Seit ziemlich genau zwei Monaten gehört der kleine Hank zum Heer der Werktätigen. Er wird in seinem Betrieb nicht „Auszubildender“, sondern „Nachwuchskraft“ genannt, avanciert in der Kantine zweifellos bald zum „Vielfraß des Jahrzehnts“ und lernt ansonsten, wie er Kindererziehungszeiten und Beitragsmonate für Renten berechnet. Im ersten Ausbildungsmonat war er am Abend noch fidel, ging stets spät zu Bett und kam trotzdem morgens ohne Murren aus den Federn.
Seit zwei Wochen allerdings sind Welpenschutz und Teambuilding-Gepamper vorbei.
Jetzt gibt es dauernd Klausuren und es geht insgesamt aus „em annern Fässle“, wie der Franke sagt; seither schläft der kleine Hank schon um 8 Uhr ein. Die Mutter-Kind-Kommunikation fällt unter der Woche für meinen Geschmack aufs Heftigste zu kurz aus und auch ansonsten hab ich ja hin und wieder die eine oder andere Frage, die keinen Aufschub duldet. So wie gestern.
Ich so: Haaaaaaaank!? Funktioniert das noch? (den Extra-Telefonakku präsentierend)
Er so: Grummel (frisch aus dem Schlaf aufgeschreckt)
Ich so: Schau doch! Geht der? Und wie lade ich das auf?
Er richtet sich auf und schaut mir ins Gesicht.
Er so: Du musst den Arbeitsauftrag ändern.
Ich so: Wie? Arbeitsauftrag? Kann ich das nicht einfach an den Strom hängen?
Er so: Aber du darfst nicht am Datum rumpfuschen!
Ich so: Hey, du weißt schon, dass das ein Akku ist?
Er so: Du darfst nicht am Datum rumpfuschen!
Ich so: Datum? Was redest du da?
Er so: Na, das Datum halt! Ach, lass mich. Geh einfach raus!
Langsam wird er unwirsch. Er wirkt vollkommen wach, aber wir reden offenkundig von zwei total verschiedenen Dingen. Seit er mir, als ich ihn einmal weckte, ein zackiges aber zusammenhangloses „Team Shisha“ entgegen warf, weiß ich, dass er frisch geweckt gerne mal neben der Kappe ist. Ich bohrte noch ein bisschen weiter.
Ich so: Ich will kein Datum ändern, den Akku will ich laden. Sag mir mal, wie das geht.
Er so: Ja, genau.
Ich so: Ach komm, ich brauch das morgen!
Er so: Geh raus jetzt! Der Bescheid kommt noch!
Ich so: Ach so, alles klar. Dann gibt es die Anweisung schriftlich, oder wie? Na dann, ich warte drauf!
Das, was da gerade in diesem Bett sitzt, ist nicht der liebenswürdige, höfliche und immer zu Scherzen aufgelegte Hank, sondern ein völlig anderer Kerl, der mich aus roten Augen feindselig mit fremdem Blick fixiert. Äußerlich wach sitzt er da in diesem Moment, ist aber gleichzeitig überhaupt nicht im Raum. Ich beschließe, das Gespräch mit dem Hankgeist jetzt nicht zu vertiefen. Besser, ich mache mich unverzüglich aus dem Staub.
Als er heute von der Arbeit kam, fröhlich, hungrig und gut gelaunt wie immer, erzählt er von sich aus, dass ihm unser Dialog nach und nach wieder eingefallen sei. Gestern habe er sich tagsüber an einem Fall ziemlich festgebissen, konnte lange die Lösung nicht finden, bis es ihm irgendwann gelang. Diesen Prozess hatte das Hirn des Hank wohl gerade verarbeitet, als ich mit meiner Akkufrage aufkreuzte. Die Situation war trotzdem absolut skurril, eine Mischung aus „The Shining“ und „Der Exorzist“.
Heute ziehen ja wieder Horden von Menschen durch die Straßen, auf der Suche nach „Trick or Treat“, als Zombies, Gespenster und halbverwestes Gelichter. Ich aber weiß: Nichts ist gruseliger als ein kleiner Hank, der wachträumt.
Happy Halloween!
moggadodde