Früher™ war alles anders

Die allerorten eingerissene Unsitte der Doppelmoderation bei meisten Radiostationen geht mir in der Frühe ja kräftig auf den Wecker. Kreischig-quietschfidele Moderatorenpärchen liefern sich gähnend komische Wortgeplänkel oder verfallen wegen des Ausbleibens von Schnee in Wehklagen. Fakeanrufe von kindlich klingenden Erwachsenen belästigen unschuldige Leute, inszenierte komische Unterhaltungen mit dem Senderhausmeister erfahren ihre Darbietung, während ich kaum geradeaus schauen, geschweige denn zu denken vermag – ich kann es nicht ertragen. Menschen, die im Morgengrauen schon gute Laune versprühen, sind mir sowieso zutiefst suspekt. Und auf das Dauerdurchgenudele aller Arten von Biebergagas kann ich tageszeitenunabhängig auch verzichten. Meist decke ich mich über Nachrichtensender binnen Minuten mit dem nötigen Wissen über die neuesten schlechten Meldungen ein und dann kommt eine CD ins automobile Gerät.

Zappzufällig stieß ich vor ein paar Tagen auf Bayern 1. Noch vor wenigen Jahren hätte ich erschreckt weggedrückt: Musikalische Antiquitäten wurden doch da gespielt, staubige Stücke aus einer Zeit, in der Songs noch „Lieder“ hießen und Bands noch „Gruppen“ und die das Wohlgefallen meiner Eltern und der James Last-Generation generell fanden, was sie für mich damals per se schon als unhörbar disqualifizierten.

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Heute allerdings, kurz nach 6 im Auto, sang Peter Gabriel z.B „Solsbury Hill“, gleich danach intonierten Phil Carmen, Sister Sledge und, aufgemerkt! – Albert Hammond! Ich meine: Albert Hammond! Wann hatte zuletzt ein Sender die Traute zu „Free Electric Band“? Meine schlechte Laune taute schnell auf, dabei hatte ich doch erst einen Kaffee!
Neben Musik abseits von perryesken Poppfaden hat Bayern 1 aber auch praktische Lebenshilfe zu bieten. Auf der Heimfahrt am Nachmittag gab es ein Gespräch über die gerade schwappende Regensburger Porno-Abmahnwelle und das richtige Verhalten für Betroffene. Zur klanglichen Abrundung des Themas gab es danach den Beischlafevergreen schlechthin: „Je t’aime“ – nicht nur angespielt und dann gschamig ausgeblendet, sondern bis zum allerletzten Stöhnen lustvoll ausgereizt, während ich auf der B 8 sanft dahinschaukle. Mon dieu! Und das war der vermeintlich verstaubte Staatssender öffentlich-rechtliche Bayerische Rundfunk? Ob Horst das weiß? Chapeau!

Letzthin hörte ich da Peter Cornelius, den nur Alte Menschen meiner Generation kennen dürften. In der „Gib mir dei Telefonnummer!“-Nummer geht es darum, dass ein Herr sich verwählt und die Stimme der versehentlich Antelefonierten so betörend findet, dass er sie um ihre Nummer bittet, weil sie sonst „net zamkumma“ könnten. Ich sitze also im Auto und denke darüber nach, wieso das Dummchen wegen der Nummer so eine Welle schiebt. Er könnte einfach auflegen und auf die Wahlwiederholung schauen. Oder aufs Display. Und wenn sie sich mit ihrem Namen meldete, könnte er sie doch auch googeln! Dödel, der! Dann fällt mir ein, dass dieses „Lied“ zu einer Zeit geschrieben wurde, in der Telefone Kabel, Wählscheiben und keinerlei Extras hatten, grün oder orange waren, in der Bands noch „Gruppen“ hießen und in der „Je t’aime“ niemals bis zum Schluss ausgespielt worden wäre.
Früher war eben doch nicht alles besser.

