Mein Seh-Nerv ist im Urlaub

Zu den größten Annehmlichkeiten meines vorübergehenden Strohwitwenstatus‘ gehört zweifelsfrei die Alleinherrschaft über die Fernbedienung. Nicht, dass wir über der Auswahl des Abendprogramms regelmäßig in Streit verfielen, das nicht. Kommt irgendwas mit Fußball, gucken wir Fußball. Ich habe damit kein Problem, weil ich tolerant und ja auch selbst dann und wann ein bisschen am Gebolze interessiert bin.
Andersherum ist es um die Toleranz allerdings nicht ganz so gut bestellt. Zugegeben, fernsehunterhaltungstechnisch bin ich manchmal eher einfach gestrickt. Zwischendurch sehe ich gerne mal einer fülligen Blondine beim Umkrempeln von fremden Häusern zu oder bin Zeugin, wenn zwei Frauen Haus, Herd und Mann tauschen und sich beim Abschlusstreffen auf neutralem Boden gegenseitig an die Gurgel gehen.
Bei solchen Gelegenheiten sinkt beim MamS die Schmollschwelle schneller als mein Kontostand. Pikiert wohnt er vielleicht noch den ersten 10 Sendeminuten bei, dann grummelt er in seinen nicht vorhandenen Bart etwas, das sich wie „So ein Scheiß“ oder „Blödsinnssendung für Bildungsblinde“ anhört, verzieht sich demonstrativ ins Bett oder packt den Lappen und geht in die Garage, um beleidigt ein bisschen am Auto herumzuwischen.
Tja und ich dumme Nuss, ich sitze allein mit der fülligen Blondine oder den getauschten Frauen und fühle mich plötzlich schlecht, weil ich den MamS vertrieben habe und, schlimmer noch, anscheinend ein degenerierter Unterschichtenenfernsehkonsument bin. Weil ich allerdings nicht ausschließlich Trash-TV-Victim bin sondern auch Will, Weltspiegel und arte sehe, bin ich nicht sehr beunruhigt über meine visuellen Ausrutscher und dass ich diesen Mario Barth nur mit desaströs erhöhtem Promillespiegel lustig finde, spricht ja auch für mich. Schließlich meckere ich auch nicht, wenn der MamS das Paarungsverhalten von Wapitis oder die Fütterungrituale bei Weißschwanzgnus in diversen Zoo-Soaps goutiert, die er wiederum gerne mag. Sowas ist ja auch nicht gerade der Zeitvertreib der geistigen Elite Deutschlands, aber ich halte meine Klappe und lasse ihn einnicken, während ein Tierpfleger einer Elefantenkuh mit Hormonüberschuss mit einem sensenähnlichen Messer die hornigen Füße pedikürt.

Deshalb genieße ich es über alle Maßen, zwei Stunden die Eisheidi-Show mit Clownsgesicht Peyman und diesem komischen Rolf Dingsbums zu beobachten, wie sie zuckersüß, unbarmherzig und bootcampähnlich die künftigen Topfmodels umkrempeln und genieße gemeinerweise auch, dass die hochmütig-blasierte Tussi Tessa den Effenberg auspackt und konsequenterweise mit ihrem ganzen, übersteigerten Selbstbewusstsein im Gepäck die Heimreise antreten darf, ohne dass jemand neben mir meckert, meutert oder missgelaunt die Biege macht.

Noch eine ganze Woche bin ich hier die Chefin im Ring und ich muss sagen, es reicht dann auch wieder mal mit dem Strohwitwendasein. Die Alleinherrschaft über alles zu haben und niemanden in Reichweite, mit dem man sich auf ähnlichem Niveau ein wenig kippeln, frotzeln, Spaß machen oder sich streiten kann, ist auf Dauer ziemlich langweilig. Ganz nebenbei müsste hier mal wieder richtig durchgeputzt werden, wie nur der MamS das perfekt kann.
Am Samstag werde ich aber nochmals in voller Länge DSDS genießen, stundenlang, ganz in Ruhe und ohne Quengelei, denn ohne den Zweiten sehe ich eindeutig besser.

Euch eine ungetrübte Nacht wünscht
moggadodde

Vielleicht …

… hätte ich gestern nicht bis um viertel eins am Computer sitzen sollen. Vielleicht hätte ich danach nicht lesen sollen, insbesondere nichts Aufwühlendes, das mich um dreiviertel eins ums Verrecken nicht einschlafen und in dann doch endlich unruhig von einem Killerkrankenhaus träumen lässt. Vielleicht hätte ich das klopfende Blödhammel-Karnickel vor dem Schlafzimmer um halb vier einfach vierteilen sollen. Vielleicht blinzelte ich dann jetzt nicht mit müden Schweinsäuglein in die Gegend und vielleicht fühlte mich dann nicht, als hätte mich ein Bus überrollt. Vielleicht hat ja die Kollegin, die Abschied feiert, ein paar wake-upper auf dem Buffett.
Vielleicht gehe ich heute auch einfach mal eher ins Bett.

