Dixie hat ihre letzte Erkältung großherzig ihrem Bruder überreicht, der sie mir zu treuer Nase übergeben hat. Zudem laboriere ich seit einigen Wochen an einer kränkelnden Lippe. Kaum ist ein Kriegsschauplatz verschlossen, spüre ich viröses Leben an anderer Stelle. Aciclovirhaltige Sälbchen helfen dabei nur im allerersten Stadium, das Unheil schlummert noch unsichtbar und lässt sich nur vage spüren. Ist man gerade unterwegs oder unaufmerksam, ist es zu spät: Schmerzhafte Herpesbläschen entstehen, die beim Aufplatzen eine hässlich ansteckende Flüssigkeit absondern, nur quälend langsam verheilen und das ganze Gesicht zum Kribbeln bringen.
In dieser Phase bin ich verzweifelt genug und für alles zu haben: Angefangen bei Bepanthensalbe, die die frisch verschlossenen Wunden immer wieder aufgehen lässt über Globuli, die hier keinerlei Wirkung entfalten bis hin zu Fettcreme, die die Lippen aufplustert als hätte ich Botox intus. Auch mit hauchdünnen Silikonfolien, die sich an ungünstiger Stelle immer wieder ablösen bis hin zu stinkiger Propolislösung, die Hank abschätzig als „Bienenpisse“ bezeichnet, bin ich durch: Alles half ein wenig und eine kleine Weile lang. Ich meine, schlaue Leute erfinden Teflon, fabrizieren schwarze Löcher und fliegen zum Mond: Aber für einen schnellen Krankheitsverlauf bei simplem Herpes gibt’s nichts außer 2 g-Tuben Glücksspielsalbe und Aussitzen? Unfassbar!
Gleich zwei Baustellen verunzieren derzeit meine Futterluke, die ich mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg zu verbergen suche. Lippenstift, eine wie zufällig oder kokett vor den Mund gehaltene Hand, den Eindruck von Nachdenklichkeit erweckende, zusammengekniffene Lippen: Es ist anstrengend, sich pausenlos verstellen zu müssen denn ja, es ist mir unangenehm und peinlich, weil ich den Eindruck habe, dass jeder Gesprächspartner auf meine Lippen sieht, die wie das traurige Fanal eines lendenlahmen Immunsystems in die Landschaft leuchten. Abgesehen davon ist Lippenherpes auch richtig schmerzhaft.
Mal ist es ein Schnupfen, mal die Geißel gebärfähiger Frauen, mal ein nachlässig gespültes Glas, mal Ekel vor irgendetwas oder irgendwem: Die Auslöser für dieses unangenehme Leiden sind bei mir so vielfältig wie allgegenwärtig und unausweichlich. Es ist schon seltsam, denn ich bin wäre in der Lage, ein Leberwurstbrot, zwei Löffel Nutella, ein paar saure Gurken plus eine Banane zu verspeisen, und zwar in der Reihenfolge und kurz hintereinander, ohne dass ich sofort mit Herpes reagiere. Und wenn das nicht eklig ist, dann weiß ich auch nicht.
Meinen lädierten Gesundheitszustand schreibe ich trotzdem einfach auch dem Wetter zu. Selbst wenn sich jetzt mal zwei Tage die Sonne zeigt, zerrt die dauernde Kälte an meinen Nerven. Jaja, ein ganz normaler Winter, blablabla. Ich bin aber inzwischen innerlich so ausgekühlt wie ein uralter, modriger Gewölbekeller und kann, Krebs hin oder her, zu meinem Bedauern noch nicht einmal auf die Sonnenbank, weil sich Herpesbläschen nur ganz schlecht mit UV-Strahlen verstehen. Daher fühle ich mich wie ein riesiger, angefressener Mehlwurm und verkröche mich am liebsten tagelang im Bett, mit der Decke über dem Kopf, was mein Umfeld leider nicht so leicht zu akzeptieren gedenkt.
Daher war das Päckchen der lieben SchwäSu., das mich heute erreichte, ein willkommener Labsal. Endlich kann ich mein liebstes Haushaltsgerät auch um den Hals tragen: Ein aufklappbares Mininotebook zum Anhängen
Mir bleibt nur die Hoffnung, dass das schöne Stück ein bisschen von meinem immer noch geschundenen Antlitz ablenkt und sehne mich heftigst nach Temperaturen oberhalb von 20 °C, Flip-Flops an den Füßen und einem schönen Martini. Aus einem sauber gespülten Glas.
Danke, Su.! Ich würde dich ja knutschen, wenn ich könnte. Ähhm, nein. Besser doch nicht.
Euch eine unversehrte Nacht wünscht
moggadodde