Wenn Kinder älter werden, hat das ja eine Menge Vorteile, unter anderem den, dass spätestens im Grundschulalter die dauernde, elterliche Lügerei ein Ende hat.
Ein Viertklässler lässt sich kaum mehr ernsthaft mit der Drohung vor dem die Rute schwingenden Nikolaus zu gutem Benehmen nötigen. Auch mit der Ankündigung, das Christkind brächte keine Geschenke, ohne dass das Kind die 3-Minuten-Zahnputzzeit einhielte, kann nicht mehr gepunktet werden. Die Osterhasenlüge ist spätestens im Vorschulalter perdu. Kein nur halbwegs intelligenter Knirps glaubt, dass Hasen bunt bemalte Eier produzieren, geschweige denn transportieren können. Oder hat schon mal jemand einen Körbe flechtenden Rammler gesehen? Eben!
Über diese Zeit sind wir hier schon lange hinaus. Dixie hat im Moment nach einem Ausbildungs-Arbeitstag genug damit zu tun, nicht vor der Tagesschau einzuschlafen und sorgt deshalb für wenig Aufregung. Überhaupt scheint sie sich langsam von der pubertären Bestie zur Erwachsenen zu wandeln. Gefühlte 12 Jahre dieses hormonellen Ausnahmezustandes sind ja auch definitiv genug. In dieser Zeit hat sie sich Brocken geleistet, die ich auch keiner feindlichen Mutter wünsche, über die ich mittlerweile aber schon wieder lachen kann. Ein gutes Zeichen, bestimmt.
Nahtlos, und sicher damit ich nicht aus der Übung komme, tritt Hank in ihre Fußstapfen. Das Badezimmer betritt er meist nicht zum Waschen, sondern zu Styling-Zwecken. Sein einst pfiffiger Kurzhaarschnitt ist zu einer voluminösen Emo-Matte geworden, die er unter Aufbietung allerlei chemischer Hilfsmittel in unnatürliche, aber möglichst windschiefe Richtungen zwingt. Es macht ihm nichts aus, eine Woche tags wie nachts dasselbe Shirt zu tragen, eine Angewohnheit, die er konsequent auch bei der Unterwäsche beibehält. Nur nach dem Fußballtraining oder wenn wir ihn massiv und wortwörtlich beleidigen, Stinkmorchel, Schweineferkel oder Schweißfußhäuptling nennen, lässt er hinter sorgsam verschlossener Tür ein wenig Duschwasser an seinen mittlerweile beträchtlich gewachsenen Körper.
Es ist schwierig für eine Mutter, wenn der kleine, herzerweichend liebliche Sohn, der ihr vor fast 12 Jahren unter Schmerzen aus dem Bauch gerissen wurde, plötzlich größer ist als sie selbst, stichhaltig diskutiert und immer öfter sinnvolle Sätze von sich gibt, in denen trotzdem in der Mehrzahl die Worte „Alda“, „Mudda“ oder das entrüstet intonierte „Niemals!“ enthalten sind. Als ich gestern vor ihm stehend meine Arme um ihn schlang war es, als umarmte ich einen jungen Mann, was ein sehr seltsames Gefühl ist. Dankbar bin ich aber für die Tatsache, dass er eine solche Nähe immer noch gern zulässt, auch wenn es nur geschieht, wenn wir unter uns sind. Immerhin.
Natürlich wird auch der MamS von diesem beginnenden Ablösungsprozess nicht verschont. Auch für ihn ist es Neuland, nicht mehr als Godfather of all Heroes betrachtet zu werden, der dem Sohn unbemerkt eins vom Pferd erzählen kann. Hank beginnt, eigene Meinungen zu entwickeln, die sich nur manchmal mit den Ansichten seines Vaters decken, und diese auch zu vertreten. Und auch der MamS in seinem fortgeschrittenen Alter muss lernen damit klarzukommen, dass sein Sohn auf manchen Gebieten besser Bescheid weiß, als er. So hat Hank z.B. der Fernsehfernbedienung Funktionen entlockt, von deren Existenz der MamS bisher gar nichts wusste.
