Filosofische Füsik

Dass das länger dauern würde, wusste ich ja. Im sonnigenbestrahlten Wartezimmer lässt sich wegen der Hochhauslage kein Fenster öffnen, ab und an pustet eine Klimaanlage etwas Frischluft in den Raum, was sich weniger durch das Vorhandensein neuen Sauerstoffs als durch das Geräusch des Gebläses feststellen lässt. Bei meiner Ankunft sitzen nicht weniger als 20 Personen in diesem Raum, dösend, lesend, sich leise unterhaltend. Bei einigen muss der letzte Waschtag schon eine Weile zurückliegen; es ist stickig und riecht nach Muffel, Schweiß und ungelüfteten Kleidern. Kaum wird ein Patient aus dem Zimmer geholt, kommen ein oder zwei neue herein und grüßen in die Runde.
Ich selbst grüße nicht, wenn ich ein Wartezimmer betrete, habe ich noch nie getan. Dass ich mit diesen wildfremden Leuten hier sitze, ist schließlich reiner Zufall und auch nur zwangsweise und hoffentlich kurz. Niemand grüßt Fremde im Bus oder wenn man sich am Waschbecken auf der öffentlichen Toilette begegnet und wenn man ein Restaurant betritt, wird man vom Kellner oder vom Wirt begrüßt, aber nicht von den anderen Gästen. Vielleicht ist die Wartezimmer-Grüßerei auch eine Art von zweckoptimistischem Aberglauben: Wenn ich hier nett bin, ist es heilbar.
Melodisch zwar aber auf Dauer trotzdem nervtötend klingelt das Praxistelefon ununterbrochen. Die MTA’s müssen doch träumen davon, wenn mir sich mir selbst schon nach ein paar Stunden der Ton dauerhaft ins Trommelfell gebrannt hat.
Ein 86jähriger Alleinunterhalter, unüberhörbar von der Schwäbischen Alb kommend, beschwallt lebhaft einen 83jährigen Thüringer, beide erstaunlich rüstig für ihr Alter. Offenbar ist das hier eine gute Adresse. Da lohnt sich das Warten.

Leises Gemurmel neben mir, zweifelsfrei Russisch, lullt mich langsam ein und meine Augen werden plötzlich schwer. Meine Hand stützt meinen Kopf während des Nickerchens und als ich aufwache, schaut keiner belustigt, woraus ich schließe, nicht geschnarcht zu haben.

Von meinem power nap frisch gestärkt rate ich die Vornamen der anderen Patienten, die vom jeweiligen Arzt persönlich mit vollem Namen aufgerufen werden und liege immer falsch. Eine vermeintliche Barbara entpuppt sich als Hildegard und ein Josef ist eigentlich ein Herbert. Miese Trefferquote zwar, aber wieder ist eine Viertelstunde rum.

Ich zähle Eheringe und die Anzahl der Ballerinaschuhe im Raum und stelle fest, dass von den Sandalenträgern keiner eine Brille trägt. Danach versuche unauffällig, den Namen im Tattoo auf dem Unterarm eines Mannes zu entziffern, dessen graue Gabardinehosenbeine ausgefranst sind. Er trägt ein hellblaues Polohemd, der Name ist Sonja und er ist nach mir gekommen, wird aber trotzdem vor mir von einem Medizinmann abgeholt, was mich nicht stört, denn inzwischen erzählt eine falsche Blondine von ihrem letzten Urlaub am Schwarzen Meer. Ich erfahre, dass der ähnlich klingende Discounter in Bulgarien „Valdi“ heißt und ich beschließe, dass ich einen evtl. anzuschaffenden Dackel sofort „Aldi“ taufen werde.

Plötzlich steht doch noch ein Arzt in der Tür und nennt meinen Namen. „Jetzt passt es gar nicht, ich habe die Jan-Weiler-Kolumne noch nicht fertig gelesen!“, will ich sagen, bin aber still und werde kurz darauf angezapft, geschallt und szinigrafiert. Ganze 15 Minuten dauert das, worauf ich vorher siebenmal so lange gewartet habe und ich frage mich, ob der olle Einstein kurz vor Entdeckung der Relativitätstheorie beim Arzt war und als Sprechstundenhilfe bei diesem Nuklearmediziner reinkarniert wurde.

Euch eine strahlende Nacht wünscht
moggadodde

Feuchtbiotope

Eigentlich mag ich Wärme. Aber das feuchtheiße Wetter hat mich heute fertig gemacht. Gerade die Hälfte des ins Auge gefassten Pensums habe ich geschafft, weil ich wegen akuten und heftigen Kreislaufs öfters pausiert habe. Das ist aber nicht schlimm, die Arbeit nimmt mir schon keiner weg, was ausnahmsweise mal schade ist.

