Das Angebot hörte sich schon verlockend an: 1-ZW mit separater Küche, Bad und Festungsblick, 35 qm und auch noch bezahlbar! Natürlich rief ich schon um halb 8 Uhr morgens die Nummer irgendwo in der Rhön an, wo sich eine ältere Dame meldete. Die Wohnung, fast am Stadtrand gelegen, sei noch vermietet und früher auch vom Sohn des Hauses bewohnt worden. Sie hob die separate Küche hervor und ich pflichtete ihr bei: Küchendünste im Wohn- oder Schlafraum wären ja grässlich. Sie fragte mich noch ein bisschen aus, was ich gut verstehe. Schließlich will man schon wissen, wen man sich da unters Dach holt.
Sie sammelte Interessenten und meldete sich ein paar Tage später wegen eines Besichtigungstermins. Wir waren entzückt! Googlemaps zeigte, dass sich in unmittelbarer Nähe eine Bushaltestelle befindet und die Lage auch sonst nicht ganz Jottweedee war. Also auf zur Besichtigung!
Der Sohn der Vermieterin erwartete uns vor dem 4-Parteien-Haus. Stolz führte er uns in ein Kellerabteil, das vor zwei Jahren, man höre und staune, einen Waschmaschinenanschluss verpasst bekommen habe.
So überwältigt war er beim Erzählen, man konnte meinen, in diesem siffigen Keller wäre ein Neutronenbeschleuniger installiert worden und Higgs-Boson höchstpersönlich spränge einem jeden Augenblick mitten ins Gesicht. Naja. Da sah ich zwar schon spektakulärere Gottesteilchen, aber immerhin würde sich Dixie mit einer eigenen Waschmaschine überlegen, ob sie weiterhin jede Jeans vor dem Waschen nur einmal trägt oder das nur irrtümlich aus dem Schrank geholte Shirt aus reiner Bequemlichkeit in die Dreckwäsche schmuggelt.
Das wäre aber noch nicht alles, verkündete der Sohn und führte uns unters Dach des Hauses, wo Vermieterin und derzeitiger Bewohner warteten. Wir betraten die Räume, aber jetzt bedauerte ich bereits im Stillen, dass das noch nicht alles war. Nach Durchschreiten der Eingangstür stand man bereits im Wohn-/Schlafzimmer und gegenüber befand sich das Bad.
Wanne, Waschbecken und Kloschüssel schienen sich darin übertreffen zu wollen, uns den Zeitpunkt ihrer letzten Reinigung anklagend entgegenzuschluchzen. Grünspanige, kalkfleckige Armaturen gaben sich ein trauriges Stelldichein mit fremdhaarverzierten, siffigen Oberflächen und gesprungenen, abgeschlagenen und mekoniumbraunen Fliesen. Der MamS, unser Sauberkeitssensibelchen, erbleichte auf der Stelle und wandte sich angeekelt ab. Das hölzerne Dachliegefenster war verzogen und schloss nicht richtig. Schimmelpünktchen sprossen vorwitzig in den Ecken und nicht einmal im Neoprenanzug hätte ich in diesem Bad den nötigen Reinigungsarbeiten an mir selbst oder irgendetwas sonst nachgehen wollen.
Nichts wie raus – in die benachbarte, winzige türlose Küche, wo ein desolater Resopalklapptisch seiner abgeschrammten Kanten dauerte und im elegischen Dialog mit einem verdreckten 2-Platten-Küchenblock aus den frühen 70ern stand, mitsamt eines Spülbeckens, dessen zerbeultes Edelstahl eine kalkige Patina gnädigerweise zu verschleiern suchte. Kein Backofen? Geschenkt! Aber auch hier schimmelte das Dachfenster freudlos vor sich hin. Gastroenterologisch sattelfest genug, um mir auch noch den Kühlschrank anzutun, war ich heute jedenfalls nicht. Sollte es sich hier um eine dieser Diätküchen handeln, in denen einem der Appetit vergehen muss? Bei mir schien das überraschend schnell zu funktionieren: Alles, was ich hier hätte zu mir nehmen wollen, wäre vielleicht ein Beutel Astronautennahrung und als Dessert eine tüchtige Portion eines einschlägigen Narkotikums.