Bei allem ist Hank aber immer noch das liebliche Schnuckelchen, das er immer schon war. Leicht durchschaubar und gewollt unglaubwürdig schützt er mit gespieltem Unmut und herbem Charme Widerwillen vor. Dann aber räumt er die Spülmaschine schon nach zweimaliger Aufforderung aus und sein Zimmer ab und zu auf, holt Getränke aus der Garage, wenn niemand mehr Bock auf Leitungswasser hat und macht mir Espresso, wenn ich nach einem mörderischen Katakomben-Tag meine Gräten nicht mehr bewegen kann.
Sicher kommt der Tag, an dem ich ihm seinen Kopf über die Keramik fixiere, damit er den Alkoholüberschuss nicht auf den auf den Vorleger entleert oder auf der Polizeistation abhole, weil er Stromkästen ohne Graffitis langweilig fand. Bei aller Lieblichkeit zum gegenwärten Zeitpunkt: Ich bin mir schon darüber im Klaren, dass ein Pubertier jederzeit zur gemeinen Bestie werden kann. Immerhin das hat mich seine große Schwester schon gelehrt und das wird es mir leichter machen.
Für Erheiterung in der ganzen Familie sorgt der einsetzende Stimmbruch, im Fachjargon recht treffend auch „Mutation“ genannt. So etwas kannte ich ja bisher nur von der Ferne und aus Erzählungen. Es ist nunmehr unmöglich geworden, nicht selbst in schallendes Gelächter auszubrechen, wenn Hank seinerseits lacht. Sein Timbre schwankt dann oft zwischen Pumuckl und Gollum, aber meist hört er sich einfach an wie eine große, ungeölte Katzenklappe.
Es wird mir wehmütig ums Herz, wenn ich das höre. Hab ich diesem Knaben nicht erst vor kurzem die Windpocken mit Salbe betupft? War es nicht erst gestern, als er, sich kaum auf den Beinen halten könnend, das Skateboard seiner Schwester mit den Gesichtsbacken gebremst oder sich den großen Zehennagel an einer Mauer abgerissen hat, als er mal wieder nur mit Sandalen auf dem Fahrrad saß? Machtlos muss ich zusehen, wie schnell die Jahre vergehen, wie ich allmählich alt, welk und kurzsichtig werde, während meine Kinder beginnen, selbständig zu werden und lernen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und komische Klamotten zu tragen.
Irgendwann werden sie mich nur noch brauchen, um den Heizungsableser in die Wohnung zu lassen, sie Sonntags zum Essen einzuladen oder die Junggesellen-Buden neu zu tapezieren. Darin bin ich nämlich leider wirklich gut.
In der Zukunft soll ich vielleicht dann auch ihre Kinder hüten, aber da falle ich aus. Wenn die beiden aus dem Haus sind, werde ich mit dem MamS nämlich ausführlich in einem Cabrio mit Windschott (wegen der Ohren!) in südlichen Gefilden unterwegs sein. Es könnte sich irgendwann folgender Dialog entspinnen:
Sie so in etwa: „Hallo Mama! Wir brauchen dich hier dringend. Der Kleine hat Masern und die Große hat sich auf dem Dachboden eingeschlossen. Du kannst doch so gut mit ihr!“
Ich so: „Sorry, Kinners, das passt jetzt ganz schlecht. Spätestens im Mai sind wir aber wieder mal im Lande. Klingelt doch dann nochmal durch!“
Sie so in etwa:„Aber Mama, Mama hör‘ mal, ich brauch dich doch hier“
Ich so: „Hallo? Hallo? Haaaaallo?! Bist du noch dran? Oh, das ist wohl ein Funkloch! Sowas Dummes!“
Klick.
Man lernt ja schließlich auch von seinen Kindern. Ob ich in dieser Hinsicht so konsequent bin wie Hank mit seinen tagelang getragenen Unterhosen, wage ich allerdings doch zu bezweifeln.
Euch einen fröhlichen Tag wünscht
moggadodde