Für nahezu 20 Jahre hatte ich denselben Zahnarzt. Ein rundliches, kleines Berliner Gewächs, dem ich über die Jahre beim Kahlerwerden zusehen konnte. Besuche bei ihm waren nicht immer angenehm, was weniger meinem Gebiss denn seinem Odeurs zuzuschreiben war. Damit konnte ich aber gut leben, weil ich Kontrolltermine für die frühen Stunden kühlerer Tage vereinbarte, wenn seinen morgentaufrischen Achselhöhlen ausschließlich Deodorantduft entströmte. Weil er schlimmer nuschelt wie Marlon Brando als „Der Pate“, verstand ich nur die Hälfte von dem, was er sagte, aber ich wusste, dass er mir nur an die Zähne ging, wenn es nötig war. Sicher, das Entfernen von Zahnstein war ebenso erforderlich wie das Erneuern der einen oder anderen Füllung aus Jugendzeiten. Hält ja leider auch nicht ewig, sowas.
Als ich heute in die Praxis kam, werkelte ein jungscher Weißkittel an den Schränken herum und auf meine Frage erfuhr ich, dass der Zahnarzt meines Vertrauens sich in den Ruhestand verabschiedet und der Junge mit dem adeligen Namen seine Geschäfte übernommen hätte. Ich ahnte nichts Gutes.
Zwar verstand ich jetzt zumindest phonetisch, was das Jüngelchen bei Durchsicht meiner Beißer der Assistentin ins Blatt diktierte. Sein abschließendes „Das sieht doch gar nicht schlecht aus“, machte mich aber stutzig. „Für Sie oder für mich?“, fragte ich und der Fürst lächelte milde und deutete auf einen Bildschirm, wo sich pizzakartongroße Abbilder einiger meiner abfotografierten Zähne befanden. Diese Amalgamfüllung sei alt und zeige Risse. Hier, dieser graue Schleier, der sich mit Phantasie unter einem Backenzahn zeigte, sei mit Sicherheit Karies. Na, und diese Rille am linken oberen Eckzahn sähe ja auch nicht wirklich gut aus. Da wäre einiges zu tun, das nicht zu lange hinausgeschoben werden sollte, um schwere Schäden zu vermeiden, konstatierte er und wies das Fräulein Schanett an, einen Kostenvoranschlag zu erstellen und zwei Termine mit mir zu vereinbaren, die sie mit jeweils 45 Minuten kalkulieren sollte.
Um seine ärztliche Kompetenz nicht allzu sehr in Frage zu stellen, wartete ich, bis der Fürst den Raum verlassen hatte und wollte dann von Schanett wissen, wie es Teile meines Gebisses denn geschafft haben könnten, sich innerhalb eines guten Vierteljahres (denn da war ich zuletzt bei ihr und ihrem alten Boss) offenbar in eine detailgetreue Kopie der Akropolis zu verwandeln. Natürlich konnte sie dem Neuen nicht in den Rücken fallen: Die Jungen würden an der Universität ja heute die neuesten Sachen lernen, von denen der alte Chef keine Ahnung gehabt hätte und sicher könnte ich wegen dem Preis für die eine oder andere Austauschfüllung mit ihm reden. Die Kauflächen meiner Zähne würden in ihren modellierten Fissuren und der optimalen Farbgebung perfekt gearbeitet und wären von ungefüllten Zähnen nicht zu unterscheiden, schwärmte sie. Und wenn ich nur ganz wenig draufzahlen wollte, könnte ich auch den Krankenkassenkunststoff wählen, der aber weicher sei als die keramikdurchsetzte Füllung und nur drei oder vier Jahre halte.
Ich nahm den Kostenvoranschlag des Fürsten in Empfang und als die Sprache auf die anstehenden Termine kam, sagte ich, dass ich mir die Sache vorher erst einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen wollte: Schließlich habe ich mich in den letzten 20 Jahren auch ohne perfekt modellierte Fissuren auf den Zähnen durchs Leben gebissen. Mein rundlicher, riechender Berliner hat auch ohne den Glanz des Neuen und Jungen an meinem Gebiss gute Arbeit geleistet. Die paar Kunststofffüllungen, die er mir vor Jahren verpasste, tun ihre Arbeit jedenfalls schon sehr lange und ohne jegliche Beanstandung. Und Zahnschmerzen kenne ich überhaupt nicht. Warum also gleich einen derartigen, drei oder vier Zähne umfassenden, oralen Feldzug?
Der junge Dottore hätte besser daran getan, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen und mein Misstrauen zu wecken. Auch wenn es sich komisch anhört: Hätte er zwei oder drei Kontrollbesuche abgewartet und wäre dann langsam mit der Reparaturbedürftigkeit meiner Futterluke herausgerückt, wäre mir der Glaube an die angebliche Unausweichlichkeit der Behandlung möglicherweise leichter gefallen. Vertrauen ist schließlich ein zartes Pflänzchen, das man eben nicht gleich beim ersten Rendezvouz mit Forderungen ersäuft. Psychologie war während seines Studiums wohl nicht das starke Fach des Fürsten. Ich werde mir wohl jedenfalls noch eine zweite Meinung einholen, bevor mich der Neue wieder auf seinem Stuhl hat. Falls ich mir nicht doch gleich wieder einen älteren Mundmetzger suche, der mir nicht pausenlos etwas anderes in die Kauleiste basteln will, weil der fünfzehnstrahlige Wellnessmundduschvibrator noch nicht abbezahlt ist.
Wie meinte er noch? „Das sieht doch gar nicht schlecht aus!“: Jetzt weiß ich, dass er sich damit nicht nur auf mein Gebiss, sondern vor allem auf seinen Geldbeutel bezog.
Euch einen bissfesten Tag wünscht
moggadodde