Der Wohn-/Schlafraum war mit dankbar-dunkelblauer Auslegeware versehen und nicht annähernd so groß wie Dixies heimisches Zimmer. Insgesamt war er wegen überraschenderweise vorhandener Schrägen und Nischen überhaupt nur so groß, dass gerade ein Bett, ein Schreibtisch, ein Fernsehtischlein und ein Schrank hineinpassten. Der eloquente aber offenbar dreckspatzige Nochmieter erzählte, dass er gerne das Bett und bei Bedarf auch die Matratze übergeben würde. Ich atmete durch und schluckte die einzig passende Antwort auf diese Steilvorlage hinunter. Jedoch, jetzt schaltete sich Frau Vermieterin ein, könnte der Schrank, der, wie alles andere auch zur Wohnung gehörte, notfalls selbst abgebaut werden, was sehr traurig war, denn gerade dieser Schrank schien aus dem laufenden Jahrzehnt zu stammen und war damit das Brauchbarste des ansonsten vollkommen verschlissenen Interieurs.
Auf den Schimmel an den Fenstern angesprochen meinte sie, das müsste wohl „mal“ gemacht werden, aber ihr Sohn (der mittvierzige Herr Higgs-Boson aus dem Keller) habe hier doch immer sehr gern gewohnt. Auch der Nochmieter, Typ junger Rudi Cerne, wurde nicht müde, die gute Internetanbindung und das Wohnen dort insgesamt anzupreisen sowie eine Unterstellmöglichkeit, die unterm Dach vom Balkon aus zu erreichen war. Tatsächlich war der Balkon das wahrhaftig einzige Sahnestück dieser Behausung, mit einem atemberaubenden Blick auf die benachbarte, wunderschöne und in gleicher Höhe liegende Festung Marienberg. Natürlich: Wenn man keinen Schlaf bräuchte, oder Essen, oder ab und an eine Dusche und wenn man sich sommers wie winters auf diesem Balkon aufhalten könnte, ja dann wär’s perfekt gewesen.
Auf dem Weg zum Auto ärgerte ich mich, nicht Klartext gesprochen zu haben. Über die Stirn, Menschen diesen heruntergekommenen Schuhkarton für Geld anzubieten. Und über die Ansicht, dass ein auch nur halbwegs geistesgesunder Nachmieter zunächst ein paar dicke Scheine und eine Menge Arbeit investieren muss, um sich dort auch nur 5 Minuten lang wohl zu fühlen, um sich dann möglicherweise noch mit dem Vermieter wegen schimmeliger Ecken und morscher Draußenheizfenster streiten zu müssen. Das würde ich beim nächsten Mal bestimmt besser machen und mit meiner Meinung nicht hinterm Berg halten. Man lernt ja auch an solchen Dingen.
Der Status „Universitätsstadt“ macht die Zustände auf dem Wohnungsmarkt nun leider nicht besser. Ich bin sicher, unter den anderen konnten einige Bewerber nicht so zimperlich sein und haben diese Behausung dankend genommen. Vielleicht sollten wir Landeier uns ja nur ein dickeres Fell zulegen und uns abgewöhnen, die hiesigen, geleckten Heidschibumbeidschi-Zustände auf Mietwohnungen in der Stadt übertragen zu wollen. Vielleicht bleibt Dixie aber auch besser erstmal hier wohnen, zumal sie selbst den Hintern diesbezüglich gerade nicht besonders hoch kriegt. Zum Glück eilt’s ja noch nicht besonders.
Einen sauberen Abend wünscht
moggadodde