Einen gehörigen Abend wünscht
moggadodde

Wunschflunsch

Alle Jahre wieder gibt es nicht nur den Novemberblues, den völlig überraschenden Wintereinbruch mitten im Winter und den Plätzchenüberdruss schon vor dem 3. Advent: Es dräut auch jährlich die Frage nach dem jeweils passenden Weihnachtsgeschenk.
Der Festwahn wurde in den hiesigen Hallen in den letzten Jahren allmählich heruntergefahren. Tatsächlich bin ich es leid, mich mit dem MamS alle Jahre wieder z.B. über die Verweildauer des Weihnachtsbaums zu streiten. Während er das Schmuckgeäst am liebsten schon am 27. entsorgen würde, braucht es meinerseits ein dickes Fell und Überredungskunst, damit ich das teure Getänn bis Silvester betrachten darf. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, aber es ist gut möglich, dass wir heuer erstmals überhaupt keinen Baum haben werden. Sollten sich aber Mutter und das Brüderchen doch noch am Heiligen Abend einfinden wollen, werde ich schon noch ein paar benadelte Zweige auftreiben können.

Dixie wird wegen des Auszugs und eines Finanzknüppels, den ihr das Advokatengesocks zwischen die Beine zu werfen beliebte, am ehesten auf Bares spekulieren. Auch der kleine Hank ist über das Wunschzettelmalalter inzwischen hinaus. Weil die Begierden eines noch Fünfzehnährigen einem beinahe wöchentlichen Wechsel unterliegen und teilweise recht fremdartig anmuten, wurde er zum Thema befragt. „Ich wünsch‘ mir ne PS3, die gibt’s gebraucht ganz günstig!“, beschied uns der Bub. Diplomatisch kann er ja, Respekt.
Beim MamS blinkten die Fragezeichen in den Augen. „Er meint eine PlayStation!“, klärte ich auf und mit dieser Bezeichnung konnte nun auch der so technophobe MamS was anfangen. „Kommt nicht in die Tüte!“, schnauzte er und dass ihm sowas ja nicht ins Haus komme.

Nun muss man wissen, dass dem MamS jegliches Verständnis für in Elektronik gründende Zerstreuung fehlt. Computerspiele, Handys und moderne Geräte außer der Mikrowelle hält er für üble Zeitverschwendung. Ein Fußballplatz, Freunde und der nahe Wald sind nach seinem Empfinden absolut ausreichend fürs subadulte Amusement. Hanks Einwurf, dass jeder seiner Kumpels eine Xbox oder mindestens eine PlayStation besitze, zog jedenfalls auch diesmal nicht.

Jetzt hoffte der kleine Hank auf mütterliche Schützenhilfe und sah mich bittend an. „Wenn ihn jemand rumkriegt, dann Du!“, flehte sein Blick, aber den Gefallen konnte ich ihm nicht tun. Ich verwies darauf, dass er sich aus den Früchten seines Ferienjobs vor zwei Wochen ein Smartphone der neuesten Generation geleistet habe sowie einen Fernseher. Außerdem hat er einen PC, mit dem er sich jederzeit durch die Weiten der Welt klicken kann plus gängiges Daddelmaterial. „Wenn Du mich fragst, bist du mit deinem derzeitigen E-Equipment ausreichend versorgt“, zerstörte ich seine Hoffnungen und bat ihn, sich doch was anderes zu überlegen. Eine Spielkonsole könne er sich selbst kaufen, wenn er mal wieder bei Kasse sei. Dagegen kann dann ja wirklich niemand was haben.

Ich bin elektronischen Neuanschaffungen gegenüber grundsätzlich recht aufgeschlossen, das weiß der kleine Hank, deshalb sah er meine Argumente irgendwann ein. Die Zeit wird kommen, in der wir ihm mit einem Zuschuss fürs Auspufftuning eine Freude machen können, das wird das Schenken erleichtern. Das hartnäckige Verweigern des MamS mit dem verbalen „Das kommt mir nicht ins Haus!“-Totschläger wird jedenfalls irgendwann neu verhandelt werden müssen.