Euch einen aufgeweckten Tag wünscht
moggadodde

Odyssee am Montag

Früher war alles ganz einfach: Alle Naselang gab es ein Amt mit dem gelben Posthorn, wo man Briefe und Päckchen loswerden konnte. Dort gab es grimmig dreinschauende Beamte, die schneckenpostlangsam in einer heiligen Seelenruhe mit einem Gummiüberzieher auf dem Daumen die rekordverdächtigen Menschenschlangen vor ihren sicherheitsverglasten Schaltern abarbeiteten und so hochnäsig taten, als verrichteten sie eine für die nationale Sicherheit unverzichtbare Tätigkeit.

Heute ist das ganz anders: E-Mail und SMS haben der Post längst den Rang abgelaufen. Das reine Postamt gibt es kaum mehr und jetzt muss die Wurstwarenverkäuferin in der Stadt zwischen Lyoner und Leberkäse auch Briefmarken und Versandkartonagen verkaufen. Es gibt aber doch auch noch ein paar Angelegenheiten, die lassen sich nicht per Mail oder SMS erledigen, Dixies Bewerbungen beispielsweise. Für solche Sachen ist man auf die blöde Post immer noch angewiesen.
Hier auf dem Land ist das aber alles, vor allem an einem stinknormalen Montag, noch einen Zacken schwieriger. Die örtliche, ohnehin nur stundenweise geöffnete Postannahmestelle hat schon vor zwei Jahren dicht gemacht, im Nachbarort gibt es so etwas noch, wo man unheimlich kundenfreundlich dreimal in der Woche zwischen 8 und 9 Uhr morgens seine Post loswerden darf. Kopieren kann man dort aber auch nicht und die Bäckerei, in der man auch kopieren kann, ist montags ab 14.00 Uhr geschlossen. Das Schreibwarengeschäft im übernächsten Ort, in dem ich ein paar Plastikmappen kaufen wollte, ist schon ab 12.00 Uhr für den Rest des Montags verrammelt. Haben die alle am Wochenende so hemmungslos auf die Klötze gehauen, dass sie ihre Läden mittags schon zumachen müssen?

Ich bin jetzt gerade über 25 Kilometer unterwegs gewesen, um mal schnell zwanzig Kopien zu machen, noch ein paar Bewerbungsmappen zu besorgen und eine Post zu finden, in der ich den Krempel auch nach 15.00 Uhr loswerden kann.
Langsam glaube ich, dass es an diesem Montagnachmittag auf dem Land leichter gewesen wäre, eine Wagenladung Marihuana zu kriegen.

Euch einen kundenfreundlichen Abend wünscht
moggadodde

Ausgang

Was macht man am Mädelsabend wenn man als Mädel mitten in den Vierzigern steckt? Man geht essen und sucht danach eine Kneipe, in der man als Mittvierziger nicht zu sehr auffällt, was gar nicht so einfach ist. Gut, im Tscharlies haben wir den Altersschnitt sogar noch heftig gedrückt, aber dafür war die Musik zuerst richtig schon rockig und old-school plus das Tscharlies ist eine Raucherkneipe mit Ramazzotti für nur einen Euro, aber bei Bruce Springsteen mussten wir dann doch gehen. Ich meine, Bruce Springsteen, das geht ja wirklich nur in der Nähe der Grube!
20 Meter weiter links feierte mein Brüderchen in seinen 35. Geburtstag, dort noch schnell angestoßen, aber ehrlich gesagt, die Location war nicht so unsere Kragenweite. Sorry Bruder, aber mit Mitte Vierzig hat man ja doch schon andere Ansprüche …
Nach ein paar Sektchen auf dem heimischen Sofa und eine Einführung in den Casus Hickey beendeten wir einen richtig schönen Mädelsabend. Gut, dass Dixie heute aushäusig nächtigt, so kann ich in ihrem Bett pennen, damit SchwäSu angenehm schlafen kann. Merke: Vergiss zum Mädelsabend bei Mädels über 40 die Ohrstöpsel nicht!

Euch eine ausgelassene Nacht wünscht
moggadodde

Anstandslos

Würde man unsere obligatorischen Zweimonatsvisiten bei meiner Oma Gertie mit versteckter Kamera aufnehmen, würde das eine astreine Alterssoap geben, die „Wirr aber wahr“ oder „Grandma Gertie’s getting mad“ getauft werden könnte. Alt zu sein ist sicher kein Zuckerschlecken, wenn aber das Oberstübchen bei ansonsten noch rüstiger, körperlicher Gesundheit anfängt zu zicken, ist das ziemlich tragisch, vor allem für die anderen.

