Zwei – ER –

Sie braucht mich und sie wird mich bekommen, sie weiß es nur noch nicht. Ich stehe Stunde um Stunde in der Schmuckabteilung im „Geschenkeland“, drücke mich um die gläsernen Schaukästen herum. Im Trubel der besinnlichen Zeit verschmelze ich mit den Massen kaufwütiger Menschen und errege keinerlei Aufmerksamkeit, obwohl ich jeden Tag hier bin. Die Verkäuferinnen haben genug damit zu tun, überteuerte Preziosen an die Kundschaft zu bringen und verwenden ihre Kraft darauf, sich ihre Unlust nicht anmerken zu lassen. Meine Liebe sitzt auf ihrem unbequem aussehenden Drehstuhl, fleißig und freundlich wie immer. Sie trägt heute wieder den hellbraunen Pullover und ihr langes, blondes Haar ist offen. Ich weiß alles über sie. Sie kennt mich noch nicht aber ich kenne sie und ihr Leben so gut wie mein eigenes. Ihr Tagesablauf ist mit einigen, kleinen Ausnahmen, immer gleich. Sofort nach der Arbeit geht sie zu ihrem gelben Auto, kauft noch einige Kleinigkeiten und fährt danach gleich in ihre kleine Erdgeschosswohnung, wo sie allein in der Küche sitzt, schwermütig machende Musik auflegt und darauf wartet, dass der einsame Abend ein Ende nimmt. Sie wäscht am Mittwoch die Bunt- und am Freitag die Kochwäsche. Jeden 2. Samstag im Monat geht sie ins Kino (allein) und donnerstags besucht sie ein Studio, um ihre aufregende Figur zu behalten. Ich sehe sie auch hier, beobachte ihr Muskelspiel und es erregt mich zuzusehen, wie sich auf ihrem grauen Shirt immer größere Schweißflecken bilden. Bald, sehr bald wird sie mir gehören. Unsere Körper werden vereint, unsere beiden Herzen werden im Rausch der ersten, lange ersehnten Liebesnacht ins Feuer der ungebremsten Leidenschaft geworfen werden und hervorgehen als ein einziges, pulsierendes Organ, mit der Kraft von 10 Sonnen.

Fortsetzung folgt …

Gravitation

Die Sonntagseuphorie hat, wie sich die geneigte Leserschaft vielleicht insgeheim schon denken konnte, eine knallharte Landung in den dornigen Niederungen des grausamen Alltags hingelegt. Bei Licht und ohne Feuerzangenbowlengenuss besehen musste man ja auch nicht die Fähigkeiten eines Orakels besitzen, um das vorherzusehen.
Dixie und ihr ausdrücklicher Wunsch, der freundlichen Einladung von Schatzis Eltern zu folgen und den kommenden Silvesterabend in Herborn zu verbringen, sorgt unterschwellig schon seit einigen Tagen für Störungen in der Schlagfrequenz meines ohnehin bereits angeschossenen Mutterherzens. Schwere Bedenken hinsichtlich der Tatsache, dass sie noch niemals allein eine derartige Strecke unter den fragwürdigen Fittichen der Deutschen Bahn unternommen hat hintanstellend, sagt die großzügige, linke Gehirnhälfte: „Lass sie fahren. Sie ist fast 14 und weiß, wo und wann sie umsteigen muss.“ Die andere, gestrenge und zuweilen ängstliche rechte Hälfte des Hirns sagt: „Lass sie nicht fahren. Sie ist noch nicht mal 14, wird am Umsteigebahnhof Ffm garantiert den Ãœberblick verlieren und in einem rot ausgeleuchteten Schaufenster in Anderlecht landen oder in den feisten Armen des Chefs eines rumänischen Mädchenhändlerrings.“ Die linke Front hatte sich trotzdem bereits einen beachtlichen Vorsprung erarbeitet.

Einen ganz geschickten Schachzug landeten die beiden Verliebten nun gestern Abend. Dixie schickte Schatzi vor, um mir (mal wieder und beileibe nicht die einzige) eine schlechte Note beizubiegen. Er, redegewandt und fremdwortsicher, ist sachliches Diskutieren mit seinen gebildeten Eltern offenbar gewohnt und erstaunte mich mit teilweise vernünftigen Argumenten wie denen, dass ein Verbot der Fahrt die Noten nicht ungeschehen mache, er sein Versprechen gebe motivierende Unterstützung zu leisten und es auch für ihn unglaublich wichtig sei, Dixie an Silvester zu sehen. Offenherzig bekannte er, dass er nun jetzt in einer schwierigen Gegend wohnt, eine Schule besuche, in der er sich überhaupt nicht wohl fühle und sich schon unglaublich freue. Sicher gäbe Dixies Besuch beiden Auftrieb für das neue Schuljahr, meinte er schließlich. So gern ich ihn auch hätte, erwiderte ich, für die Entscheidungsfindung hätte sein Wohlbefinden nur untergeordnete Bedeutung.