Es könnte gut sein, dass der MamS aber auch nur um die Vorherrschaft über den Fernseher fürchtet und sich Horden hartnäckig verweilender Halbwüchsiger chipskauend und mit stimmbrüchigem Jauchzen ins Wohnzimmer imaginiert oder gar seinen Sohn abgemagert, langhaarig und auch so riechend in einer Halde ausgetrunkener Energydrink-Dosen mit leeren Zombieblick und chronischer Nintendovaginitis vor dem Bildschirm sieht, bleich den Controller umklammernd wie einst Gollum seinen Schatz. Alles nachvollziehbare Bedenken, die ich überhaupt nicht teile. Trotzdem denke ich: Kommt Zeit, kommt Konsole. Nur nicht am 24. in diesem Dezember.

Einen erfüllten Abend wünscht
moggadodde

Blümerant

Nicht unerhebliches Gewicht bei der derzeit pressanten Suche nach einem passenden Ausbildungsplatz legt der kleine Hank auf den pekuniären Aspekt. Dank des gnadenlosen Brutto-Netto-Rechners wird manch kindliche Freude aber recht schnell ein wenig getrübt. Von Abzugsbeträgen wie Kranken- und Rentenversicherung sowie anderen, unvermeidlichen Pöstchen hat er in der Schule ja bisher nur am Rande gehört. „Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir“. Meine Güte!
Eben entspann sich also dieses Gespräch:

Er so: „Ah ja. Und der Betrag für die Rente wird dann für mich auf ein Konto eingezahlt.“
Ich so: „Nee. Damit zahlst Du die Rente für die heutigen Rentner.“
Er so: „What? Was soll das denn? Ich kenn‘ die doch alle gar nicht!“

Dann werde ich dem kleinen Hank nun mal die Sache mit Blüms „sicherer Rente“ und dem Generationenvertrag erklären; er wird behaupten, nie was unterschrieben zu haben. Und in diesem Fall glaube ich ihm sogar.

Eine gewinnbringende Nacht wünscht
moggadodde

Nachwehen

Wie gut, dass ich keine Furcht vor Spritzen, Kanülen, Venenkathetern und sonstigen, die Haut perforierenden Utensilien hege. Davon hatte ich zuletzt nämlich reichlich. Weniger reichlich war die Verpflegung im Krankenhaus. Zwei, zugegeben überragend gute Brotscheiben, eine Tomate, je eine Scheibe Wurst und Käse: Ich meine, ich hatte eine OP am Fuß und keine Magenverleinerung! Dass Dixie mir auf meinen Hilferuf am Abend ein Leberkäsbrödle und eine Tafel Schokolade brachte, rettete mich vor dem Hungertod.

Es ist alles gut verlaufen, wurde mir erklärt. Der Fuß beliebt noch zu pochen und zu stechen und damit ich halbwegs rund gehen kann, trage ich einen Verbandschuh, einen klobigen Orthopädentraum, der recht kommod mit selbstgestrickten, groben Wollsocken zu kombinieren, aber ansonsten nicht ganz als letzter Schrei zu verbuchen ist.

Es war zu erwarten, dass sich der Spott des MamS wie ein Eimer Desinfektionsmittel über mich ergießt, hatte ich ihn nach seiner Schulteroperation im Frühjahr auch oft veräppelt, als er auf einer, im Schlafzimmer placierten und einem elektrischen Stuhl ähnelnden Mobilitätsmaschine seine marode Schulter therapierte und dabei eine chinesische Winkekatze im Tranquilizer-Modus imitierte.
„Käpt’n Ahab“ nennt er mich, während ich durch die hiesigen Hallen humple und zitiert dabei Sequenzen aus „Moby Dick“, oder „Frau Frankenstein“, aber das alles lässt mich kalt, solange der Treter nur schnell heilt und ich bald wieder in die Katakomben oder hinters Steuer kann. Dank des MamS’schen Automatikgetriebes werde ich letzteres Unterfangen in der nächsten Woche in Angriff nehmen.

