Wegen eines Arzttermins durfte Hank heute nicht in die Schule. Das ist aber kein Grund, nicht ein bisschen an der Bildung zu schnuppern und so nahm ich den Stadtbesuch zum Anlass, mit ihm bei Walther vorbeizuschauen. „Welcher Walther?“, wollte er wissen und als ich ihm eröffnete, wo wir jetzt hingingen, meine er nur lapidar: „Wie? Wo wohnt der? Im Losergärtchen? Ist das ein Loser oder was?“
Ich erklärte ihm das erstmal in seiner Sprache:
Walther war mal eine richtig große Nummer im Showbusiness. Die Frauen hingen an seinen Lippen und lagen ihm zu Füßen, die Texte seiner Lieder waren nur anfangs schnulzig. Bei einer megagroßen Challenge, damals Sängerwettstreit genannt, in einer coolen Location im Osten auf der richtig phatten Wartburg war er sogar so gut, dass er ein Kumpel des Produzenten (nein, nicht Bohlen) wurde, der ihn förderte und unterstützte und durch ihn kam Walter auch ziemlich zu Geld, so dass er sich eine geile Wohnung leisten konnte und nicht dauernd auf Tournee gehen musste. Mit zunehmendem Alter wurden Walthers Songs immer bissiger und er hat sogar die Regierung ziemlich gedisst, aber weil er so gut war, hat man ihm das nicht krumm genommen.
Der Künstler war zuhause, hat aber nicht aufgemacht, was nicht wundert, denn er ist schon seit ein paar Jahrhunderten tot und wir standen an seinem Grab. Eine Horde ungezogener 9 – 10jähriger sorgte für Unruhe im beschaulichen Lusamgärtchen, eines der Ungeheuer hatte einen Luftballon dabei, den es immer wieder aufblies und aus dem es im Karree überlaut quietschend immer wieder Luft entweichen ließ. Die Lehrerin war physisch vorhanden, hatte aber ansonsten nicht viel zu sagen. „So schlimm ist ja nicht mal unsere Klasse!“, meinte Hank und verdrehte die Augen. Der zugegebenermaßen verwitterte und unschöne Stein schien die Kinder nicht besonders zu interessieren. Die ebenso verwitterte Lehrerin sagte Jahreszahlen auf und die Kinder mussten nicht erst abschalten; sie hatten ihr Gehirn nämlich gar nicht erst auf Empfang gestellt und lümmelten gelangweilt auf dem Grabstein herum.
Nach einer Minute Schauens und Abhängens ging die murrende Meute wieder zum Ausgang und ich dachte mir, dass man die Kinder doch auch noch anders packen könnte, damit ihnen der Besuch wenigstens etwas im Gedächtnis bliebe.
„Kennt ihr James Blunt?“, rief ich ihnen zu. Ein vielstimmiges „Ja!“, „Logo!“, „Klar doch!“ schallte mir entgegen. „Der Walther von der Vogelweide da drin“ – und jetzt deutete ich bedeutungsschwer auf das Grab – „dieser Mann war der James Blunt des Mittelalters!“
Jetzt wussten sie, WIE groß dieser Kerl zu seiner Zeit gewesen ist, dass ein Minnesänger nicht irgendein langweiliger Mützenjohnny mit Klampfe war, der den Frouwen unverständliches Zeug entgegen trällerte, sondern zu seiner Zeit ein richtiger Star war, ganz ohne YouTube, DSDS und klimatisiertem Tourbus. Sie guckten mich groß an und verstanden ein bisschen, hoffe ich.
Hank war die Sache natürlich wieder peinlich. Momentan ist ihm fast alles peinlich, was ich mache aber ich habe erreicht, dass er sich wenigstens mal den Namen gemerkt hat. Nicht den von James Blunt. Den von Walther von der Vogelweide.
Danke Georg, dass du mich auf die Idee gebracht hast, da mal wieder vorbeizuschauen!
Euch einen bildschönen Abend wünscht
moggadodde