Die beiden Hälften meines Gehirns liefern sich nunmehr erbitterte Gefechte. Die liberale Linke befürwortet Dixies Reise als Vertrauensbeweis und Ansporn für die kommenden Jahresaufgaben. Die radikale Rechte neigt zur Verhängung von Sanktionen, die nachhaltiger wirken als das inzwischen schon dauerhafte Computerembargo.
Zwei Herzen schlagen, ach, in meiner Brust Zwei Hälften streiten, ach, in meinem Hirn!

Neben Herrn Shakespeare steuert auch Herr Allen hier ein treffendes Bonmot bei:

„Das Schwierigste am Leben ist es, Herz und Kopf dazu zu bringen, zusammenzuarbeiten. In meinem Fall verkehren sie noch nicht einmal auf freundschaftlicher Basis.“

Ich für meinen Teil werde es schon noch hinbekommen, meinen Verstand und diesen dämlichen Muskel in meiner Brust zu verkuppeln …

Euch einen komödiantischen Abend wünscht
moggadodde

Eins – SIE –

Ich fühle mich beobachtet. Wenn ich an meinem Platz im „Geschenkeland“ sitze, wo ich im Dezember beinahe im Akkord neue Uhrenbänder und Knopfbatterien in mehr oder weniger geschmackvolle Uhren einsetze, droht mein Kopf schon vor der Mittagspause zu platzen. Die Menschen drängeln sich vor meinem Kabuff, sind unfreundlich, gehetzt, ungeduldig, trippeln mit den Fingern auf der Plastiktheke. Sie durchbohren mich mit ihren stechenden Blicken, wollen mich antreiben, schneller zu arbeiten, schließlich stehen sie schon eine Weile in der Schlange und die Parkuhr tickt unerbittlich. Manchmal stelle ich mich absichtlich dumm und langsam an, nur um eine nutriabepelzte, blauhaarige Oma zu ärgern, die in die abscheuliche Junghans-Uhr des brillantineglänzenden Gatten eine neue Batterie eingesetzt haben will. Manchmal benutze ich dann auch eine schon benutzte Knopfzelle, die nach wenigen Wochen den Dienst versagen wird.
Aber die Blicke der Kunden meine ich nicht. Die bin ich gewohnt und sie prallen an meinem unsichtbaren Panzer ab. Es ist eine andere Art von Blick, einer der mir die Nackenhaare wie kleine Antennen aufstellt und bei dem ich nicht unterscheiden kann, ob er mir wohlgesonnen oder feindselig ist und der mich zutiefst verunsichert. Ich spüre diesen Blick nicht nur hier bei der Arbeit, ich spüre ihn auf dem Weg in die Kantine im dritten Stock, auf dem Weg zum Parkhaus, sogar zuhause, wo ich öfter in den Park auf der gegenüberliegenden Straßenseite spähe, vergeblich Ausschau nach dem Grund meiner Beunruhigung haltend. Ich glaube langsam, ich werde verrückt.