Wenn ich mir die Wunde so ansehe,

Autsch

glaube ich aber nicht, dass ich an Weihnachten mit schicken Pumps das Buffet entern werde. Sicher werde ich froh sein, wenn ich überhaupt mit irgendeinem Schuhwerk, das nicht Klumpfußdimensionen hat, durch den Advent werde wandern können. Der Profimetzger mag das anders beurteilen, aber mit meinem Laienauge betrachtet sieht mein Fuß aus, als habe ihn John Rambo im vietnamesischen Dschungel in einer wackligen Baumkrone sitzend mit den Haaren eines Wasserbüffels genäht. Betrunken und mit links, wohlgemerkt. Jaja, ich weiß, das ist erst ein paar Tage her, aber auch ja: Geduld ist meine Sache nicht. Erst jetzt erschließt sich mir auch der Zusammenhang des Wortes „Patient“ mit dem englischen „patience“. Und so halte ich es notgedrungen mit Miguel de Cervantes, der behauptet, Geduld sei ein Pflaster für alle Wunden. Der hat gut reden. Dem waren schicke Schuhe sicher herzlich egal.

Einen keimfreien Abend wünscht
Haydee Klum-Pfuß

Mängellehre

Das kulturelle Topereignis stellt im hiesigen Dörflein das sogenannte „Backhäuslesfest“ dar, ein sich über drei oder vier Tage hinziehendes, heiteres Spektakel, das allein durch Mitglieder der örtlichen Vereine gestemmt wird, was in Zeiten schwindenden Gemeinsinns als sehr beachtlich angesehen werden darf. Eine reichhaltige Speisekarte, allerhand liquide Leckereien und ein beheiztes Zelt gibt es, in dem Eingeborene und „Neigschmeggde“ miteinander tratschen, trinken, spachteln und dann ein paar Meter straflos nach Hause schwanken können: Ein Pflichttermin für die unterzeichnende Exil-Connaisseuse, die ja üblicherweise für jeden, aushäusigen Pupsschoppen das Auto bewegen muss.

Zum handfesten Schnitzel wünschte ich mir einen Rotling aus heimischer Lage und ich zahlte beim jungschen Ausschenker an der Selbstbedienungstheke 4,50 €, 2 € Pfand fürs Gläschen inklusive. Schon bald aber enthielt das Glas zuviel Luft und ich erbat flugs Nachschub beim Mundschenk. „Das macht Vierfuffzich!“, beschied er mir und ich antwortete mit einem Zeig aufs Preisschild, dass das Tröpfchen aber nur Zweifuffzich koste. „Hatten Sie denn ein Glas zurückgegeben?“, fragte er nun und ich hielt ihm mein trauriges Krüglein vors Gesicht. „Ich habe für dieses eben hier schon bezahlt!“, entgegnete ich. „Ja, aber zurückgegeben haben Sie’s nicht. Dann kriege ich Vierfuffzich“, beharrte er.
Ich meine, ich bin nicht der größte Logiker unter der Sonne, aber das war ein Sachverhalt, der mir selbst mit einer ganzen Flasche feinsten Rotlings im Kopf nicht in denselben hätte gehen wollen. Wir begannen, zu diskutieren. Ein etwa gleichaltriger Hilfsmundschenk, wohl auch kein von Adam Riese geküsster Jüngling, pflichtete dem Kollegen bei. Ein Wortgefecht entspann sich und allmählich wurde ich ungeduldig. Zu lange schon darbte mein Krüglein bar jeden Tröpfchens.

Mittlerweile hatte sich ein weiterer Bruder im Durste an den Tresen gesellt. Unschüchtern erklärte ich ihm die Gemengelage und er bestätigte meine Sicht der Dinge. Wacker beharrte der Mundschenk auf seiner Position aber jetzt war ich sattsam bedient (sic!). Bockig drohte ich mit Abwanderung zum Bierstand, sollte er mir nicht sofort den verdammten Rotling für Zweifuffzich kredenzen. Widerwillig füllte er das Glas und um die Wogen zu glätten, versprach ich, diese höhere Problemathematik mit meinen Begleitern am Tisch gleich ausdiskutieren zu wollen.
„Wieso hast Du ihm das Glas nicht einfach zurückgeben und danach neu bestellt?“, fragte meine Tischnachbarin. Ähm. Ja. Das hätte ich natürlich tun können. Aber offenbar ist mein Starrsinn besser ausgeprägt als mein Denkvermögen.

Einen lehrreichen Abend wünscht
moggadodde