Ich könnte jetzt nicht behaupten, dass in Husum und um Husum herum der Bär steppt. Aber es tat wirklich gut, mal wieder ein paar mehr Menschen zu Gesicht zu kriegen. In den letzten Tagen hatte ich mangels Gesellschaft nicht wirklich viel gesprochen. Ein „Moinmoin“ und ein „Ja, Kaffee, danke“ beim Frühstück sowie die Latte-Bestellung am Nachmittag, viel mehr ist kommunikationstechnisch als Alleinreisende nicht drin. Genau genommen könnte es sogar ziemlich langweilig werden, wenn man wie ich zwar ganz gerne mal schweigt, aber überwiegend gerne spricht. Allerdings ist es die reinste Wonne, allein im Auto zu sitzen und abzubiegen wann und wohin man will und wenn man lustig ist sogar in das Kaff Witzwort, allein deshalb, weil der Name komisch klingt. Witzwort selbst ist dann auch nicht so komisch. Und da wollte ich ja auch gar nicht hin, ich wollte ja nach Husum.
Husum ist die Theodor-Storm-Stadt, ihr wisst schon, das ist der mit der düsteren Kinderschrecker-Schimmelreiter-Geschichte. Husum ist auf den Herrn Storm wirklich stolz und das sieht man daran, dass an allen Ecken und Enden kleine Täfelchen angebracht sind nach dem Motto: „Hier lebte der Großvater von Theodor Storm“, „Hier wurde Theodor Storm geboren“, „Hier lebten die Eltern von Theodor Storm“, „Hier lebte der Schäferhund von Theodor Storm“.
Ich muss ja nicht erwähnen, dass das eigentliche Theodor-Storm-Haus, in dem man sich über sein Schaffen informieren kann, geschlossen war. Wintertouristen haben halt die Arschkarte (Vergebung, Herr Storm, ist doch so) und müssen gefälligst in den dreimal drei Stunden antanzen, die das Haus wöchentlich geöffnet ist. Müßig zu erwähnen, dass ich zur falschen Zeit da war. So wahnsinnig wichtig war mir Storm aber auch noch nie, ich bin in meiner Jugend ja eh gleich zu Simmel übergegangen.
Ich schlenderte durch die wirklich hübsche Innenstadt von Husum mit den netten Backsteinbauten und Treppengiebel-Häusern und deckte mich mit Mitbringseln für die Lieben daheim ein. Für mich selbst erstand ich auf dem Wochenmarkt eine Haarschere zum Ausdünnen, sowas wollte ich schon immer, für nur 5 €. Frauen wissen was ich meine, den anderen sollte es egal sein, denn bekanntermaßen werden bei den Herren die Haare ja von selbst dünn.
Die blondgezopfte Marktfrau hatte aber nicht nur Scheren aller Art. Ich traute meinen Augen nicht, als ich Pinzetten mit einem halben Meter Länge entdeckte! Sogar zahnärztliches Instrument, auch diese kleinen Widerhäkchendinger zum Ausputzen von Zahntaschen hatte die auf den vier Tischen ausgebreitet! Auf Nachfrage wusste die Marktfrau zu berichten, dass die Riesenpinzetten gerne von Terrarium- oder Wildtierbesitzern gekauft würden, die ihre gefräßigen Bestien so gefahrlos füttern könnten und, tja, sie habe viele Zahnärzte-Kunden, die sich bei ihr mit den benötigten Instrumenten eindeckten. „Ist doch Chirurgenstahl, wissen Sie?!“ – Ich glaube, die Gesundheitsreform ist offenbar jetzt auch auf dem Wochenmarkt angekommen! Es ist sicher nur noch eine Frage der Zeit, dann werden auch künstliche Kniegelenke oder Herzschrittmacher auf den mit Samt bezogenen Tischen von Marktfrauen verkauft.
Ich ertappte mich dabei, wie ich in den Läden und an den Ständen mehr redete als nötig. Ich war so begierig darauf zu sprechen, dass ich in einem Souvenirladen einen kleinen, mit Batterien bestückten Leuchtturm kaufte, um die Verkäuferin mit der Story über meinen vermasselten Besuch in Westerhever zu beglücken. Sie hatte viel Verständnis für die missliche Lage von Wintertouristen und tatsächlich hatten wir ein Gespräch, das über „ja“, „danke“, „bitte“, „nochmal dasselbe“ hinausging und das tat wirklich gut.
Als ich schon zurückfahren wollte, entdeckte ich die Abfahrt zum Hafen. Wo ein Hafen ist, kann das Meer ja nicht weit sein, und zwar ohne matschiggrüne, kilometerlange Salzwiesen zu durchqueren, „da fährste mal lang!“ dachte ich hatte diesmal wirklich Glück: Oben auf dem Deich öffnete sich mir ein spektakuläres Bild: Graues, wild tobendes Wasser, das stetig ans Ufer drückt und mit den Wellen in Gischtfontänen anlandet, mit Salz in der Luft und in kleinen Wasserspritzern, das sich auf Haut und Lippen legt und so verdammt gut schmeckt und dem stürmischsten aller Stürme, gegen die ich bisher das Vergnügen hatte anstehen zu dürfen. Wenn ich mir die Nase putzen musste, hatte ich Schwierigkeiten, die Arme wieder in die Jackentasche zu bringen, schockartige Böen zwischendrin versuchten, mich von den Beinen zu holen.
Aber ich hielt stand, stemmte mich gegen den Wind und kämpfte mich zum Zipfel der kleinen Landzunge und schrie in die Nordsee, dass sie es mir wirklich schwer mache, sie zu mögen.
Die Nordsee pfiff mich an, dass sie eben nicht leicht zu haben sei und da könnte ja jeder kommen und sie gerne haben. Wen sie mag, entscheidet sie schon noch selbst, bitteschön!
Ich erwiderte, so laut ich konnte, dass ich schließlich ein hübsches Weglein zurückgelegt hätte, um sie zu sehen und wenn sie sich jetzt noch ein bisschen anstelle, hätte ich die Ostsee bald viel lieber. Und die ist immer da wo sie hin gehört und nicht nur ab und zu und nach Gewaltmärschen durch Salzwiesen zu erreichen, schob ich hinterher!
Selber Schuld, schrie mich jetzt die Nordsee an, im Februar bin ich halt zickig! Mag mich oder nicht, ist mir doch schnuppe! Ich meinte aber eine gewisse Unruhe zu hören, dass ich vielleicht doch die Ostsee ihr vorziehen könnte und wie zur Versöhnung ließ sie ihren Kumpel Sturm auf dem Rückweg noch einen Zacken zulegen und so verdammt heftig blasen, dass sogar ein kleines Fleckchen Blau am Himmel zu sehen war. Ich war schon drauf und dran ihr zu verzeihen, ließ es mir aber nicht anmerken, die letzten beiden Tage lasse ich sie noch ein bisschen schmoren, die Nordsee.
„Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;
Der Nebel drückt die Dächer schwer
Und durch die Stille braust das Meer
Eintönig um die Stadt.“
Das hat Theodor Storm bestimmt im Februar geschrieben, als er auch niemanden zum Reden hatte.
Euch einen schwatzhaften Tag wünscht
moggadodde