Nofretête-à-tête

Der im letzten Posting gezeigte Vogel verbrachte uns also nach Berlin. Beim letzten Besuch hatte es mit dem Reichtstagsgebäude ja nicht geklappt. Umso größer war die Freude, als wir diesmal dort ankamen und unsere erwartungsfrohen Äuglein ungläubig auch nicht die winzigste Spur einer Menschenschlange vor dem Einlasscontainer erblicken konnten! Yeah! Treffer! Glück gehabt!

Wir freuten uns allerdings zu früh. Zwar betraten wir den Kontrollkabuff völlig allein, einzig ein paar versprengte Menschlein vor uns wurden eben in die Verhaltensmaßregeln der hochheiligen Hallen eingewiesen, aber der zuständige Bundestagspforten- überprüfungsstudent bedauerte sehr: Zugang sei nur nach mindestens drei Tage alter Anmeldung per Brief, Fax oder Internet möglich. Unser Einwand, dass besuchertechnisch ja offensichtlich nicht gerade der Bär steppe und man uns doch eventuell irgendwo einschieben könnte (ich versicherte sogar Stubenreinheit unsererseits und Unterlassung jeglicher, das Parlament störender Zwischenrufe) wurde negativ beschieden. Flexibilität ist aber des Deutschen Tugend nicht und so zogen wir eben ohne Kuppelgucken von dannen und besuchten lieber die gleich hinter dem Brandenburger Tor im Haus der Akademie der Künste befindliche Ausstellung eines anderen Schauspielers, Mario Adorf nämlich, den ich für meinen Teil sehr verehre. Die räumliche Nähe traf sich gut: Es pfiff ein eisiger Wind und die angesagten 20 Grad waren weiß der Teufel wo, nur nicht in Berlin, genauso wie meine warme Jacke, verdammtnocheins.

Um neben Basketballsport, Konsum, Völlerei, Kaffeeabusus und Pflasterlahmheit noch mehr Abwechslung zu erleben, enterten wir an einem anderen Tag die Museumsinsel. Das Neue Museum ist dorthin umgezogen und in diesem absolut beeindruckenden Gebäude sind bekanntlich Exponate von Weltruhm ausgestellt.

Besonders aber Frau Nofretete, bekannt aus Film, Funk, Fernsehen und vielen Abbildungen wollte ich gerne mal vis-a-vis gegenüber stehen.

Wir besichtigten Sarkophage, Hieroglyphenschnipsel, Faustkeile, Neandertalerschädel sowie Totenkronen und bereits beim Durchstreifen der ersten, nur spärlich besuchten Säle fiel mir die erhöhte Aufsichtspersonendichte auf, die die ohnehin zumeist nur hinter Glas befindlichen Stücke mit Argusaugen bewacht.

Es gibt sicher viele, nicht besonders ausfüllende Tätigkeiten. Aber gegen den Beruf des Museumswärters erscheint mir sogar die Arbeit am Gelbe-Säcke-Plastiksortierband hochspannend. Stunde um Stunde, tagaus, tagein stehen diese Herren herum und wachen darüber, dass kein Kind mit Schokofingern Glasscheiben besudelt oder ein allzu dokumentierfreudiger Tourist die kunstvoll kreierte Atmosphäre mit Blitzlicht kontaminiert. Selbst tiefer gehendes Fachwissen ist nicht mehr vonnöten: Zu erteilende Auskünfte erschöpfen sich in Wegbeschreibungen zu den nächsten Toilettenräumen oder Anwendungstipps für die inzwischen obligatorischen Audioguides.
Es erschien mir also nur verständlich, dass einer der wackeren Wächter in einer Art Wutausbruch einer unaufmerksam quakenden Schülerschar (8 – 10jährig) tüchtig die Leviten lies, die fortan still und ehrfürchtig lauschend den Ausführungen ihrer offensichtlich überforderten Pädagogin folgte.

Im imposanten, ja geradezu kathedralesken Nordkuppelsaal des Hauses ist nun eben in einem gläsernen Kasten der Kopf von Frau Nofretete zu sehen. Während in den anderen Räumen das Fotografieren ohne Einsatz von Blitzlicht gestattet ist, wachen hier gleich drei Aufpasser darüber, dass keiner der Besucher irgendeine Aufnahme ihrer königlichen Hoheit knipst. Jedem, dessen Hand auch nur in Richtung Handykamera oder Fotoapparat zuckt, werfen die Nofretete-Wächter grimmige Blicke zu, so, als wäre diese Ägyptenische die Jungfräulichkeit ihrer Töchter, die auch ja kein billiger Pentaxblitz beschmutzen dürfe. Natürlich wollte ich nun schon wissen, wieso im ganzen Haus Fotos erlaubt seien und nur hier dieses strenge Verbot gelte und ich schnappte mir einen der Büstenwächter zur Befragung. In einer für Berliner Verhältnisse möglicherweise nett zu nennenden Art erläuterte er sinngemäß, dass die erhabene Andacht der Besucher bei der Betrachtung der Hoheit nicht durch primitive Knipsgeräusche gestört werden dürfe und kaum, dass er ausgesprochen hatte, hechtete er schon mit erhobenen Händen in Richtung eines Italieners, der seine eben gezückte Kamera sofort verschüchtert wieder verschwinden ließ.

