Die Schlandgeige

Es tröpfelt hier am Lago gerade ein wenig, Gelegenheit, ein paar schnelle Gedanken zum Jogigate los zu werden.

Der Mann hat gerade den schwersten Job in Deutschland. Zu WM- und EM-Zeiten spielt Politik die zweite Geige, Löw hat den Pass, den ihm die große Politik zugespielt hat, angenommen und versucht mit der „Mannschaft“, die Trophäe zu holen, Schland in der Außenwirkung aufs Podest zu hieven, während Merkel und ihre Kollegen unbemerkt Elba bepupsen oder sonstwie abtauchen können.
Von der inzwischen sattsam bekannten Szene hätte ich ohne die Giftspritzabteilung des Social Media nichts mitbekommen. Ausuferungen wie „Coach-“ oder „Strategiecam“ interessieren mich nicht einen Grashalm lang. Ich sehe das Spiel, ein, zwei Interviews, dann ist es genug.
Wie gesagt, Löw und die „Mannschaft“ sind für manche gerade Mittelpunkt des Sportiversums. Fliegt er nach der Vorrunde, kriegt er alles um die Ohren gehauen, ob er was dafür kann, oder nicht. Fliegt er später, passiert dasselbe. Mit dem Weltmeistertitel ist die Europameisterschaft ja wohl das mindeste, was Fußballdeutschland erwarten darf, Teeren und Federn macht ja so viele Flecken aufs sündteure Schweinijersey, Schandgeigen aus Holz sind unpraktisch und teuer, der Inquisitor mit Internetzugang hat da viel wirksamere Methoden: Die GIF-Schlandgeige.

Diese schenkelklopfende Zurschaustellung eines Mannes, der sich vor Aufregung völlig weggetreten am Sack kratzt und danach prüft, ob da immer noch alles nach Nivea riecht: Hey, wer noch nie an der Ampel in der Nase gebohrt und dann versonnen den Popel begutachtete, wer sich noch nie in einem unbeobachteten Moment zwischen die Beine gefasst hat, weil’s juckt oder weil sonstwas, verschieße verdammtnocheins den ersten Elfer! Wer möchte möchte zudem von sich selbst eine Aufnahme davon machtlos viral quer über den Erdball gehen sehen und ohnmächtig dabei zusehen müssen, wie auch vorgeblich seriöse Gazetten den Jauchekübel auskippen? DAS ist ekelhaft. Nicht Löw. Und genau das ist es, was mir das Internet momentan ziemlich verleidet. Erstaunlich, dass in dieser Zeit, in der technisch alles möglich scheint, das Mittelalter mit aller Macht wiederkehrt, jeglicher Anstand einem Lacher, ein paar Likes oder Klickzahlen geopfert wird. Es ist I-Inquisition. Wir wissen es nur noch nicht.

Die Sonne spitzt wieder raus. Ich muss an den Pool. Entschuldigt mich bitte.

Abtauchend
moggadodde

Cup der guten Hoffnung

Mit vielen Frauen, mehr als das gemeinhin grassierende Klischee ahnen lässt, habe ich eines gemeinsam: Ich hasse Klamottenkauf. Hier mal ein Shirt, da mal eine Bluse, eine Hose, wenn es sein muss und Schuhe erst, wenn die Alternative barfußlaufen heißt. Als letztens ein vor Äonen gekauftes Lieblings-Shirt ein Altersschwäche-Löchlein zeitigte, Resultat häufigen Waschens und noch häufigeren Tragens, zog ich einfach ein farblich passendes Unterziehshirt an, fabrizierte noch ein weiteres Loch und sang trotzig ein Loblied auf den Shabby-Style. Wegwerfen ist für Weicheier. Der MamS schüttelte den Kopf; sowas käme ihm ja nie in den Sinn. Aber er hat es ja bekanntlich sowieso gerade nicht leicht mit mir. Man kann mir viel nachsagen, übertriebener Kleidungsverbrauch gehört nicht dazu.