Fortsetzung folgt …

Bombenstimmung mit B 52

Der 40. Geburtstag des demnächst scheidenden Lieblingsnachbarn erforderte selbstredend unsere unbedingte Anwesenheit. Die üblichen Verdächtigen waren am Start, allesamt höchst sympathische weil und trinkfeste Zeitgenossen und obschon der Tag nicht allzu sehr vorgerückt scheint, verstehen es wir älteren Semester offenbar vortrefflich, uns binnen kurzer Frist die sprichwörtliche Kante zu geben.
Der MamS seilte sich recht bald ab, musste noch einige unselige Unterlagen zur QS beackern, so hielt ich die Stellung und unterhielt mich prächtig. Das Getränk des Abends: B 52. Der Gast des Abends (neben dem ollen Gastgeber) mein Lieblingsbiker Steini, mit dem ich in jedem Jahr als Sozia einen ausgedehnten Ausflug in den Spessart unternehme. Ich liebe es, in hautenger Jacke und mit noch engerem Nierengurt an den Rücken eines muskulösen Riders gekuschelt geklammert die engen, kurvigen Landstraßen zu befahren, dem Rausch der Geschwindigkeit zu frönen und als einzige Geräusche neben dem Fahrtwind die aneinanderklackenden Integralhelme und das scheuernde Leder wahrzunehmen. Wir schmiedeten schon Tourenpläne für das nächste Frühjahr und ich freue mich tierisch darauf, mit steifen Beinen und obercool übergeworfener Fransenjacke einen beschaulichen Biergarten zu entern, wo sexy Steini mit Muskelshirt, tätowiertem Bizeps und dekorativem Pferdeschwanz die anwesenden Kaffeetanten schockiert.
B 52 ist ein wahres Teufelszeug. Man gebe Baileys Sahnelikör in ein Gläschen, darauf gieße man vorsichtig Kaluha Kaffeelikör und darauf gebe man hochprozentigen Rum. Man entzünde sodann die explosive Mischung und genieße das blaue Flämmchen, bis das Glas gut heiß ist, blase kräftig hinein und schlürfe das ganze durch einen Strohhalm.
Schon jetzt habe ich einen schwipsigen benebelten Kopf und wenn ich daran denke, dass morgen um 5.00 Uhr der Wecker schellt, könnte ich … oh, ihr wisst schon, vorsorglich vomieren. Zugleich kommt mir in den Sinn, dass wir am Heiligen Abend ab 9.00 Uhr auf die Terrasse eines anderen Nachbarn geladen sind, der zu seinem 62. Geburtstag zum Glühweinfrühstück mit Rostbratwurst lädt. Na, sind das sonnige Aussichten? Auf der To-Do-Liste morgen in den Katakomben: Alka-Selzer und Ibuprofen einkaufen! WO IST DER GIFTSCHRANK???
Die Weihnachtstage werden heiß … sehr heiß!

Wir können auch anders!

Ein komisches Gefühl, das ich in diesem Maß schon lange nicht mehr hatte: Wir sind eine Familie. Nicht nur nach außen der statistische Durchschnitt mit vier Köpfen, eineinhalb Gehältern und einem verblichenen Haustier. Es gab kein böses Wort heute, die Stimmung war ungetrübt und heiter, wir konnten herzhaft und ehrlich miteinander lachen, ja sogar übereinander. Zuerst besuchten wir die Festung, wo wir schon seit Jahren nicht mehr waren, obwohl wir täglich daran vorbeifahren. Die Kinder amüsierten sich prächtig darüber, dass die Fürstbischöfe nur aus ihren Fenstern auf den Innenhof zu sehen brauchten, um eine nackte Frau zu sehen, die mir bei meinen vielen Besuchen gar nicht aufgefallen war.

imgp0186.JPG

Der MamS verabscheut Menschenansammlungen, wie sie an einem dritten Advent auf einem Weihnachtsmarkt naturgemäß herrschen über alle Maßen, trotzdem schob er sich danach klaglos mit uns durch die Menge, damit Dixie ein Lebkuchenherz für Schatzi kaufen konnte. Die Feuerzangenbowle war so stark, dass sie mir beinahe die kalten Beine wegzog und ich konnte nicht glauben, dass Neurosen-Hank es tatsächlich über sich bringt, seine Schwester aus seinem Punschbecher trinken zu lassen, ohne danach angewidert einen neuen Pott zu verlangen,

imgp0212.JPG

dass Dixie es tatsächlich einen Tag lang schafft, ihren Bruder nicht durch spitze Bemerkungen auf die Palme zu bringen, dass der MamS tatsächlich auch über sich selbst lachen kann, als wir ihn aufzogen, weil er sich aus Ekel vor vielleicht nicht ordentlich gespülten Bechern standhaft weigerte, Punsch oder Glühwein zu trinken.
Seltsam war dieses Gefühl, ohne Bauchschmerzen wegen zankender Kinder oder zickigem Gatten zu sein, vielmehr mit weitem Herzen und einem glühenden Becher mit Feuerzangenbowle in der Hand auf einem vollen Marktplatz zu stehen, auf drei Menschen zu schauen und zu wissen: Das ist meine Familie. Ich könnte sie oft, sehr oft auf den Mond schießen, allesamt, oder wahlweise ungespitzt in die Erde rammen, aber der heutige Tag hat mir aber wieder einmal gezeigt, dass „Familienleben“ nicht nur aus schlechten Nachrichten, immerwährenden Schlichtungsverhandlungen oder ständigen Sanktionsmaßnahmen bestehen muss, sondern auch unglaubliche Freude und tiefe Zufriedenheit angesichts des Erreichten vermittelt und das Gefühl, die wechselseitige Zuneigung aller Beteiligten untereinander heute spüren zu können, entschädigt wieder für alle Wirrnisse, Turbulenzen und Aufregungen der letzten Zeit. Es geht also doch.

Euch eine zufriedene Nacht wünscht
moggadodde