Der aus Altersgründen inzwischen nur noch einäugige Blick von Frau Nofretete fällt im übrigen direttemang auf den reizenden und zeitgeschichtlich viel jüngeren, unter der in gerader Linie über mehrere Säle entfernten Südkuppel stehenden Sonnengott Helios, der nun wieder fast uneingeschränkt geknipst werden darf, nicht in einer Vitrine steht und aufsichtspersonentechnisch zumindest bei meinem Besuch völlig ohne Bodyguard auskommen muss.

Obwohl die Herren Museumswächter sich ansonsten stets dezent im Hintergrund hielten, fühlte ich mich ständig beobachtet und wurde es sicher auch, was mir ein gewisses Unbehagen bereitete. Wahrscheinlich muss das so sein, aber nur, weil ein paar hirnvernebelte Idioten ohne Aufsicht nichts Besseres zu tun haben, als Bronzebüsten und Steinstatuen abzufummeln oder als Souvenir einen Brocken aus einem Sarkophag zu feilen.

Den Besuch im Neuen Museum fand ich trotz der allgegenwärtigen Kontrolle auch wegen des atemberaubenden Gebäudes umwerfend, auch wenn ich bei weitem nicht alles sehen, geschweige denn aufnehmen konnte. Irgendwann hat mich der Hunger dann doch hinaus getrieben in das anonyme Getümmel der Großstadt, wo ich in einer nahen Pizzeria völlig unbeobachtet einen so heißen Kaffee trank, der sicher sogar dem alten Helios die Brandblasen auf die Zunge getrieben hätte.

Einen wachsamen Tag wünscht
moggadodde

Airgasmus

Dieses brüllende, immer lauter werdende Motorengeräusch! Die ganze Maschine zittert und drückt die maximale Leistung in die röhrenden Triebwerke, eine unwiderstehliche Kraft drückt mich in den Sitz, dann wird es schneller, schneller und noch schneller, Gänsehaut setzt ein und die Erwartung, dass dieses tonnenschwere Monster gleich entgegen jeder menschlichen meiner Logik in der Luft sein wird, macht ein kribbeliges Gefühl in der Magengegend und südlich davon. Dann der unvergleichlich leichte Moment des Abhebens, die Geräusche werden leiser, die Häuser kleiner, das leise „Pling“ das signalisiert, dass die Gurte jetzt gelöst werden können und der Start viel zu schnell schon vorbei ist …

Von oben und unter dicken Wolken liegend sieht die Erde aus, als läge sie unter einer horizontweiten, blendend weißen Schimmelpilzhaube.
Fliegen. Es gibt fast nichts Schöneres.

Einen luftigen Abend
moggadodde

Balladen statt Burger!

Kinder und Jugendliche verbringen heutzutage ja oft viel zu viel Zeit vor Computern oder in Fastfood-Schuppen, statt hinter Büchern oder Instrumenten, wobei sich besonders Letzteres ja bekanntlich positiv auf Leistungsfähigkeit und Denkvermögen auswirkt. Natürlich kann die Fertigkeit an einem Instrument aber auch der Förderung sozialer Kontakte dienlich sein. So hat der Schauspieler Axel Prahl kürzlich eingeräumt, dass er nur deshalb Gitarre zu spielen gelernt hat, um den Mädchen zu imponieren. Zwar hätten diese am Lagerfeuer dann stets anderweitig geknutscht, ihn aber immer gebeten, doch „noch einen“ zu spielen.

Ich kenne die Intention dieser beiden Jungs nicht, wahrscheinlich ist es aber einfach der bloße Spaß an der Musik. Sie intonieren hier einen Song des britischen Newcomers Ed Sheeran und das sehr schön, wie ich finde.

Den rechten der beiden jungen Herren kenne ich persönlich und hege hier die Hoffnung, dass er demnächst seine Gitarre auch mit auf Reisen nimmt! Selbst wenn es ohne Knutschen und Lagerfeuer gehen muss: Eine kleine Live-Serenade für unsere alten Ohren an den steinigen Gestaden des Gardasees wäre wirklich fabelhaft!