Trotzdem weiß ich, wenn die Zeit gekommen ist und heute wartete der Endgegner in puncto Garderobe: Ein neuer Büha, denn einem aus dem Vorrat hat die Waschmaschine den Rest gegeben: Breaking Bra, sozusagen.

Mit unerwartet positiver Laune betrat ich das Geschäft. Freitagvormittag ist ein guter Zeitpunkt, um heikle Bekleidung zu shoppen: Keine Kinder und auch ansonsten nicht viel Kundschaft. Eine Weile tigerte ich durch die Wäscheabteilung und sammelte Stück um Stück. Aus Erfahrung weiß ich, dass der Weg zum neuen BH kein leichter sein wird. Als unerlässliche Stütze nicht nur im Alltag ist ein passendes Geschirr immens wichtig, begleitet es frau doch ununterbrochen von Aufstehen bis Ausziehen, sorgt für gerade Haltung, stützt das Bindegeweblablabla.

Die Miederwarenfachfrau informierte ich vor dem Umkleiden über den everesthohen Haufen BHs über meinem Arm: Die zulässigen 5 Teile übertraf ich nämlich um ein Vielfaches und für 5 läppische Büstenhalter ziehe ich mich ja gar nicht erst aus.
In der Kabine fing die Arbeit dann aber erst an. Stück für Stück probierte ich mich durchs Dessousuniversum aller Herren Hersteller. Ich war breit aufgestellt: Un- und gepolsterte Körbchen, Spitze, Baumwolle, Kunstfaser. Minimizer, Push-up, Balconette, mit und ohne Bügel, breite Träger, dünne Träger, Spacer, Schale, Bandeau. Verschiedene Größen, Formen, Farben. Die eineinhalb Liter Wasser in meiner Tasche sollten genügen. Langerie statt Lingerie.

Zwei Haufen wurden gebildet: Links der Geht-gar-nicht-Stapel mit den Teilen, die trotz gleicher Unterbrustlängenangabe entweder einschneiden oder zu weit sind und bei denen die Körbchenberechnung wohl ein Haufen bekiffter Schimpansen erledigt hat. Quetscht hier, kneift da. Hiermit sieht die Brust aus wie die Spitze eines Schrapnells, damit wie eine getretene Qualle. Es ist zugegebenermaßen kompliziert. Die weibliche Oberweite ist schwer zu vermessen und von einheitlichen Cupgrößen will ich gar nicht erst anfangen. Heerscharen von Mathematikern haben sich an weiblichen Brüsten die Zähne ausgebissen und eher passt das Runde ins Eckige, als dass die Büste auf Anhieb einen passenden Halter findet. Aber könnten nicht wenigstens die Unterbrustlängen herstellerübergreifend einheitlich sein? Können 85 cm eines Franzosen bitte nicht so viel mehr weniger als die 85 cm eines Deutschen sein? Was ist das? Sizing for compliments? Einigt Euch doch endlich mal, Himmel, Arsch und Brustbeinbruch!

Der rechte Stapel bestand aus „Naja, mal sehen“ und nach Abarbeiten aller Stücke wurde dieser nochmals anprobiert und sortiert. Jetzt ging es an die Feinheiten. Der passt, aber Träger mit Spitze. Weg. Der passt, formt aber eine Maurerdekolletee-Busenritze. Weg. Der passt, fasst sich aber polykünstlich an. Weg. Ãœbrig blieb ein einziges Stück.

Nach einer geschlagenen Dreiviertelstunde verließ ich die Kabine mit einem Produkt der Firma Triumph. Nomen est omen, würde ich sagen. Ich werde ihn achten und ehren, bis dass die Materialermüdung uns scheidet oder ein anderer in die Tonne wandert. Und weil ich noch Wasser übrig hatte und trotz des Probiermarathons sogar etwas Laune übrig war, shoppte ich Schuhe. So einen Lauf muss man einfach ausnutzen!