Da hatte ich ausreichend Gelegenheit mit der Nachbarin zu plaudern, bei der es heute ganz besonders feucht war, weil sie ein Leck im Wasserbett hatte. Auch wenn viele drauf schwören, ich glaube nicht, dass ich das Geschaukel im Schlaf vertragen könnte. Selbst wenn es so gut befüllt wäre, dass kaum ein Unterschied zur normalen Matratze besteht, die Vorstellung auf einer an einer Steckdose angeschlossenen Wasserbombe zu schlafen, erscheint mir nicht sehr spritzig. Auch für den Fall, dass ein gewisser zwischenmenschlicher Spannungsabfall im Schlafgemach für die Anschaffung eines Wasserbetts verantwortlich zeichnet, könnte die Hoffnung auf steigende Reibungselektrizität durchaus fehl gehen. Ich für meinen Teil müsste mich jedenfalls an den Gedanken, dass man auf einem Wasserbett sogar knien kann, ohne dass einem die Suppe um die Ohren spritzt, erst etwas länger gewöhnen. Nach meiner Meinung sollte sich Hightech im Schlafzimmer auf einen zuverlässigen Wecker und einige batteriebetriebene Objekte im Nachttisch beschränken.
Zugegeben, ich habe noch keine Meldung über durch ein defektes Wasserbett ertrunkene oder durch Stromschlag getötete Schläfer gehört, aber bestimmt gibt es da eine Dunkelziffer. Schließlich hat ganz Europa jahrtausendelang auf Strohsäcken und Rosshaarmatratzen genächtigt, warum soll das plötzlich nicht mehr gut genug sein? Außerdem brauchen auch meine Milben eine Heimat.

Feucht ist es jetzt immer noch, aber merklich kühler, nachdem es seit ein paar Stunden regnet. Und weil ich einen ziemlich geräumigen Stockschirm mein eigen nenne, kann mir sowas

ja nicht passieren.

Euch eine feuchtfröhliche Nacht wünscht
moggadodde

Preisfrage

Welches formaldehydgeschwängerte Marketinghirn gebiert so

shoppen bis der Arzt kommt?

eine Werbeaktion? Was hat die Praxisgebühr bitteschön mit dem Möbelkauf zu tun? Shoppen bis der Arzt kommt? Gibt es vielleicht ein Polsterbett „Ulla“ bei Poco, das so unbequem ist, dass man sich kulanterweise in dieser Form an den entstehenden Arztkosten beteiligen will? Kriege ich bei deren Preisen Herzrasen, Bindehautentzündung oder Bluthochdruck? War das Essen im Restaurant so mies, dass man sich dort im letzten Quartal eine Lebensmittelvergiftung hätte einfangen können?

Ich habe ja noch eine Zuzahlungsrechnung für eine Zahnfüllung hier rumliegen. Kriege ich damit auch den Gutschein, weil ich bei so einer zusammenhanglosen Aktion aus dem Lachen nicht mehr herauskomme?

Euch einen erfreulichen Abend wünscht
moggadodde

Mutta Hari

Es ist schon komisch: Ist Dixie mit ihren Freundinnen unterwegs und übernachtet sie dann auch bei einer in der Stadt, weil der letzte Bus schon weg ist, bin ich ziemlich gelassen. Ist sie allerdings, so wie gestern, bei einem neuen Anwärter für das Amt des aktuellen Romeo zum Hausbesuch, bin ich unruhig und kann nicht schlafen, bis sie endlich kommt. Heute früh war es 2.00 Uhr und auch danach waren Morpheus Arme für mich noch lange nicht in Sicht. Ich habe sie nie über Gebühr unter der mütterlichen Käseglocke erstickt und jetzt ist sie 16 1/2 und ich fange tatsächlich an, ein wenig durchzudrehen.

Wenn wir in den Kassenschlangen im Einkaufsmarkt stehen, entdecke ich Kerle, deren abschätzender Blick auf Dixie haften bleibt und ich schaue stier zurück und mein vernichtender Blick sagt unzweifelhaft:„Nimm sofort deine grindigen Glubscher von meiner Tochter, du Saftsack!“. Es mögen vielleicht sogar vom Ansehen ganz nette Typen darunter sein, aber mir ist mir keiner vertrauenswürdig genug und ich begegne den armen Kerlen, die sie hier anschleppt solange mit Misstrauen, bis sie mich davon überzeugt haben, keine Serienkiller, Triebtäter oder Werwölfe zu sein. Ich google ihre Namen, notiere Kennzeichen und überprüfe Telefonnummern mit Reverssuche. Kein Eintrag bei klicktel und schon ist der Typ verdächtig. Die Unschuldsvermutung ist in meinem mütterlichen Grundgesetzestext jedenfalls erst ganz hinten zu finden. Gut möglich, dass ich in dieser Hinsicht ein bisschen paranoid und infolge dessen nicht ganz zurechnungsfähig bin, auf alle Fälle bin ich tausendmal schlimmer als jeder Vater es je sein könnte.