Einen klingenden Tag wünscht
moggadodde

Fliedertraum

Für den kleinen Hank steht die Rückrunde an. Seit Beginn der Winterpause hat er schon wieder einen kräftigen Schuss nach oben gemacht, Füße sind leider von derlei Wuchsprozessen nicht ausgenommen. Bei Hosen ist das kein großes Problem. Sie werden einfach so weit gen Süden gerutscht, dass es unten wieder passt. Dass beim Bücken oberhalb der Gürtellinie Schlüppi und halber Rücken frei liegen, nennt sich „Mode“ und ich frage mich schon, wieso ein Kind, das schon mit einem guten Jahr nicht mehr gewindelt werden musste, nun herumläuft als hätte es frisch in die Hosen gemacht. Als Mutter muss man so etwas aber sowieso nicht verstehen.

Heute also neue Fußballschuhe. Ich begleitete Hank und den MamS, wohl wissend, früher oder später mediatorisch eingreifen zu müssen, weil Geschmack und Preisvorstellung der beiden weiter auseinander liegen wie die Erdpole und beide Parteien dann auch auf öffentlichem Geläuf leicht zu verbalen Nicklichkeiten neigen. Der erste Laden bot beiden nicht das Gewünschte. Im zweiten dann war die Auswahl größer, was nicht immer vorteilhaft ist. Schnell hatte Hank aber ein Paar Noppentreter gefunden, das ihm gefiel, passte und nicht den Geldbeutel sprengte. Schon auf dem Weg zur Kasse befindlich fiel sein Blick auf ein Konkurrenzprodukt, das in seiner 46er-Kindersarggröße auch noch vorrätig war.

Mit diesen schrägen Schmuckstücken

war der MamS nach einigen, kleineren Diskussionen („Schraubstollen? Du spinnst wohl!“) dann irgendwann doch zähneknirschend einverstanden, obwohl er eigentlich der Meinung ist, ein richtig guter Stürmer schießt auch Tore, wenn er auf so Memmenkram wie Schuhwerk verzichtet und seine Füße in ein paar alte Ausgaben des Kicker wickelt.
Wie gesagt, Mütter müssen so etwas nicht verstehen.

Einen sportlichen Abend wünscht
moggadodde

Noch ganz sauber?

An die Hochzeitsfeier mit dem MamS erinnere ich mich, als wäre es vorletzte letzte Woche gewesen. Die vornehme Residenzgaststätte in Würzburg war noch die echte, alte Hofkellerei mit staubigem Stuck, etwas hochnäsigen Anzugkellnern, ehrwürdiger Erhabenheit und dem Flair, als ob gleich Mlle Marie Antoinette persönlich mit Reifrock und Puderperücke für ein Tete-à-tete mit Balthasar Neumann die Treppe hinaufschreitet und nicht die renovierte Hofkellerei in moderner Loungeoptik von heute. Es war ein rauschendes Fest und auch ohne distinguiert behusste Stühle wackelte der Schönbornsaal, ja, vielleicht gerade deshalb. Zur damaligen Zeit war die Idee von Stuhlhussen nämlich noch ganz tief in den Köpfen der noch nicht einmal geborenen Innenarchitekten vergraben.

Wir feierten tüchtig, auch mit den von vielen gefürchteten Spielen. Meiner züchtig berockten Mutti wurden in einem Spiel die Augen verbunden, ehe man sie unter dem Gelächter der Feiergäste über einen imaginären Parcours schickte mit dem Auftrag, über eine Reihe angeblich hintereinander aufgestellter Flaschen zu laufen, ohne eine umzuwerfen. Während sie also mit geschürztem Rock breitbeinig über gar nicht vorhandene Flaschen schaukelte, platzierte sich ein Herr mit einer Taschenlampe bewaffnet rücklings hinter ihr auf dem Boden, so dass sich meiner Mutti nach Abnehmen der Augenbinde der Eindruck aufdrängen musste, besagter Herr habe ihr mit der Taschenlampe während während der Darbietung aus bequemer Bodenlage die Gebärgänge ausgeleuchtet. Das hört sich nicht nur spaßig an, sondern war es auch.

Die 2-Mann-Combo, von meinem Vater leichtfertig nach Hörensagenempfehlung engagiert, punktete mit einem hohen Unterhaltungswert eher dadurch, angesagte Titel der Unterhaltungsindustrie nicht zu singen, sondern zu vollstrecken. Je schräger sie spielten und sangen, desto besser fanden wir das aber, was nicht zuletzt dem hinterhältigen Frankenwein und dem von meinem Vater gesponsorten Bierfässern in Hektoliterumfang geschuldet war.
Am Ende der Nacht lagen sich die Väter bierselig singend in den Armen, die Mütter von der vielen Aufregung um die Vermählung ihrer Kinder etwas derangiert und der MamS und ich wussten noch nicht, dass wir einen Berg aufgeblasener Luftballons zerpieksen mussten, um ins sehnlichst erwartete Bett zu kommen. Dass uns morgens um 5 der Sinn ausschließlich nach Schlafen stand, muss ich nicht betonen. Wir hatten eine unvergessliche, aber wohl nach heutigem Ermessen eher durchschnittliche Feier. Die Videocassette, die ich mangels Recorder schon Jahre nicht mehr anschauen kann, beweist dies.

