Einmal in der Gegend, konnten wir uns die „The Floating Piers“ von Monumentalverhüller Christo in Sulzano natürlich nicht entgehen lassen. Ein Paar aus unserem Hotel, die das nur 2 Wochen zugängliche Kunstwerk bereits am Eröffnungswochenende besuchte, hatte von langen Wartezeiten erzählt, deshalb hielten wir einen Besuch am Montag für eine gute Idee. Zu viert fuhren wir an den Iseosee.
Der Parkplatz war weit entfernt von Sulzano und der Shuttlebus zuerst wenig besetzt. Es war heiß und ich vermutete einen Motorschaden am Bus, bis ich mich umsah und einen betagten Berner Sennenhund am Boden kauern sah. Die Zunge hing ihm aus dem Hals und er hechelte so laut, dass mir Angst und Bange wurde um die Gesundheit des Tiers. Es war heiß draußen und im Bus noch mehr und von Parkplatz zu Parkplatz wurde der Bus voller, bis ein Umfallen nicht mehr möglich war. Wir vier hatten Sitzplätze und der massige Hund war von seinem italienischen Besitzer zwischen die Sitze gezerrt worden, wo er seinen heißen Atem in den Nacken von Freundin S. hechelte. Dem Geruch seines Atems nach hatte ihn sein Besitzer vorher mit etwas höchst unappetittlichem gefüttert. Es war grauenvoll, Aufstehen unmöglich und S. hatte zu tun, sich ihrem Vorsitzer nicht ihrerseits in den Nacken zu übergeben.
Englische Ansagen gab es nicht. Durchsagen in Nuschelienisch waren unverständlich, weshalb wir uns dem guten, alten Herdentrieb ergaben und nach ein, zwei Umstiegen schließlich in Sulzano ankamen. Schon vom Busausstieg an empfing uns das gelbe Nylontuch, geleitete uns über eine lange Reihe von in Wellen aufgestellten Absperrgittern bis an den wunderbar blau leuchtenden See.
Wie Ameisen am vierten Samstag vor Weihnachten schoben sich die Menschenmassen auf den Pier. Trotz der unfassbaren Masse an Leibern entstand keine Hektik. Zu verblüfft waren die Leute von diesem Laufgefühl. Ich zog mir die Schuhe aus und wanderte barfuß über die goldgelb leuchtenden Schwimmwürfel. Der Steg schwankte in der Mitte der 16 m nicht sehr. Am Rand stehend allerdings konnte man sehen, wie die ganze Fläche waberte und sich in Wellen bewegte. Ich stellte mir vor, ich wäre ich eine Wanze inmitten tausender anderer Wanzen und wir alle bewegten uns lustig auf einem riesigen Wasserbett. Ein wirklich einzigartiges Erlebnis!
An den Rändern hatten sich in losem Abstand Mitarbeiter postiert, die darauf achteten, dass sich niemand zu nahe am Rand bewegte. Es war mächtig heiß und ich bedauerte wieder die Hunde, die von ihren Besitzern auf diesen Steg gebracht worden waren. Was genau ist der Mehrwert für einen Hund auf einer einfach 4 Kilometer langen Strecke ohne Schatten und Wasser? Denkt sich der Hund „Au, klasse, da hat mich das Herrchen ja zu einem lustigen Platz gebracht?“ Sicher nicht. Wer Tiere mit auf diese Tour nimmt, hat wirklich nicht mehr alle Latten am Zaun. Und es sind derer viele unterwegs.
Auf der ersten Insel, der Monte Isola, bewegten wir uns kurz wieder an Land. Auch hier war der goldene Stoff auf dem Weg verlegt, bevor es übers Wasser weiter zum winzigen San Paolo-Eiland ging, das wir umrundeten. Hier war viel Platz zum Sitzen, Liegen und Genießen.
Einige kühlten sich zumindest die Füße,
ehe es zurück zur der Monte Isola ging, der Engstelle des Wegs. Hier quollen die Mülleimer über. Schattenplätze waren rar, die Cafés hoffnungslos überfüllt. Schreiende Kinder und andere laute Menschen, wieder Hunde, wir hatten Glück, kamen durch die Gesichtskontrolle eines Securitybullen und flohen zum Castello Oldofredi, einem Hochpreisrestaurant zwar, aber wir wollten einfach in Ruhe und Sauberkeit essen und trinken, was unten absolut unmöglich gewesen wäre. Insgesamt 8 Kilometer wollten schließlich gelaufen werden.
Chaotische Zustände spielten sich dann an den Shuttlebussen zurück zu den Parkplätzen ab. Gedrängel, Geschiebe, Geschrei. Schaffner brüllten die Leute an, dass erst Frauen und Kinder einsteigen sollten, mit „INDIETRO!!! INDIETRO!!!“-Rufen versuchten sie, die Menge zum Zurückweichen zu bewegen, was die überwiegend italienische Kundschaft aber kaum interessierte. Als wir schließlich in einem Bus mit vermutlich richtiger Destination standen, traute ich meinen Augen nicht: Von den über die vielen Stunden verkehrenden Bussen war unser Bus genau der, den sich auch das Herrchen vom Hechelhund für die Rückfahrt ausgesucht hatte. Immer wieder versuchte das völlig erschöpfte Tier, sich zu legen, aber immer wieder zog sein herzloses Herrchen ihn an der Leine bei Fuß, um Platz für die nachströmenden Mitfahrer zu machen. Ich hätte dem Idioten zu gern die Meinung gegeigt, aber dafür reichen meine Sprachkenntnisse leider nicht.
Inzwischen beklagen sich die Bewohner von Sulzano aufs Bitterste über Dreck und Einschränkungen und Dauerstau und ich kann sie sehr gut verstehen. Der anfangs Tag und Nacht offene Steg ist mittlerweile von 24 bis 6 Uhr geschlossen, um Schmutz zu entfernen und Reparaturen an den Stegen durchzuführen. Die erwarteten Besucherzahlen wurden schon jetzt bei weitem übertroffen, unentwegt strömen Menschen auf das goldgelbe Geläuf, wuseln durch Gassen, liefern sich Kämpfe um Plätze in den Shuttlebussen und Wasserverkaufsstellen.
Eine Christo-Installation an einem Ort, der sonst an Idylle kaum zu überbieten ist und dank ihr nun weltweit populär ist, ist wohl ein klassischer Fall vom bekannten Zauberlehrling-Zitat: „Die Geister die ich rief, werd‘ ich nun nicht mehr los!“
Was werden die Sulzanesen froh sein, wenn ihr zauberhafter Fluch Anfang Juli zu Ende ist, „The Floating Piers“ wieder abgebaut werden und die Ruhe zurückkehrt! Aber die Erinnerung wird bleiben, an dieses wirklich beeindruckende Kunstwerk und diese zwei magischen Wochen im Sommer.
Eine wasserfeste Nacht wünscht
moggadodde