Einen passenden Abend wünscht
moggadodde

Hairytale

„Darf ich Dich was fragen,“, fragt der beifahrende MamS im Auto und schiebt ein ängstliches „ohne dass Du ausflippst?“ hinterher. „Klar, nur zu!“, antworte ich angespannt. Er ist noch rücksichtsvoller geworden in der letzten Zeit, der Ärmste, denn an manchen Tagen ist mit dem nordkoreanischen Dickerchentator besser Kirschen essen als mit mir.
„Dir wächst da ein Haar am Kinn. Ein langes. Darf ich Dir das nachher abschneiden?“, erkundigt sich der MamS, während ich tief durchatme.
Es ist ja wahr. Beim morgendlichen Schminkritual, das bald immer länger dauert, entdeckte ich doch bei genauem Hinsehen einen anklagenden Bewuchs, der am Haupt eines Neugeborenen passend ist, nicht aber am Kinn einer ausgewachsenen Frau.
Meine Hände umklammern das Lenkrad. „Klar!“, sage ich lässig. „Ich weiß, dass mir Haare im Gesicht wachsen.“, und wundere mich selbst über meine kurzfristige, buddhaeske Gelassenheit. „Weißt du, das liegt an den Hormonen. Mein Körper bildet gerade mehr Testosteron und weniger Östrogen. Das bedeutet, ich werde immer männlicher und aggressiver und furze demnächst wie ein Bierkutscher und überhaupt, willst was aufs Maul?“, scherze ich oder was ich halt für einen Scherz halte.
„Aha“, sagt der MamS.

Wieder zuhause holt der MamS den Haarschneider und ich tue meine Meinung kund, dass er ja wohl was an der Waffel hat und sich mit dem Teil mal ganz schnell verzupfen soll. Für dieses eine Haar soll ja wohl eine Nagelschere reichen und ob er denn nun völlig durchgeknallt ist?
Mit Engelszungen spricht der MamS und meint, dass dann doch alles erstmal weg ist und ich überlege, dass ich erst nächste Woche in den Katakomben wieder an chemischen Gesichtsenthaarer komme und stimme schließlich zu. Erniedrigter und ausgelieferter als in diesem Moment, als er den Apparat unter Summen über mein Kinn schob, fühlte ich mich nur, als mir die Schwester bei der letzten OP den Blasenkatheter mit der gefühlten XL-Charrière in den Pipischlauch schob. Ich verfluchte alle Hormone und das Unheil, das sie bringen, wenn frau ins Klimakterium fällt. Ja, es gibt nichts zu beschönigen: Ich befinde mich an der Schwelle zur Pubertät des Alters und Haare an Stellen, wo sie nicht hingehören, sind erst der Anfang.

Ob ich ihm denn kurz helfen könnte, ihn störe da etwas, bat der MamS später am Tag und reichte mir die Nagelschere. Mit sicherer Hand und der inzwischen unvermeidlichen Lesebrille entfernte ich ihm ein Haar aus der Augenbraue, weiß wie geschmolzenes Silber und mit sicher einem halben Zentimeter Länge. Ich betrachtete es versonnen. Ist es etwa das? Dieses „gemeinsam alt werden“? Sich gegenseitig unerwünschte Behaarung vom Körper zu entfernen? Ja, das ist es wohl. Und ich fürchte, es ist nur der Anfang.

Oh. Himmel hilf!
moggadodde

Smørreblød

Ich mag es nicht, Menschen, die für mein Wohlergehen oder meine Zufriedenheit als Kundin zuständig sind, als „Servicepersonal“ zu bezeichnen. Denke ich an dieses Wort, sehe ich ein halbdunkles, nur von Kerzen beschienenes Zimmer, in dem Frauen mit Häubchen und Männer mit Fliege und gestrengem Blick wortlos Essen auf einen Tisch, so groß wie das Saarland bringen, während blasiert dreinguckende Großgrundbesitzer gelangweilt in Zeitungen blättern.
Vielmehr verstehe ich solche Menschen als Berater, Helfer oder Geschäftspartner, auch wenn sie Angestellte sind. Höfliche Behandlung des Gegenübers ist selbstverständlich und ich spüre sehr genau, ob mir aufgesetzte und von oben verordnete Freundlichkeit entgegen schlägt. Oder eben auch nicht.