Aus monetären Erwägungen heraus hatte ich mein Brautkleid geliehen. Viele meiner damaligen Freundinnen belächelten mich insgeheim. Niemals würden sie am Tag der Tage in einem Mehrwegkleid auflaufen. Lieber horteten sie das teure, gekaufte Stück jahrzehntelang auf dem Dachboden, als sich in einer gebrauchten Robe blicken zu lassen. Ich kam dafür billiger davon: Einzig das Schleiergebilde und die Handschuhe kaufte ich. Der Kopfschmuck gilbt allerdings in Tüten gewickelt im Keller vor sich hin und die ellenlangen Handschuhe liegen irgendwo im Schrank, weil ich sie für eine Faschingsparty aufbewahre, falls ich je zu einer Faschingsparty gehen würde. Ich bin nicht sicher. Vielleicht hab ich sie auch in den Altkleidersack gesteckt.

Heutzutage gibt es Wedding Planner, die gegen entsprechendes Salär nichts dem Zufall überlassen. Exquisiter Tischschmuck mit aus Teakholz geschnitzten, hawaiianischen Hibiskusblüten, uniforme Brautjungfernoutfits aus organischen Stoffen, die später das Mitternachtsbuffet bereichern, Ringkissenform (ja, liebe Heiratswillige, so etwas gibt es!), Umfang des gemeinsam durchzusägenden Eichenstamms oder die Anzahl der freizulassenden, weißen Tauben: Es gibt nichts, was der Hochzeitsplaner nicht planen könnte. Auch die Zeremonie auf zugigen Berggipfeln, eingezwängt in ein Fallschirmgeschirr oder im Taucheranzug ist möglich. Hauptsache, spektakulär, möglichst noch nie da gewesen und so originell, dass Nachbarn, Freunden und Bekannten vor Neid oder Bewunderung der Glückwunsch fast im Halse stecken bleibt.

Durch eine Annonce eines örtlichen Fotografen wurde ich auf eine neue Abart Variante aufmerksam. Natürlich kommt der neue Trend aus den US of A und erfreut sich auch hierzulande steigender Beliebtheit: „Trash my dress“ heißt das Zauberwort und immer mehr Fotografen bieten diese Leistung an. Zu diesem besonderen Hochzeits-Fotoshooting gehört es zwingend, zum Zwecke der Originalität und Einzigartigkeit der Verehelichungsfotos den feinen Zwirn zu schrotten. So wälzen sich die Teilnehmer hemmungslos an matschigen Gestaden beliebiger Gewässer, posieren auf gipsverschmierten Rohbauten, räkeln sich in frischer Farbe oder tanzen hemmungslos in sprudelnden Brunnen und ruinieren die Frisur, die die Hairstylistin am Morgen noch für viel Geld in ansehnliche Form gezwungen hat. Ich glaube nicht, dass ein final sand- oder ölschmodderiges Brautkleid auf dem Second-Hand-Markt noch allzu viel einbringt, aber das ist den zahlungskräftigen Brautleuten (bzw. den Eltern, die derlei Eskapaden üblicherweise bezahlen) wahrscheinlich sowieso völlig Banane. Hauptsache verrückt und die Fotos vom feuchten oder verdreckten Shooting sorgen ein paar Wochen für Gesprächsstoff. Ich meine, was zur Hölle soll sonst der Sinn hinter der mutwilligen Zerstörung sündhaft teurer Kleidung sein? Oder glaubt Ihr, dass Teerflecken da wieder rausgehen? Blight wedding statt white wedding? WTF?

Mein Kleid hingegen war, wie gesagt, nur geliehen. Zwar hätte ich mich in diesem, unter uns gesagt wunderhübschen Gewand ja auch auf der Kreuzung nach dem Oeggtor halbspastisch auf dem Asphalt wälzen oder im Frankoniabrunnen auf dem Residenzplatz im Ester Williams-Style die badende Venus imitieren können, aber dann hätte mich der MamS wahrscheinlich gleich am ersten Ehetag in die Füchsleinstraße Klinik einweisen lassen. Und das wäre ja dann doch ziemlich schade gewesen. Finde ich jedenfalls.

Euch einen trauten Abend wünscht
moggadodde