
Weil ich bei der Behandlung als solcher meist mit geschlossenen Augen auf dem Stuhl erstarre, ist mein Gehör indes besonders aktiv. Sofort fiel mir auf, dass die Stimme des Dottore anders war. Richtig verstanden habe ich auch sonst nur die Hälfte, aber weil ich aus dem Genuschel meist so etwas wie „Alles in Ordnung!“ oder „Bis in einem Jahr!“ verstanden habe, machte ich mir nie weiter einen Kopf. Im vergangenen Jahr scheinen sich die Stimmbänder des Dentisten allerdings verändert haben. Heute hörte er sich nämlich original an wie Marlon Brando in „Der Pate“: heiser, kurzatmig, nuschelnd, leise und trotzdem hatte ich keine Angst, als er mir „ein Angebot“ machte, weil es sich um das einer professionellen Zahnreinigung handelte, inklusive Ausräumung der Taschen. Weil ich meine Taschen aber lieber selbst ausräume (woher sollte Marlon denn auch wissen, wohin die ganzen ausgeräumten Einkäufe gehören? Am Ende ist die ganze Küche durcheinander!) und gerade keine 55,00 überflüssigen Flocken bei der Hand hatte, musste ich sein Angebot für heute ablehnen, auch wenn es ganz und gar nicht ins Paten-Bild passte.
In der letzten Zeit musste ich überdies feststellen, dass mit zunehmendem Alter nicht nur mein Körper im allgemeinen sondern auch mein Gebiss im besonderen zu schrumpfen scheint und für die vielen Beißer zu eng wird, weshalb sich einzelne Zähne zu verschieben beginnen, was der gute Marlon mir bestätigt hat.
Weil eine Futterluke mit ansehnlichem, relativ gerade gewachsenem Zahnbild aber noch immer ein Zeichen von Gesundheit, Wohlstand, sozialer Integration, der richtigen Krankenversicherung und Garant für kraftvolles Zubeißen auch im Alter ist, zog ich eine korrigierende Zahnspange ganz kurz in Erwägung. Ein Vergleich der beiden „K’s“ (Kontoauszug und Kostenplan) zeigte mir allerdings, dass ich gegenüber einem makellosen aber uniformen Hollywood-Gebiss einer gewissen exzentrischen Individualität in meiner bebauten Mundhöhle den Vorzug geben möchte.
Frau Nielsen hat das ja ganz anders angefangen und damit vielleicht das ultimative Krankenkassenmodell der Zukunft geschaffen:
Angenommen jemand, sagen wir mal ich, wollte eine kieferorthopädische Versorgung außerhalb des gesetzlichen Rahmens. Ich wende mich an einen privaten Fernsehsender, der die Behandlung bezahlt und im Gegenzug das blutige Extrahieren dreier Weisheitszähne und die schmerzhafte Anpassung eines permanenten Drahtzaunes an meinen Zähnen in HDTV-Qualität in die Wohnzimmer überträgt. Der besseren Quoten wegen würde auch der folgende Monat pausenlos von Kameras begleitet, damit die Nation geifernd verfolgen kann, wie ich mit schmerzverzerrtem Gesicht zunehmend angewidert Hühnersuppe durch den Strohhalm schlürfe, meine Kinder sich vor ihren Freunden schämen, weil ganz Deutschland die Mundhöhle ihrer Mutter kennt und ich Krach mit dem Ehemann bekomme, weil vorerst die Option „Oralsex“ aus dem ehelichen Leistungskatalog gestrichen werden muss. Nach einem halben Jahr ist die Behandlung beendet, nach einem weiteren halben Jahr redet kein Mensch mehr darüber aber ich hätte auf Dauer das perfekte Gebiss.
Dieses Modell funktioniert mit Sicherheit auch in anderen Bereichen, aber möglichst blutig, schmerzhaft oder eklig sollte es schon sein, damit die voyeuristische Kundschaft auch was zum Sabbern hat und so widerwärtig ich das auch finde, glaube ich nicht, dass das Ende des Skalpells hier schon erreicht ist. Vielleicht liegt sogar das Konzept für „Die-TV – Alte sterben, Junge erben“ schon in irgendeiner Schublade herum, wo der gemeine Spanner-Spinner per Direktschalte aus dem Seniorenheim „Alter Schwede“ den öffentlichen Exitus präsentiert bekommt?
Ich glaube eigentlich nicht, dass mir ein solcher Irrsinn gefallen würde und deshalb bleibt mein Gebiss lieber so, wie es ist.
Mit schätzungsweise 80 werde ich zwar aussehen wie Muhme Rumpumpel, nachdem sie von der Oberhexe eins aufs Maul bekommen hat, aber ich werde dann meine windschiefen Zähne wie ein furioses Banner der Würde vor mir hertragen, während narzisstische Borderline-Patienten Leute wie Frau Nielsen nach ihrem Hinscheiden wegen giftiger Inhaltsstoffe auf der Sondermülldeponie beigesetzt werden müssen.
Euch einen zuckerfreien Tag wünscht
moggadodde