Jetzt ist ja eine ganze Weile erfreulich ruhige Ebbe gewesen in der Beziehungskiste aber nun hat sie ein junger Mann geangelt, der schon in der Probezeit wegen Raserei seinen Führerschein für ein Jahr abgeben musste und den mir vorher vollkommen unbekannten Beruf des Teilezurichters erlernt. Das Wort „Zurichten“ ist für mich eher negativ konnotiert (s.a. „Die Leiche war grausam zugerichtet“). Wenn ich früher etwas zugerichtet hatte, zog das stets einen Krach mit meinen Eltern nach sich („Wie hast du denn dein Zimmer wieder zugerichtet!?“). Tatsächlich ist dieses Handwerk aber ein ehrbarer Ausbildungsberuf, das habe ich jetzt gelernt, auch wenn mir mein inneres Auge beim Gedanken an einen Teilezurichter unweigerlich einen Sargtischler präsentiert.

Ich weiß selbst: Ich bin unfair, voreingenommen, ein engstirniges Arschloch und bestimmt werde ich mal ein grässliches Schwiegermonster. Trotzdem versuche ich, mir meine Unruhe nicht anmerken zu lassen, um informationstechnisch auf dem Laufenden zu bleiben, was mir trotz des inneren, tobenden Gewitters meistens recht gut gelingt. Um mir viele weitere, schlaflose Nächte zu ersparen ist klar, dass ich lernen muss, Vertrauen in ihr Geschick zu entwickeln, sich nicht mit einem fiesen Verbrecher einzulassen, der sie in einer Sickergrube ersäuft. Mir ist klar, dass mich meine dauernde Kontrollsucht irgendwann in Teufels Küche bringen kann. In einem anderen Leben wäre ich bestimmt eine 1-A-Spionin gewesen, aber das Schicksal von Mata Hari erscheint mir tatsächlich nicht sehr verlockend.

So bleibt mir momentan nichts übrig, als darauf zu beharren, den Kandidaten baldmöglichst persönlich vor die Flinte zu kriegen, um ihm meinem persönlichen Screening zu unterziehen und herauszufinden, ob er für das hohe Amt „Aktueller Freund meiner Tochter“ überhaupt geeignet ist. Sollte er den Test nicht bestehen, kann ich leider so schnell auch nicht sehr viel daran ändern. Den letzten Verflossenen, den ich schon ziemlich bedenklich fand, sieht sie aus heutiger Sicht jedenfalls als Riesenpappnase. Das gibt ja schon Anlass zur Hoffnung, finde ich.

Euch einen glaubwürdigen Tag wünscht
moggadodde

Lady Marmelade

Zur Herstellung einer leckeren Kirschmarmelade braucht ihr eigentlich nicht mehr als ein Pfund Gelierzucker, die gleiche Menge Kirschen und idealerweise zwei Kinder, die die Dinger entsteinen (und die gesamte Küche und sich selbst ganz nebenbei mit lustigen, roten Sprengseln dekorieren). Mit einem Löffelchen Zitronensaft, einem Schwupps Kirschwasser, einem Hauch Rum und einer Prise Zimt püriert, aufgekocht und kräftig gerührt, könnte mit etwas Glück sogar Marmelade daraus werden, was – pssst, nicht verraten! – eigentlich mein Plan war.

Prototypen

Pläne haben die dumme Angewohnheit, manchmal ziemlich in die Hose zu gehen und jetzt verkaufe ich das sämige Sößchen, das die Konsistenz eines handelsüblichen 15 W 40 Motorenöls besitzt, meiner Familie als Kirsch Royal-Fruchtmasse für Joghurt oder Vanilleeis. Zu wenig gerührt, zu kurz gekocht, zu wenig Zucker – die Anzahl der potenziellen Fehlerquellen ist groß. Dafür, dass ich mich in meinem Leben erstmals an einer Marmelade versucht habe, ist das Ergebnis gar nicht sooo schlecht und trotzdem lecker und sogar fast noch besser als mein Lieblingsgelee mit schwarzer Johannisbeere …

Yammi
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