Heute war ich beim Möbelschweden. Ein Bett ist nach nicht einmal dreijähriger Nutzung kaputt (nahe *hüstel* liegende Kommentare an dieser Stelle sind verständlich aber nicht die Ursache treffend). Am Fußende ist eine Strebe gebrochen, traurig ragen Dübel und Schraube aus dem Machwerk aus gepresstem Span. Ich erwarte kein Bett für die Ewigkeit, aber drei Jahre sind doch ein wenig, ähm, sperrlich.
Am Reklamationstresen standen zwei Herren nebeneinander, der jüngere betrachtete einen Computerbildschirm, dem älteren erklärte ich die Gemengelage unter Fotobeweis. Er zeigte Verständnis und bot an, ich möge die kaputten Teile bringen, man würde das durch Anbringen eines Winkels sicher irgendwie beheben können. „2 Jahre Gewährleistung! Abgelaufen!“, bellte sein Kollege, ohne herzusehen. „Hm, naja, also … „, hob der Ältere an. „2 Jahre. Abgelaufen!“, wurde er unterbrochen und das Unbehagen des Älteren war fast mit Händen greifbar. Widerspruch schien zwecklos, denn er lag ja richtig. Aber irgendein Entgegenkommen, einen Nachlass auf Neukauf oder mindestens eine Äußerung des Bedauerns für derlei Qualität hätte ich doch begrüßt. Mit der Empfehlung, mich in der „Fundgrube“ (eine Art firmeneigene Resterampe, wo auch noch die letzte Schraube verhökert wird) umzusehen, verließ ich die Szene. Erwartungsgemäß fand ich dort nichts außer die Ansicht, dass das Beschwerdemanagement des Möbelschwedenflegels zur Diskussion gestellt werden sollte. Wirklich freundlich war ich gewesen und hatte innerlich schon längst mit irgendeinem Entgegenkommen abgeschlossen, trotzdem hoffte ich, der Typ möge mir schräg kommen, damit ich kurz eskalieren und meine Meinung kundtun könnte. Ich näherte mich wieder dem Tresen des Grauens.

In diesen Situationen nennt mich der MamS gerne scherzhaft „Donna Krawallo“ und tatsächlich hatte ich gerade tüchtig Wut im Bauch. Der unfreundliche Computergucker war immer noch am Start, blickte finster und mir sank das Herz ins Höschen. Erneut sprach ich den Älteren an, dem jetzt sichtbar der Schweiß auf der Oberlippe perlte. Die Fundgrube habe nichts hergegeben und ob wir das nun so machen könnten mit dem Winkel, aber er schien mittlerweile gebrieft vom Kollegen. Sein „Tut mir leid, aber die 2 Jahre Gewährleistung sind abgelaufen!“ war so unumstößlich wie die 10 Gebote, die dem Papst mit dem Inbusschlüssel auf die Stirn tätowiert sind. Ihm, der mindestens Verständnis vorgeschützt hatte, wollte ich nicht ans Leder, aber der andere stierte jetzt wortlos auf den Monitor und bot so leider ums Verrecken keine weitere Angriffsfläche.
Ich kapitulierte, ging grußlos und hatte den Rest des Tages verdammt schlechte Laune. Nur ein wenig Bedauern, ein paar Worte mehr, etwas Verständnis! Ist das etwa zuviel verlangt? Ich glaube ja zu wissen, dass der olle Ingvar die Filiale rundschleift, wenn die Zahlen nicht passen. Aber ordentlich verpackt ist eine Abfuhr immer noch leichter verdaulich als diese „Shut the fuck up and make the fly!“-Nummer.
Es gibt einfach Leute, die wären in einem Vakuum auf der Talsohle eines Bergwerks besser aufgehoben, als beruflichen Umgang mit anderen Menschen pflegen zu müssen. Und dieser fleischgewordene Surströmming gehört ganz oben auf die Liste!

Eine verständnisvolle Nacht wünscht
moggadodde