Die Oma bewohnt noch zwei Zimmer in ihrem großen Haus und „kann nimmer so gut merken“, wie sie selbst kummervoll feststellt. Vielleicht hat unsere Gruppe, bestehend aus meiner Mutter, Brüderchen, meinen Kindern und mir auch ihr sicher schon ein bisschen poröses Gehirn überfordert, jedenfalls wusste sie nicht so recht Bescheid über ihren Besuch.
„Wer bist denn du?“, fragte sie Dixie. „Ich bin deine Urenkelin, die Dixie“, sagte diese und die Oma zeigte auf Hank und stellte fest: „Ach, und das ist dein Sohn, gell?“
„Nee, Oma, das ist ist ihr Bruder, der Hank und die beiden sind meine Kinder“, fasste ich zusammen. „Ach, ich kann nimmer so gut merken“, lamentierte sie. „Macht ja nix, Oma“, versicherte ich. „Und du, du wohnst noch bei deinen Eltern, oder?“ fragte sie, an meinen 35jährigen Bruder gewandt. „Hast du schon einen Freund?“, fragte sie mich jetzt und bevor ich antworten konnte, fiel mir meine Mutter ins Wort: „Ach Mutter, die Mogga ist doch schon lange verheiratet mit dem MaiS!“
„Kenn‘ ich den?“, fragte sie jetzt und wir bejahten. „Ach, ich kann halt nimmer so merk‘!“, sagte sie jetzt deprimiert und hatte Recht. Im Laufe unseres zweistündigen Besuchs vergaß sie immer wieder die familiären Zusammenhänge, Namen und auch, dass ihr Sohn, mein Vater, bereits im vorletzten Jahr gestorben ist.
Sie ärgerte sich über ihre im Nebenhaus lebende Tochter und deren vielköpfige Kinderschar, die die Oma ein wenig als pausenlos geöffnete Sparkasse betrachten und sogar für die Fahrt zum Friedhof in 500 m Entfernung einen monetären Obolus erwarten. Und das Geld, das sie in zwei Umschläge gesteckt und im Schlafzimmer versteckt habe, wäre auch verschwunden. Sie führte uns alle dorthin und kramte zwischen Frotteetüchern und Baumwollschlüpfern vergeblich nach dem Geld, von dem sie genau wisse, dass sie es hier versteckt habe.
In ihrem Haus reißen die anderen Enkel die „gliedguten“ Fenster raus, werfen ihre teuer gekauften Vorhänge und Matratzen auf den Müll und komplettrenovieren das Haus, das sie zwar erben werden aber eben erst „werden“, denn noch lebt die Oma und ihr blutet das Herz, wenn sie zuschauen muss, wie das Zeug, das für andere alter Plunder aber für sie eben ihr Eigentum ist und noch tiptop in Ordnung, auf den Schutt gefahren wird.
Ich stelle es mir schrecklich grausam vor, wenn man tatenlos zuschauen muss, wie die Angehörigen im Haus schon so tun, als wäre man gar nicht mehr da, wie sie keine Rücksicht nehmen auf Sachen, an denen man hängt, weil man sie kurz nach dem Krieg, als man sowieso nichts hatte, irgendwo gekauft oder für das man gespart hat und dann kommen die eilfertigen Verwandten, okkupieren wie selbstverständlich das Haus und werfen alles weg, was einem lieb und teuer ist.
Natürlich ist das alles altes Gerümpel und kein Mensch wollte auf Matratzen schlafen, auf denen zu Kaiser-Wilhelm-Zeiten schon Kinder gezeugt wurden. Klar wurde sie gefragt, ob sie mit dem Umbau einverstanden ist. Welche Oma würde „nein“ sagen! Aber es wäre vielleicht doch taktvoller, mit dem Ausräumen des Hauses zu warten, bis die alte Frau die Augen endgültig schließt.

Zum Schluss holte die Oma ihre Mundharmonika aus dem Schlafzimmerschrank und blies das lustige Zigeunerleben und andere Ständchen und schimpfte über ihr Gebiss, das sich beim Spielen ständig im ihrem Mund löste und geräuschvoll ans Metall klackerte.
Manche Alleinunterhalter spielen schlechter mit dem Keyboard als meine Oma auf der Mundharmonika. Sie kniff konzentriert die Augen zusammen, legte den Kopf zur Seite und wippte genau im Takt mit dem Fuß. Ich muss sogar sagen, dass meine Oma in ihrem Fuß mehr Taktgefühl besitzt als andere Leute im ganzen Körper.

Euch einen rhythmischen Tag wünscht
moggadodde