Unbestrittener Höhepunkt dieser Woche war der Besuch in Autostadt. Mit dem unschlagbar günstigen 20 Mücken-Einheitsjubiläumsticket düsten wir mit dem ICE ins ferne Golfsburg, wo Brüderchen ein neues Vehikel geordert hatte.
Das riesige Gelände ist ein richtiges Schmankerl fürs Auge: Überall gibt es kleine und große Hingucker: Grasbewachsene, hobbithausische Hügel, treppenförmig angelegte Zugänge zum zugigen Mittellandkanal, geschmückt mit würfelförmig getrimmten Buxbäumen in lockerem Wechsel mit knorrigen Gebüschen, eine futuristische Architekturlandschaft, aufgelockert durch mit Holzpaneelen versehene Brücken über seerosenbewachsenem Wasser. Ästhetik, wohin das trübe Auge reicht! Perfekt gestaltet ist die Autostadt mit ihren vielen, verschiedenen Gebäuden bis hin zu den zahlreichen, plexiglasüberdachten Raucherinselchen, damit die süchtige Kundschaft nicht sorglos die Kippen in die Landschaft pfeffert. Durch und durch durchdacht, bis in die letzte Kleinigkeit. Beeindruckend.
Die Übergabe des neuen, fahrbaren Untersatzes mit umfangreicher Einweisung erfolgte gegen Mittag. Technische Schnickschnacks prasselten auf mich ein, dass mir der Kopf qualmte: Noch nie habe ich z.B. gehört, dass ein Auto (!) mit einem Mobiltelefon (!) korrespondiert und plötzlich auf dem Display im Armaturenbrett das komplette Telefonbuch des Handys erscheint! Zack! Und per Touchscreen gewählt werden kann. Zack! Und das bei einem Golf! Ein Golf! Das ehemalige, langweilige Musterbeispiel für den Inbegriff der rollenden Altherrenschleuder! Irre!
Der sympathische Einweiser war ein von mir so genannter „Nich?“-Sager, eine hochinteressante Sprachspezies, die an jeden zweiten Satz zur Bekräftigung des Gesagten ganz einfach ein „Nich?“ hintanstellt. „Ein anderes Telefon stört den Empfang deshalb aber nich, nich?“ Brüderchen und ich warfen uns Blicke zu. Solche Sprachkapriolen kennen wir Franken ja nicht. Trotzdem klingt dieses hochdeutsche Palaver für unsere fränkischen Bauernohren unwiderstehlich seriös, auch wenn es sich nur um inhaltsloses Geblubber handeln sollte. Wir haben das feine Füllsel „fei“, ähnlich undurchsichtig und schwer definabel. Damit sind wir quitt, hoffe ich.
Am Nachmittag nahmen wir auch noch an der Betriebsbesichtigung teil, ein übertriebenes Wort für einen halbstündigen, aber ziemlich ziemlich heißen Trip durch eine einzige Halle des riesigen Werks. Waren die Pressstraßen schon beeindruckend, gab mir die Karosserieabteilung den Rest. Ich sah einst Matrix, und zwar alle drei Teile und sogar mehrmals. Ich dachte, mich könnte robotertechnisch nichts mehr vom Stängel hauen, Sci-Fi-routiniert wie ich bin.
Aber direkt vor meinem Näschen zu sehen, wie diese Wunderwerke von Menschenhand erschaffener Technik im Halbdunkel unter glühendem Funkenfeuerwerk zuckend und zischend, unermüdlich und unbestechlich, virtuos und geistergewissenhaft in schummrigem Licht millimetergenaue Schweißpunkte auf nackte Rohbaukarosserien setzen, präziser als ein Mensch sie je platzieren könnte und unbeeindruckt von meinen perplexen Blicken mit offenem Mund! Als absoluter Techniknerd bin ich arg empfänglich für derlei Errungenschaften und voll der Bewunderung für Menschen, deren Denkapparat solche Wunderwerke der Maschinensklaverei kreiert!
Trotzdem ist es bei ein wenig Nachdenken ziemlich beängstigend! Was, wenn sich die Maschinen selbständig machen? Was, wenn sie sich für den jahrelangen Dreischicht-Dauerbetrieb blutig rächen wollen? Was, wenn sie, gut geölt und voll unter Strom stehend durchdrehen? Oder der Arbeiter selbst haut die Reste seines Oberstübchens dem Schichtleiter vor die sicherheitsbeschuhten Füße?
Für die in der Produktion eingesparten Mitarbeiter hat sich VW aber etwas Schönes ausgedacht: Sie dürfen sich um die zahlreichen Autostadt-Besucher kümmern. Es ist schier unglaublich, wie viele gute Volksgeister sich um die Kundschaft kümmern! Noch nicht einmal eine Frage im Kopf, schickt sich ein freundlicher Mensch an, mir dieselbe zu beantworten! Das ist keine Personaldecke, das ist ein Personalfederbett! Sogar am relativ überschaubaren Parkplatz fanden wir zwei dick vermummte Volksgeister, die stoisch und dick verpackt ihre Auskunftsdienste feil boten. Überall stehen Damen und Herren, deren einziger Wunsch zu sein scheint, Besuchers Fragen von dessen Augen abzulesen und umgehend zu beantworten! Abrahams Schoß ist verglichen mit dem Gelände der Autostadt ein brenzliger Township von Soweto. In der Nacht!
Rundum gut versorgt, sogar betüddelt, wie man im Norden wohl sagt und mit minutiös und perfekt geplantem Ablauf bot die Autostadt einen wohltuend ruhigen und trotzdem sehr kurzweiligen und sehr interessanten Tag.
Wer je einen VW kaufen sollte, dem sei die Abholung im Werk dringend ans Herzlein gelegt. Es lohnt sich nämlich.
Ich muss aber sicher nicht erwähnen, dass wir mit Brüderchens neuem Auto auf dem Heimweg schon bald in einem Stau standen, der kein Stau war, sondern eine Heimsuchung direkt aus der Hölle. Quer durchs, Entschuldigung, verschissene, Braunschweig führte die Umleitungsstrecke. 40 km in knappen drei Stunden – da hatte das neue Gefährt doch gleich mal einen Eindruck von der harten, bundesdeutschen Autobahnwirklichkeit! Und was nutzt alle technische Finesse, wenn für den Fall des Falles in der neu ausgelieferten Karre noch nicht einmal ein paar Urinauffangbeutel serienmäßig an Bord sind?
Die viele Staustillstandzeit bot aber wenigstens reichlich Gelegenheit, sich ausführlich mit der Ausstattung zu beschäftigen. Schon in Salzgitter waren wir deshalb mit dem Gölfchen per du. Und irgendwann in der Frühe kamen wir dann tatsächlich auch noch daheim an. Ich glaubte schon nicht mehr daran.
Trotzdem war das ein echt grandioser Tag. So gesehen könnte sich Brüderchen fast öfter mal einen neuen Schlitten gönnen! Und beim nächsten mal fahren wir halt einfach mit dem Autoreisezug in die Heimat! Das geht nämlich schneller!
Eine fahrlässige Nacht wünscht
moggadodde